Merkels Rolle in der Krim-Krise:Führen und vorgeführt werden

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Kanzlerin Angela Merkel mit Wladimir Putin im Jahr 2012: Von allen wichtigen Staats- und Regierungschefs kennt sie Russlands Präsidenten am längsten.

(Foto: Reuters)

Im Ukraine-Konflikt soll nun Kanzlerin Merkel zwischen Russlands Präsident Putin und dem Rest der Welt vermitteln. Tatsächlich könnte die Bundesregierung das - es gibt aber auch gute Gründe dafür, dass sie es nicht sollte.

Ein Kommentar von Nico Fried, Berlin

Eines ist klar: Angela Merkel ist schuld. Die eine Lehre besagt, die Kanzlerin hätte sehen müssen, dass ein Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine für Russland eine Provokation bedeuten würde. Soll heißen: Es wurde zu wenig Rücksicht auf Wladimir Putin genommen. Die andere Schule besagt, nur weil Merkel 2008 eine schnelle Aufnahme der Ukraine in die Nato verhinderte, kann Putin jetzt ungestraft auf der Krim herumfuhrwerken. Soll heißen: Es wurde zu viel Rücksicht auf Moskau genommen. Merkels Verantwortung ist also der kleinste gemeinsame Nenner vieler Kritiker, selbst wenn sie sonst völlig unterschiedlicher Meinung sind.

Der Blick auf Deutschlands Einfluss in der Welt krankt hierzulande gelegentlich daran, dass Merkels innenpolitische Dominanz eins zu eins auf die internationale Politik übertragen wird. Umso härter ist dann die Kritik, wenn die Kanzlerin solchem Popanz nicht gerecht wird. Doch der nächste wartet schon: Jetzt soll Merkel zwischen Russland und dem Rest der Welt vermitteln. Findet die deutsche Wirtschaft. Findet Vitali Klitschko. Finden Kommentatoren in Amerika. Findet EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Findet auch die Bild-Zeitung. Merkel soll führen. Ach du liebe Güte.

Fall für den Tiefenpsychologen

Der Blick der Deutschen auf Deutschlands Rolle schwankt nicht selten zwischen emotional und irrational. Manch einen befällt ein wohliger Schauer, wenn von deutscher Führung die Rede ist, andere packt da das Grausen. Dazwischen gibt es Verantwortungsethiker wie den Bundespräsidenten, die aus wirtschaftlicher Macht politische Verpflichtung ableiten. Letztlich dominieren seit Jahren zweieiige Zwillinge die Diskussion: der kraftvolle Anspruch auf mehr Mitsprache und seine vorsichtige Schwester, die Sorge vor der Großmannssucht.

Die Erwartung an die deutsche Außenpolitik ist deshalb häufig widersprüchlich. Das ist sie natürlich in anderen Staaten auch. Aber in Deutschland hat sie zwei bemerkenswerte Charakteristika: Erstens ist merkwürdigerweise oft dann von deutscher Führung die Rede, wenn es um Regionen geht, in denen der Ruf Deutschlands historisch schwer belastet ist. Dass Merkel gerne zu hartem Auftreten ausgerechnet gegenüber dem israelischen Premier und dem russischen Präsidenten aufgefordert wird, ist weniger ein Fall für den Politikwissenschaftler als für den Tiefenpsychologen.

Ungeduld ist ein schlechter Ratgeber

Zweitens ist in Deutschland die Neigung ausgeprägt, zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt zu oszillieren. Merkels Außenminister ist dafür ein gutes Beispiel: Frank-Walter Steinmeier war ein Wochenende lang ein Held, als es ihm mit zwei Kollegen gelang, das Blutvergießen in Kiew zu stoppen. Nun aber ist er für manch einen irgendwie auch schuld an der Invasion der Russen auf der Krim, weil sich die Opposition in Kiew nicht an "sein" Abkommen gehalten hat.

Nüchtern betrachtet gibt es objektive Gründe dafür, dass Deutschland eine Rolle in dieser Krise spielen kann: Von allen wichtigen Staats- und Regierungschefs kennt niemand Putin so lange wie Merkel. Die Kontakte nach Moskau sind gut, übrigens auch, weil sie stets erhalten wurden, obwohl es von Chodorkowskij über Pussy Riot und die Anti-Schwulen-Gesetzgebung viele Anlässe und noch mehr Forderungen gegeben hatte, sie zu verringern oder auszusetzen. Nicht unwahrscheinlich, dass unter denen, die jetzt eine aktive Rolle Deutschlands einfordern, der eine oder andere ist, der das Verhältnis zu Russland auch schon mal zu eng fand.

Es gibt aber auch objektive Gründe dafür, warum Deutschland allein gar nicht vermitteln kann. Und auch nicht sollte. Der beste heißt Europa. Dass die EU nur als Einheit Gewicht hat, ist eine theoretisch gelernte Lektion, die sich einmal mehr in der Praxis nur schwer umsetzen lässt. Daran ändern auch die neuesten Hilfezusagen in Höhe von elf Milliarden Euro für die Ukraine erst einmal wenig. In der Kernfrage, dem Umgang mit Moskau, sind, grob gesagt, die Sicherheitsinteressen all der Staaten an der Grenze zu Russland mit den Wirtschaftsinteressen anderer Europäer zu vereinbaren. Da verbietet sich jede überhastete Reaktion, auch wenn sie angebracht erscheint.

Dass Ungeduld ein schlechter Ratgeber ist, kommt Merkels zögerlichem Wesen entgegen. Die Kanzlerin ist sowieso schon relativ weit gegangen - nicht nur, weil sie Putin Verstöße gegen das Völkerrecht vorwarf, sondern weil sie sein Einverständnis zur Bildung einer Kontaktgruppe verbreiten ließ, deren Zustandekommen auf sich warten lässt. Damit tut die Kanzlerin etwas für sie äußerst Seltenes: Sie riskiert eine persönliche Blamage. Zu führen und vorgeführt zu werden liegt nämlich manchmal nah beisammen.

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