Merkel will Lissabon-Vertrag ändern:Medizin für Europa

Um Haushaltsdisziplin zu erzwingen, will Angela Merkel den Vertrag von Lissabon ändern. Das sieht auf den ersten Blick wie ein minimaler Eingriff aus. Ist es aber nicht. Mit ihrem Plan könnte die Kanzlerin allerdings einen entscheidenden Faktor unterschätzen.

Stefan Kornelius

Angela Merkel steht in Europa im Zenit ihrer Macht. Doch in dieser Höhe ist der Abgrund nicht weit. Aufstieg und Absturz in nur wenigen Wochen - selten verdichtet sich das politische Geschäft derart gefährlich wie nun für die Bundeskanzlerin. Wer je unterstellt hat, Merkel spiele immer nur auf sicher, der wird diesmal genauer hinschauen müssen.

CDU-Landesparteitag MV - Merkel

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will den Vertrag von Lissabon ändern, um die Euro-Staaten zu mehr Disziplin in ihrer Haushaltspolitik zwingen zu können.

(Foto: dpa)

Vorige Woche reisten im Tagesrhythmus die schwierigen Kollegen aus Europa in Berlin an: der irische Ministerpräsident, die dänische Regierungschefin, der britische Premier. Es geht um den nächsten, den politischsten und den vielleicht wichtigsten Schritt im europäischen Krisenbekämpfungsprogramm. Merkel selbst spricht von einem "Schlussstein".

Die Kanzlerin hat es sich in den Kopf gesetzt, dass sie den Vertrag von Lissabon ändern will, um die Euro-Staaten zu mehr Disziplin in ihrer Haushaltspolitik zwingen zu können. Ihre Medizin soll wie ein minimal-invasiver Eingriff aussehen: eine Ergänzung zum Protokoll 14 des Vertrags - ein Protokoll, das den Umgang der Staaten mit dem Euro regelt. Alle 27 EU-Mitglieder müssten die Ergänzung ratifizieren, betreffen würde sie aber nur die 17 Staaten mit der gemeinsamen Währung. Das hat Charme. So wird der Anschein vermieden, dass Europa in zwei Teile auseinanderbrechen könnte. Die hartnäckigen Reformgegner aber, wie die Briten, können zu Hause entspannt behaupten, diese Veränderung wirke sich auf das eigene Land nicht aus.

Typisch Berliner Denkweise

Merkel will dem Europäischen Gerichtshof das Recht zugestehen, dass er als letzte Instanz über das Budget-Gebaren eines Euro-Staates urteilt - inklusive Sanktionen, die dann zwingend umgesetzt werden müssten. Zwei Fragen drängen sich da auf: Warum sollte ein Staat auf ein Urteil dieses Gerichts hören? Und wie viel nationale Haushaltssouveränität wird mit diesem Schritt geraubt? Für Deutschland etwa heißt das: Hat das nationale Budgetrecht damit ausgedient, und was wird das Bundesverfassungsgericht dazu sagen?

Die Idee der Kanzlerin ist zunächst sehr deutsch. Was die Politik nicht durchsetzen kann, lässt sie vor Gericht entscheiden. Die Überantwortung schwierigster politischer Zwänge an die vermeintlich neutrale Justiz - und im Umkehrschluss die Justizgläubigkeit und Justiztreue -, das ist typisch Berliner Denke. Zynisch würde ein Brite fragen, welche Strafe denn dieses seltsame Gericht aussprechen wolle. Müsste ganz Spanien jetzt etwa ins Gefängnis, nur weil es die Verschuldungsgrenzen reißt?

Die Antwort ist simpel, und wiederum deutsch: Wenn das Recht nicht geachtet wird in Europa, dann ist das Bündnis tot. Europa ist vor allem ein Rechtsraum, darauf basiert alle Gemeinsamkeit der EU. Wer das Recht als Bindemittel nicht akzeptiert, hat im Klub nichts verloren.

Warten auf die Selbstzerstörung

Konsequenterweise müsste Merkel dann aber auch ausbuchstabieren, was nach einem Gerichtsverfahren kommen könnte. Übrig bleibt eigentlich nur ein Austrittsautomatismus aus der EU, der mit der Vertragsänderung gleich mitbeschlossen werden müsste. Merkel spricht aber nicht von dieser Rauswurf-Logik, weil die Märkte nur auf ein Indiz warten, dass der Euro-Klub in Wahrheit an seiner Selbstzerstörung arbeitet.

Bleibt die Frage: Wie will Merkel diese Vertragsänderung durchsetzen? Die Kanzlerin, die ihre Macht der Wirtschaftskraft Deutschlands verdankt, provoziert bereits viel Widerstand. Immerhin muss man ihr konzedieren, dass sie jeden Triumphalismus meidet. Merkel argumentiert, sie fordert nicht nur. Und sie ist in einer komfortablen Lage. Wer dem britischen Premier genau zugehört hat auf seiner Deutschland-Visite vorigen Freitag, der hat gelernt: David Cameron ist sich seiner Abhängigkeit durchaus bewusst, die Briten brauchen Europa.

Cameron sitzt nur das Unterhaus im Nacken. Wenn er den konservativen Euro-Skeptikern klarmacht, dass der Vertragszusatz zwar von allen ratifiziert wird, Großbritannien aber nicht betrifft, dann könnte das die Mehrheit sichern. Vor allem aber weiß Cameron: Er hat keine Wahl, die Briten brauchen Europas Binnenmarkt, auch wenn sie ihn nicht gestalten wollen - und bald auch nicht mehr gestalten können. Spätestens 2017 gelten nach den Regeln des Lissabon-Vertrags neue Mehrheiten für die meisten Rechtsbereiche der EU. Von da an hat die Euro-Gruppe mit ihren 17 Staaten eine Gestaltungsmehrheit und kann die Integration alleine vorantreiben.

Bleibt Nicolas Sarkozy, der Merkel am liebsten zwingen würde, endlich die Notenpresse in der Europäischen Zentralbank freizugeben. Macht er aber nicht, weil er im Frühjahr wiedergewählt werden möchte. Stellte er sich nämlich gegen die Kanzlerin und ihren Reformplan, dann würde der Krach darüber ausreichen, um Frankreich seine AAA-Bewertung bei den Rating-Agenturen zu zerstören. Sarkozy würde davongejagt.

Merkel befindet sich also in einer relativ berechenbaren Situation. Allerdings könnte sie dazu neigen, einen am Ende entscheidenden Faktor zu unterschätzen: den Widerstand gegen die deutsche Dominanz. Ihre Macht ist in Europa so groß wie nie zuvor, niemals im modernen Europa wurde Deutschland als so übermächtig wahrgenommen. Das schreit geradezu nach einer Korrektur.

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