Merkel und Scholz beim G-20-Gipfel:Große Koalition der Rechtfertigung

Olaf Scholz Angela Merkel

Finden sich unvermittelt in einer großen Koaltion der Rechtfertigung wieder: Merkel und Scholz.

(Foto: Reuters)

Angela Merkel und Olaf Scholz wollten den G-20-Gipfel in Hamburg. Nach den Krawallen sind die CDU-Kanzlerin und der SPD-Bürgermeister aufeinander angewiesen - mitten im Bundestagswahlkampf.

Von Nico Fried, Hamburg

Angela Merkel und Olaf Scholz sitzen gar nicht so weit auseinander, als sie am Freitagabend die Teilnehmer des G20-Gipfels in die Elbphilharmonie begleiten. Auf der ersten Empore, dem Orchester genau gegenüber, hat die Kanzlerin mit ihrem Mann Joachim Sauer in der zweiten Reihe Platz genommen. In der Reihe dahinter sitzt der Hamburger Bürgermeister neben IWF-Chefin Christine Lagarde. Was Merkel und Scholz zu diesem Zeitpunkt womöglich schon ahnen: Sie werden in den kommenden Tagen noch erheblich enger zusammenrücken müssen - jedenfalls politisch.

Zwei Krawallnächte liegen hinter Hamburg: Ausschreitungen linker Gewalttäter, die im Szeneviertel zwischen St. Pauli, Altona und Eimsbüttel durch die Straßen marodierten; mehr als 200 verletzte Polizisten, geplünderte Geschäfte, ausgebrannte Autos, schockierte Anwohner. Nun werden sich die Kanzlerin und der Bürgermeister der Debatte stellen müssen, ob es eine gute Idee war, den G20-Gipfel in Hamburg auszurichten. Und ob das Vorgehen der Sicherheitskräfte dazu beigetragen hat, dass der Mob sich derart hemmungslos und brutal ausgelebt hat.

Scholz und Merkel waren entschieden für den Gipfel. Beide gaben sich vorher optimistisch. "Wir sind gut aufgestellt", sagte Scholz der Zeit. "Am Ende wir die Stadt stolz sein." Das wird sich noch zeigen. Merkel und Scholz waren in der Planung aufeinander angewiesen, jetzt müssen sie sich auch gemeinsam rechtfertigen. Als Scholz und Merkel am Freitagmorgen miteinander sprachen, dürften sie sich ihrer gegenseitigen Solidarität versichert haben.

Merkel hatte vor dem Gipfel um Verständnis geworben: "Ich weiß natürlich, dass G 20 den Hamburgern etwas zumutet", sagte die Kanzlerin, ebenfalls in einem Interview mit der Zeit. Mit Blick auf mögliche Gewalt sei sie aber sicher, "dass die Polizei alles tun wird, um das auch zu unterbinden". Am Freitagabend, kurz vor Beginn des Konzertes in der Elbphilharmonie, äußerte sich die Kanzlerin zu den Protesten. Sie habe Verständnis für friedlichen Protest, aber gewalttätige Demonstrationen brächten "Menschenleben in Gefahr" und seien "nicht zu akzeptieren", so Merkel.

Schnell kursiert das Schlagwort vom Staatsversagen

Bei ihrer Abschlusspressekonferenz wird sie sich am Samstagnachmittag auf weitere Fragen zu den Ausschreitungen einrichten müssen. Selbst mit diplomatischen Erfolgen, die nach Gipfeltreffen meist in komplizierten Formulierungen länglicher Abschlusskommuniqués daherkommen, dürfte es Merkel schwer haben, den Krawallbildern etwas entgegenzusetzen. Und wenn rund 20.000 Polizisten zwar die Gipfelteilnehmer schützen können, aber andere Teile der Stadt außer Kontrolle geraten, dann kursiert schnell das Schlagwort vom Staatsversagen.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz wandte sich in der Nacht zu Samstag in einem Video-Statement an die Öffentlichkeit. Optisch und inhaltlich erkennbar improvisierend, zählte Scholz zunächst die globalen Probleme auf, über die man auf einem G-20-Gipfel sprechen müsse: Handel, Klimawandel, Hungersnöte und Flüchtlingsschutz. Auch eine kritische Öffentlichkeit gehöre dazu. "Unvertretbar ist, wenn Gewalt angewandt wird, gegen Sachen, gegen Personen", sagte der Bürgermeister. Er sei "sehr besorgt über die Zerstörungen, die stattgefunden haben". Was Menschen ertragen mussten, die Gewalt unmittelbar erlebt hätten, bedrücke ihn. Er dankte den Polizisten, sie seien "großartige Leute" und "in einem heldenhaften Einsatz unterwegs".

Am Samstag wächst die Kritik an dem Bürgermeister und seinem Einsatz für den Gipfel in seiner Stadt. Hamburgs CDU-Oppositionschef André Trepoll wirft Scholz vor, bei der Einschätzung der Sicherheitslage versagt zu haben. CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl schließt in seiner Kritik am Tagungsort Hamburg auch die Bundesregierung ein: "Man hätte den G20-Gipfel nie in einer Millionenstadt wie Hamburg veranstalten dürfen. Die Sicherheitslage ist dort viel zu schwer zu kontrollieren", sagte er der Bild-Zeitung.

Scholz kennt das linke Spektrum seiner Stadt gut. Er war selbst Innensenator in Hamburg, wenn auch nur ein halbes Jahr. Deshalb weiß er auch, dass man es bei Polizeieinsätzen häufig nur falsch machen kann - egal, wie man es macht. Nach den Ausschreitungen in der Nacht zum Freitag wurde die Hamburger Polizei kritisiert, weil sie - wie mehrmals vorher angekündigt - kompromisslos gegen rechtswidrig vermummte Demonstranten vorging und damit zur Eskalation beigetragen haben soll. Nach dem Freitagabend lautet die Kritik nun, die Polizei habe den Geschehnissen im Schanzenviertel zu lange zugesehen und die Lage dann nicht mehr in den Griff bekommen.Merkel und Scholz kennen sich näher seit November 2007. Damals rückte der SPD-Bundestagsabgeordnete und parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion als Arbeitsminister und Nachfolger von Franz Müntefering ins Kabinett der großen Koalition nach. Obwohl sie sich in ihrer nüchternen Art durchaus ähnlich sind, verbindet Merkel und Scholz wenig jenseits der politischen Zusammenarbeit, die intern wie auch in Interviews meist respektvoll erscheint.

Schulz und Gabriel irritierten mit G-20-Kritik

In der Flüchtlingspolitik stellte sich der Hamburger Bürgermeister von Beginn an - und anders als andere Sozialdemokraten auch dauerhaft - klar hinter die Kanzlerin. Der Hamburger Bürgermeister gilt unter den Ministerpräsidenten als kundig und wird von seinem bayerischen Kollegen Horst Seehofer gerne konsultiert, wenn es um Kompromisse in finanziellen Fragen geht.

Die Kooperation bei der Vorbereitung des G20-Gipfels beschreiben beide Seiten als gut und harmonisch. Merkel wie Scholz waren irritiert, als SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und Außenminister Sigmar Gabriel kurz vor Beginn des G-20-Treffens in Hamburg forderten, solche Veranstaltungen in den Prozess der Vereinten Nationen einzugliedern und nur noch in New York zu organisieren. Den offenkundig von Wahlkampfinteressen geleiteten Vorschlag, der wie eine vorzeitige Kritik an dem Hamburger Gipfel verstanden werden konnte, konterte Scholz am Donnerstag in einer Podiumsdiskussion. Als er gefragt wurde, mit welchen drei G-20-Teilnehmern er gerne mal ein Bier trinken wolle, nannte Scholz neben Emmanuel Macron und Justin Trudeau, den aktuellen Sonnyboxs der internationalen Politik, auch die Kanzlerin von der CDU.

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