Merkel vor Koalitionsverhandlungen:Gefesselte Kanzlerin

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Angela Merkel nach der Entlassung von Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (Foto: AFP)

Durch Europa geht ein Seufzen - die anstehenden Koalitionsverhandlungen in Deutschland könnten sich hinziehen. In Brüssel stehen wichtige Entscheidungen an. Die SPD warnt die Kanzlerin bereits: "Frau Merkel ist nicht mehr legitimiert, in grundlegenden europapolitischen Fragen zu entscheiden."

Von Daniel Brössler, Berlin

Pläne zu schmieden, auch für die nähere Zukunft, ist dieser Tage nicht ganz leicht für die Bundeskanzlerin. Niemand, auch Angela Merkel nicht, kann abschätzen, wie es nach der ersten Sitzung des neuen Bundestages am 22. Oktober weitergeht. Fest steht nur: Zwei Tage nach der Sitzung muss Merkel nach Brüssel. Es tagt der Europäische Rat.

Auf der Tagesordnung stehen Punkte, die der Kanzlerin stets besonders wichtig waren. Es geht um die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen EU-Länder und die Vorbereitung wichtiger Beschlüsse zur Wirtschafts- und Währungsunion, die eigentlich während eines weiteren Rates kurz vor Weihnachten gefasst werden sollen. Eigentlich.

Eigentlich, denn Europa erlebt die bislang so mächtige Merkel als gefesselte Kanzlerin. Ihr sind die Hände gebunden, bis Koalitionsverhandlungen mit SPD oder auch Grünen zum erfolgreichen Abschluss gekommen sind. "Frau Merkel ist nicht mehr legitimiert, in grundlegenden europapolitischen Fragen zu entscheiden", warnt der Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Axel Schäfer. Keinesfalls dürfe sie Weichenstellungen vornehmen, die eine Bundesregierung mit möglicher SPD-Beteiligung dann binden.

Konkret bedeutet das, dass auf zwei europäischen Großbaustellen erst einmal nur Dienst nach Vorschrift gemacht werden kann. Beim Oktober-Gipfel soll es darum gehen, Prioritäten für die angestrebte wirtschaftspolitische Koordinierung der EU-Staaten aufzustellen. Auch auf Kriterien wollen sich die Staats- und Regierungschefs verständigen, die es ermöglichen sollen, die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten vergleichbar zu messen. Was eher technisch klingt, ist hochpolitisch, denn schließlich geht es um Bewertungen, die sich die nationalen Regierungen dann werden gefallen lassen müssen. Merkel müsste also vermeiden, Weichen zu stellen, welche ihre künftigen Koalitionäre für falsch halten.

Die zweite Großbaustelle ist die Bankenunion und hier insbesondere der Streit über die Abwicklung maroder Geldhäuser. Die EU-Kommission hat klargestellt, wer ihrer Ansicht nach über die Abwicklung entscheiden soll: sie selbst. Das ist bei Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der bisherigen schwarz-gelben Bundesregierung auf wenig Begeisterung gestoßen. Er halte die Entwürfe der Kommission zur Bankenunion für vernünftig, sagt hingegen Schäfer. Es gehe nicht an, dass Merkel wie bisher den Widerstand gegen die Kommissionspläne organisiere.

"Europäische Politik dürfte zum Erliegen kommen"

Ganz grundsätzlich dürfe Merkel ihren Kurs nicht einfach weiterverfolgen, der auf eine Schwächung der Gemeinschaftsmethode abziele zugunsten der intergouvernementalen Methode, also der Zusammenarbeit der nationalen Regierungen. In möglichen Koalitionsverhandlungen werde die SPD auf eine Wende in der Europapolitik hinwirken, kündigt Schäfer an. "Unser Kompass muss sein: Es geht nicht an, dass man die Krisenländer allein zum Sparen zwingt und dadurch kaputt macht."

Durch Europa geht bereits ein Seufzen angesichts schwieriger und vermutlich langwieriger Berliner Verhandlungen. "Die europäische Politik dürfte zum Erliegen kommen, während Deutschland sich sortiert", konstatierte die International Herald Tribune.

Natürlich laufen die Gipfelvorbereitungen trotzdem weiter, auch in den zuständigen deutschen Ministerien. Die Hoffnung, in den Verhandlungen doch noch voranzukommen, haben die Beamten nicht ganz aufgegeben - insbesondere für den Fall, dass laufende Koalitionsverhandlungen europapolitisch die Richtung weisen. Für den Fall wiederum, dass in nächster Zeit akute Krisenbewältigung in einem oder mehreren Problemländern nötig werden sollte, verweist SPD-Vizefraktionschef Schäfer auf das, was auch bisher schon gegolten habe: "Alles, was die Bundesregierung macht, muss sie sich durch den Bundestag legitimieren lassen." Und der Bundestag nehme ja am 22. Oktober seine Arbeit auf.

© SZ vom 02.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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