Merkels Klimaberater zum EU-Gipfel:"Ein kleines Stück vorangekommen"

Warnende Worte: Merkels Klimaberater Schellnhuber befürchtet nach dem EU-Gipfel einen Stillstand im Kampf gegen die Erderwärmung.

J. Rubner

SZ: Die EU bleibt dabei, bis 2020 ein Fünftel weniger Treibhausgase zu produzieren. Ist das eine gute Nachricht?

Merkels Klimaberater zum EU-Gipfel: Der Physiker Hans Joachim Schellnhuber leitet das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und berät Kanzlerin Angela Merkel in Klimafragen.

Der Physiker Hans Joachim Schellnhuber leitet das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und berät Kanzlerin Angela Merkel in Klimafragen.

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Hans Joachim Schellnhuber: Die klimapolitische Katastrophe ist immerhin abgewendet worden. Und die Versteigerung der Verschmutzungsrechte im Stromsektor ist sogar zukunftsweisend.

SZ: Reicht es denn, das Kohlendioxid um 20 Prozent zu senken, um die Erderwärmung zu bremsen?

Schellnhuber: Nein, und das ist meine Hauptsorge: Denn das Brüsseler Paket bedeutet auch, dass die energieintensive Industrie vom Kauf der Emissionszertifikate verschont wird, wenn sie die bestmögliche Technik nutzt. Vom bürokratischen Aufwand einmal abgesehen zwingt dies die Unternehmen nicht wirklich, rasch in kohlenstoffarme Techniken zu investieren. Dadurch wird der notwendige Strukturwandel in Europa verschleppt und die langfristige internationale Wettbewerbsfähigkeit eher gefährdet. Zudem darf man nicht vergessen, dass die EU versprochen hat, bis 2020 die Emissionen sogar um 30 Prozent zu senken, falls das Kyoto-Protokoll durch ein besseres globales Abkommen ersetzt wird.

SZ: Sind 30 Prozent überhaupt zu schaffen?

Schellnhuber: Bereits die 20 Prozent sind nur mit Mühe zu erreichen, weil man so viele Ausnahmen akzeptiert. Und niemand weiß wirklich, wie das noch wichtigere 20-Prozent-Ziel bei den erneuerbaren Energien geschafft werden kann.

SZ: Wir können uns demnach schon heute von dem 30-Prozent-Ziel verabschieden?

Schellnhuber: Vermutlich ja. Und um das Klima einigermaßen zu stabilisieren, brauchen wir sogar mindestens 80 Prozent CO2-Minderung in den Industrieländern bis 2050.

SZ: Kann die EU noch als weltweiter Vorreiter für Klimaschutz gelten?

Schellnhuber: Europas Ansehen hat durch den Basarlärm vor dem Gipfel sicherlich gelitten, wie man bei der Klimakonferenz in Posen allenthalben wahrnehmen konnte. Wenn Berlusconi den Klimaschutz auf der Bedeutungsstufe einer Dauerwelle sieht, ist das nicht besonders hilfreich. Das heißt, man wird nun verstärkt nach Amerika schauen. Dass Obama den genialen Physik-Nobelpreisträger Steven Chu als Energieminister nominiert, ist ein sensationelles Signal. Chu wird gewisserweise das US-Gegenstück zum deutschen Wirtschaftsminister Michael Glos sein, steht aber für ein neues Zeitalter.

SZ: Kann man tatsächlich angesichts der Wirtschaftskrise große Anstrengungen erwarten?

Schellnhuber: Wie lange wird diese Krise andauern? Ein Jahr, vielleicht zwei. Der Emissionshandel soll aber erst 2013 beginnen - insofern ist die angebliche Zusatzbelastung der Unternehmen in der Krise ein Scheinargument. Und warum verbinden wir nicht Konjunktur- und Klimapaket zu einem kraftvollen Ganzen? Was jetzt zur Rettung der Wirtschaft ausgegeben wird, sollte vor allem in den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft investiert werden.

SZ: Aus Posen kommt auch kein starkes Signal für ein Weltklimaabkommen, das in einem Jahr in Kopenhagen beschlossen werden soll.

Schellnhuber: In Posen machen die Kyoto-Staaten keine gute Figur, denn die Industriestaaten haben sich praktisch nicht über die Positionen von Bali hinausbewegt. Dagegen legten Schwellenländer wie Mexiko und Südafrika hervorragende Klimaschutzpläne vor - die Lage hat sich praktisch umgedreht.

SZ: Besteht denn noch Hoffnung für einen Abschluss in Kopenhagen?

Schellnhuber: Wir sind ein kleines Stück voran gekommen, haben uns aber nicht so schnell bewegt wie notwendig. Ich befürchte einen Stillstand nach dem EU-Gipfel. Die Temperatur des Planeten steigt dennoch weiter, die bereits einprogrammierte Erwärmung um 2,4 Grad wird nur durch die "gewöhnliche" Luftverschmutzung gebremst. Nur wenn von nun an wirklich alles in der Klimapolitik gut geht, kann es noch gelingen, einen desaströsen Klimawandel zu vermeiden.

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