CDU-Chefin Merkel gibt Kernpositionen auf:Diese Kühe sind heilig - schlachtet sie!

Angela Merkel krempelt die CDU um. Unter ihrer Führung haben die Christdemokraten Kinder in Krippen gebracht, die Wehrpflicht abgeschafft, den Papst kritisiert und sich von der Atomenergie verabschiedet. Jetzt lässt die Kanzlerin auf dem Parteitag sogar über Mindestlöhne diskutieren. Acht ehemalige Kernpositionen - und wie die CDU sich von ihnen verabschiedet.

Jakob Kienzle

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Plakatwerbung im Bundestagswahlkampf

Quelle: ddp

Angela Merkel krempelt die CDU um. Unter ihrer Führung haben die Christdemokraten Kinder in Krippen gebracht, die Wehrpflicht abgeschafft, den Papst kritisiert und sich von der Atomenergie verabschiedet. Jetzt lässt die Kanzlerin auf dem Parteitag sogar über Mindestlöhne diskutieren. Acht ehemalige Kernpositionen  - und wie die CDU sich von ihnen verabschiedet.

Von Jakob Kienzle

Mindestlohn

"Planwirtschaft und Dirigismus" - das verbanden CDU-Politiker traditionell mit einem allgemeinen  Mindestlohn. Hunderttausende, ja sogar mehr als eine Million Arbeitsplätze würde ein Mindestlohn kosten, "und zwar kurzfristig, an dem Tag, an dem er beschlossen wird", so Hessens damaliger Ministerpräsident Roland Koch in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung 2007. Unmissverständlich steht es auch im Koalitionsvertrag von 2009: "Einen einheitlichen Mindestlohn lehnen wir ab."

Seit kurzem debattiert die CDU jedoch über einen allgemeinen Mindestlohn. Angela Merkel hatte diese Diskussion angestoßen, indem sie ihre Parteikollegen Michael Fuchs und Karl-Josef Laumann damit beauftragte, bis zum CDU-Parteitag Mitte November ein Modell für einen Mindestlohn auszuarbeiten. Laumanns Vorschlag sieht einen allgemeinen Mindestlohn für alle tariflosen Branchen vor, der sich an den Löhnen in der Zeitarbeit orientieren soll. Wenige Tage vor dem Parteitag erklärt Merkel: Eine Bindung an die Zeitarbeits-Abschlüsse soll es nicht geben. Sie will keine einheitliche Lohnuntergrenze, sondern branchenspezifische Mindestlöhne. Laumann will jedoch weiter für sein Modell kämpfen.

Mit Bauchschmerzen hatte sich die CDU 2008 mit der SPD auf Lohnuntergrenzen in einigen Branchen geeinigt. Kanzlerin Merkel hatte sich dabei Kritik von vielen Parteikollegen eingehandelt. Falls nun - mit der marktliberalen FDP als Koalitionspartner - die alte SPD-Forderung nach einem allgemeinen Mindestlohn umgesetzt würde, wäre dies mehr als erstaunlich.

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CDU-Chefin Merkel gibt Kernpositionen auf:Schulpolitik

CDU will sich von der Hauptschule verabschieden

Quelle: dpa

Für erheblichen Unmut in der Union sorgt die geplante Abkehr vom dreigliedrigen Schulsystem und das damit verbundene Aus für die Hauptschulen, die die Union lange verteidigt hatte. Vor allem in Bayern und Baden-Württemberg ist der Ärger groß. Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle erklärte noch 2010: "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass ein differenziertes Schulsystem der Chancengleichheit gerechter wird als andere." Auch der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, warnte die CDU im Juni 2011 davor, "ihre bildungspolitischen Grundsätze über Bord zu werfen".

Alle Unkenrufe helfen nichts: Der CDU-Vorstand beschließt im Juni 2011 ein Konzept von Bildungsministerin Annette Schavan, wonach in allen Bundesländern ein zweigliedriges System aus Gymnasium und der sogenannten Oberschule eingeführt werden soll. Die Oberschule soll dabei Haupt- und Realschule verbinden. Ein zweigliedriges System ist in vielen - auch CDU-regierten - Ländern längst Realität. Über den Plan wird auf dem CDU-Parteitag im November entschieden - und als Reaktion auf die Kritik schwächte die Parteispitze ihre Forderung nach flächendeckender Einführung der Oberschule etwas ab.

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CDU-Chefin Merkel gibt Kernpositionen auf:Familienpolitik

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Quelle: AP

"Die Familie ist das Fundament der Gesellschaft" - so lautete ein traditioneller Leitspruch der CDU. Der katholischen Soziallehre entsprechend ist für die Lösung von Problemen zuerst die Familie zuständig, nicht der Staat. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wurde folglich als Privatangelegenheit betrachtet. Als CDU-Chefin und Kanzlerin emanzipierte sich Merkel von ihrem Ziehvater Helmut Kohl. Der Patriarch duldete in seiner Partei nur unauffällige Frauen - so wie die junge Angela Merkel, die er 1991 als Ministerin für Jugend und Frauen ins Kabinett holte. Sie entpuppte sich jedoch als Reformerin was die Familienpolitik angeht. Sie setzte sich für den Erhalt der ostdeutschen Krippen, Kindergärten und Hortplätze nach der Wende ein und führte den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ein. In der Opposition zur rot-grünen Regierung stand die CDU dem Krippengesetz von Familienministerin Renate Schmidt 2004 ablehnend gegenüber. Auch in der großen Koalition sprachen sich Kanzlerin Angela Merkel und Familienministerin Ursula von der Leyen erst gegen weitere Krippenplätze aus. Stattdessen sollten Familien finanziell unterstützt werden.

2007 erfolgt der Kurswechsel: Von der Leyen kündigt an, bis 2013 500.000 zusätzliche Krippenplätze zu schaffen. Sie löst damit einen Grundsatzstreit in der Union aus. Die CSU wirbt im Gegenzug für das abschätzig als "Herdprämie" bezeichnete Betreuungsgeld. Von der Leyen holt außerdem ein altes Konzept ihrer Vorgängerin Renate Schmidt aus der Schublade und führt das Elterngeld ein. Durch diese vom bisherigen Einkommen abhängige Ersatzleistung wird die Familienplanung für berufstätige Paare leichter.

Eine Woche vor dem CDU-Parteitag setzt CSU-Chef Seehofer das Betreuungsgeld beim Koalitionsausschuss durch. Zudem wurde durch einen SZ-Bericht bekannt, dass die Bundesländer das Ziel, 2013 jedem dritten Kind einen Kita-Platz zur Verfügung zu stellen, nicht erfüllen werden.

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CDU-Chefin Merkel gibt Kernpositionen auf:Atompolitik

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Quelle: APN

Die Atomenergie war bis zuletzt eine feste Größe der Energie- und Wirtschaftspolitik der CDU. Auch Angela Merkel war von der Atomtechnik überzeugt: "Wenn ich sehe, wie viele Kernkraftwerke weltweit gebaut werden, dann wäre es wirklich jammerschade, sollten wir aus diesem Bereich aussteigen", sagte sie im Juni 2009. Im Herbst 2010 kippten Union und FDP den Atomausstieg von Rot-Grün aus dem Jahr 2000. Die deutschen Atomkraftwerke sollten im Schnitt zwölf Jahre länger laufen.

Am 11. März 2011 kommt es in Japan zum Super-GAU: Ein Erdbeben löst eine Reihe von Kernschmelzen im Atomkraftwerk Fukushima-1 aus. Kurz darauf ruft Merkel die Kehrtwende aus. Nach Debatten über Reaktorsicherheit in Deutschland und dem Bericht der Ethikkommission zur Energiepolitik bringen CDU und FDP eine Beschleunigung des Atomausstiegs auf den Weg. Zunächst gehen die sieben ältesten Meiler vom Netz. Im Sommer beschließen Bundestag und Bundesrat den Ausstieg aus der Atomenergie bis Ende 2022. Dieses Jahr hatte Rot-Grün im Jahr 2000 für das Ende der Atomenergie angepeilt. Zugleich soll der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis 2020 auf mindestens 35 Prozent steigen, bis 2030 auf 50 Prozent.

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CDU-Chefin Merkel gibt Kernpositionen auf:Finanztransaktionssteuer

Demo gegen Banken

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1998 wurde in Frankreich die globalisierungskritische Organisation Attac gegründet. Eines ihrer wichtigsten Ziele ist die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen. Der CDU-Politiker und Attac-Mitglied Heiner Geißler bemerkte unlängst: "Die Finanztransaktionssteuer hat sich in den Beschlüssen als Ziel international durchgesetzt. Sie war der Gründungszweck von Attac. Attac hat intellektuell gesiegt". Sie geht auf ein Konzept des US-Ökonomen James Tobin zurück und wird deshalb auch Tobin-Steuer genannt. Mit der Abgabe auf Finanztransaktionen soll sich die bloße Spekulation an den Finanzmärkten nicht mehr rechnen.

Bis vor kurzem stand Geißler mit der Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer in seiner Partei noch alleine da. Dabei gab es schon einmal eine Steuer auf Börsenumsätze. Nämlich bis zum 1. Januar 1991 - dann wurde sie durch das Finanzmarktförderungsgesetz abgeschafft. Im Juni 2002 wehrte sich die CDU gegen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, als die rot-grüne Bundesregierung einen entsprechenden Schritt prüfen ließ. Der CDU-Abgeordnete Hartmut Schauerte führte die positiven Seiten der Globalisierung gegen die Tobin-Steuer an: Der zunehmende Welthandel und die Finanzmärkte würden Wohlstand und Beschäftigung mehren.

Mit der Finanzkrise 2007 hat sich die Einstellung der CDU geändert. Die schädlichen Auswirkungen von Spekulation lassen sich nicht mehr leugnen. Merkel kündigt an, durch eine Steuer auf Finanztransaktionen die Banken an den Kosten der Krise beteiligen zu wollen. Auch Wolfgang Schäuble drängt auf die rasche Einführung einer Transaktionssteuer, gegen die sich vor allem Großbritannien sperrt.

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CDU-Chefin Merkel gibt Kernpositionen auf:Integrationspolitik

Frau mit Kopftuch

Quelle: dpa

Die Zuwanderer aus Südeuropa und der Türkei, die in den fünfziger und sechziger Jahren nach Deutschland kamen, betrachteten Gesellschaft und Politik lange als "Gastarbeiter". Integrationspolitik war für die CDU lange kein Thema. 1997 verlangte eine Gruppe von CDU-Politikern um den heutigen Umweltminister Norbert Röttgen, die Ausländerpolitik müsse endlich einen höheren Stellenwert erhalten. Die Gruppe verlangte auch eine Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts und die Möglichkeit für Zuwandererkinder, den deutschen Pass zu erhalten. Die Einstellung der Parteimehrheit war weniger liberal: Als Rot-Grün 1999 die doppelte Staatsbürgerschaft einführen wollte, startete die Union eine Unterschriftenkampage, in der sie an Überfremdungsängste in der Bevölkerung appellierte.

Unter Angela Merkel hat sich die Integrationspolitik der Union gewandelt. Wolfgang Schäuble lud als Innenminister 2006 zur Islamkonferenz ein, in Nordrhein-Westfalen schuf die CDU ein Integrationsministerium, in Niedersachsen wurde 2010 mit Aygül Özkan erstmals eine Muslima als Ministerin vereidigt. Angela Merkel bezog Stellung gegen Thilo Sarrazins antimuslimische Thesen und Bundespräsident Christian Wulff verkündete, der Islam gehöre zu Deutschland. Die CDU betont jedoch weiterhin die Verantwortung des Einzelnen, sich in Deutschland zu integrieren. Auf dem CDU-Parteitag im Oktober 2010 kündigte die Partei an, sogenannten "Integrationsverweigerern" keine Toleranz entgegenzubringen.

Zwischen der liberalen Führungsriege der Partei und der Basis bestehen derweil große Unterschiede, was Integrationspolitik angeht: Für Irritationen sorgen etwa die Beschlüsse der Senioren-Union vom Oktober 2010. Die Senioren haben vorgeschlagen, Zuwanderer, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen, auszuweisen und Eltern, die nicht seit mindestens zwölf Jahren Deutsche sind, das Kindergeld zu streichen. Auch Niedersachsens CDU-Innenminister fällt durch einen Vorschlag auf: Uwe Schünemann schlägt vor, Kinder ausländischer Eltern sollten mit guten Schulnoten die Abschiebung ihrer Familien verhindern.

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CDU-Chefin Merkel gibt Kernpositionen auf:Katholische Kirche

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Quelle: AP

Unter der Führung von Angela Merkel hat sich die CDU von der katholischen Kirche entfremdet und das einst enge Verhältnis neu definiert: Jahrzehntelang galt die Union als politische Heimat der deutschen Katholiken. Noch 1980 betrieben die deutschen Bischöfe Wahlkampf für die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß. Die engen Bande manifestierten sich in der Nähe des Führungspersonals: Konrad Adenauer saß als Kölner Bürgermeister während der Weimarer Republik dem Katholikentag vor. Als Kanzler kümmerte sich Adenauer zwar um den überkonfessionellen Charakter der CDU. Das hielt die Päpste nicht davon ab, ihn mit höchsten vatikanischen Auszeichnungen auszustatten. Später kümmerte sich der Katholik Helmut Kohl um das gute Verhältnis zum deutschen Episkopat. Seinem Freund Kardinal Lehmann, dem langjährigen Vorsitzenden der Bischofskonferenz, rief er gerne entgegen: "Karl, gut, dass du da bist!"

Dann übernahm Angela Merkel im Jahr 2000 die CDU. Suspekt war die geschiedene Protestantin aus Ostdeutschland den konservativen Klerikern wohl schon von Beginn an. Bei Papst Benedikt XVI. erschien sie entgegen den vatikanischen Vorschriften ohne Schleier. Als Kanzlerin ließ sie Ursula von der Leyen die Familienpolitik umpflügen. Viele Konservative empfanden das Verhalten Merkels in der Causa Richard Williamson als Tabubruch. Der Bischof der Piusbruderschaft hatte den Holocaust geleugnet - der Papst schwieg zunächst, was die Kanzlerin offen kritisierte. Merkels mahnende Worte Richtung Vatikan kennzeichnen die Distanz, die CDU und katholische Kirche inzwischen trennt. Es ist bezeichnend, dass Bildungsministerin Schavan sich offen dafür einsetzt, verheiratete Männer als Priester zuzulassen. Auch der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel sprach sich für die Einbindung der "viri probati" aus - was ihn nicht davon abhielt, Merkels kirchenfernen Kurs öffentlich zu geißeln. Man könne das "C" in der CDU nicht mehr erkennen, klagte Teufel im Sommer 2011.

Die Entfremdung ist aber nicht unüberbrückbar: So sorgte Merkel dafür, dass sich die Debatte um Missbrauch und Misshandlungen in Schulen nicht auf den Katholizismus konzentrierte. Katholische Würdenträger wie der Münchner Erzbischof Reinhard Marx segneten in der eilig einberufenen Ethikkommission Merkels Atomwende ab. Und in der Finanzkrise nähern sich Kirche und Kanzlerin an: Merkel teilt inzwischen die katholische Kapitalismuskritik, nach der Märkte den Menschen zu dienen haben. Es ist eine bemerkenswerte Rolle rückwärts der Kanzlerin, die auf dem Leipziger Parteitag 2003 noch dem Neoliberalismus huldigte: Sie greift damit auf die katholische Soziallehre zurück, der in ihrer CDU nur noch Veteranen wie Norbert Blüm und Heiner Geißler nachtrauern.

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CDU-Chefin Merkel gibt Kernpositionen auf:Wehrpflicht

Abschied von der Wehrpflicht

Quelle: dapd

Die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht galt in der Union lange Zeit als Tabu. Forderungen aus der FDP, nicht mehr alle jungen Männer einzuziehen, wurden stets zurückgewiesen. Der im Oktober 2009 von Merkel als Verteidigungsminister eingesetzte Karl-Theodor zu Guttenberg führte von Mai 2010 an die sinkenden Einzugsraten und die fehlende sicherheitspolitische Rechtfertigung gegen die Wehrpflicht an. Zudem sollte so Geld gespart werden. Der Shootingstar aus der CSU stieß damit auf den Widerstand vieler Unionspolitiker wie etwa Fraktionschef Volker Kauder. Auch Horst Seehofer hielt erst nichts von den Plänen Guttenbergs: Die CSU sei die Partei der Wehrpflicht.

Im Herbst 2010 brachte Guttenberg sowohl auf dem CSU- als auch auf dem CDU-Parteitag die Delegierten hinter sich. Somit rückten im Januar 2011 die letzten Rekruten ein. Seit Anfang Juli 2011 werden keine Wehrdienstpflichtige mehr zur Bundeswehr eingezogen. Stattdessen wurde ein freiwilliger Wehrdienst eingeführt. Durch den Schritt der schwarz-gelben Regierung fiel auch der Zivildienst weg, der durch den Bundesfreiwilligendienst ersetzt wurde.

© sueddeutsche.de/dpa/odg/mati
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