Merkel und Putin in der Ukraine-Krise:Duell zwischen guten Bekannten

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Angela Merkel Wladimir Putin auf einem Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg. (Foto: dpa)

Wladimir Putin ist Antreiber der Ukraine-Krise, Angela Merkel seine wichtigste Gegenspielerin. Die Telefondiplomatie der Kanzlerin und ihres Außenministers Steinmeier hat den vordringlichen Zweck, mit Putin in Kontakt zu bleiben. Dass die nächste Frustration nie fernliegt, entmutigt die Deutschen nicht.

Von Stefan Braun und Stefan Kornelius

Am Ende des sechsten Monats der Ukraine-Krise hat sich ein diplomatischer Rhythmus zwischen den zentralen Kontrahenten entwickelt, der an den Umgang eines Paares in einer tiefen Ehekrise erinnert. Bemerkenswerterweise wird dieser Tanz tatsächlich von einem Paar angeführt, das seit Jahren in einer symbiotischen Beziehung lebt: Wladimir Putin und Angela Merkel.

Der russische Präsident ist der Antreiber der Krise. Und die Kanzlerin hat sich als seine wichtigste Gegnerin auf der Seite des Westens etabliert. Die USA und die Institutionen der EU haben sich beim Krisenmanagement weitgehend zurückgezogen und überlassen Deutschland die Führung - was die Kanzlerin und mit ihr den deutschen Außenminister vor nicht gerade geringe Probleme stellt. Das größte: Europa und die Nato dürfen in ihrer Politik nicht auseinanderfallen. Bei jedem Gipfel, bei jedem Rat der Außenminister wird daraus ein Balanceakt zwischen denen, die längst eine härtere Sprache und Linie verfolgen möchten - und jenen, die solch einen härteren Kurs für die Zukunft nicht ausschließen, aber noch immer auf Fortschritte durch Gespräche hoffen.

Steinmeier und die angebliche Gutgläubigkeit

Mittendrin: Merkel und Frank-Walter Steinmeier. Vor allem Letzterer muss sich dabei immer wieder des Vorwurfs erwehren, er sei zu gutgläubig mit seinen immer wieder neuen Gesprächsversuchen. Dabei wollen Merkel und er darin keine Schwäche erkennen. In ihrer Logik wird ein wenig subtiler gekämpft, sie verweigern sich den Hardlinern im Kreml. Die wünschen nämlich nichts sehnlicher als ein Deutschland, das über Russlands Führung den Daumen senkt. Steinmeiers Perspektive ist: Er ärgert Putins Hardliner mehr mit Gesprächsangeboten als mit harten Worten.

Wer Angela Merkel in diesen Tagen trifft, der kann dieselbe Krisenstimmung bei ihr entdecken wie in der Hochphase der Euro-Probleme. Die Kanzlerin ist weitgehend absorbiert vom Thema Ukraine, und sie entwickelt einen geradezu unersättlichen Hunger nach Detailinformationen: die Lage jeder Straßensperre, die Zahl der besetzten Häuser in Donezk gemessen an der Zahl der Besetzungen in Kiew, die Biografien aller ostukrainischen Regionalpolitiker - Merkel hat sich auf einen Deutungs- und Informationswettbewerb eingelassen, den sie mit einem einzigen Gegenspieler austrägt: Wladimir Putin.

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Alles begann mit einer verweigerten Unterschrift. Seit der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch das Assoziierungsabkommen mit der EU ablehnte, kommt die Ukraine nicht zur Ruhe. Im Osten der Ukraine stellen sich die Minenarbeiter gegen die Separatisten.

Diese Auseinandersetzung hat das Paar über Jahre einstudiert - und oft genug ironisch überdreht. Merkel und Putin, nahezu gleichaltrig, sind auch ein Stück weit seelenverwandt, weil sie sich derselben Dialektik bedienen: Putin weiß, dass er in Merkel niemals eine ideologische Gegenspielerin haben wird und sie nur in Sachfragen überzeugen kann. Deswegen können sie am Telefon auch schon mal über die Zahl der besetzten Häuser in Kiew und Donezk streiten oder über die Namen der wirklich Einflussreichen in der Ostukraine.

Jenseits dieses fast persönlichen Duells um Zahlen und Fakten dient die Telefondiplomatie Merkels mit Putin wie Steinmeiers mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow aber dem simplen und zugleich vordringlichen Zweck, Putin eingebunden zu halten. Selbst wenn es nur minimale Fortschritte sind - es sind diese Gespräche, in denen die Idee für runde Tische diskutiert wird, in denen über eine zweite Konferenz in Genf und ihre möglichen Inhalte gesprochen wird, in denen der Weg frei geräumt wird für einen Vermittlungsbesuch des OSZE-Vorsitzenden und Schweizer Bundespräsidenten Didier Burkhalter.

Dabei lässt sich, mindestens zurzeit, eine weitgehend enge Partnerschaft zwischen Merkel und Steinmeier erkennen. Bevor der Außenminister Anfang der Woche einen neuen Fünf-Punkte-Plan lancierte, mit dem er der OSZE bei der Entwaffnung der Illegalen, bei der Anbahnung von runden Tischen und beim Anstoß für eine Verfassungsdebatte in der Ukraine eine zentrale Rolle geben möchte, hatten Merkel in Washington und er in der Schweiz Vorarbeiten geleistet. Merkel hatte im Gespräch mit Obama sichergestellt, dass der US-Präsident eine stärkere Rolle der OSZE akzeptieren und einem neuen Treffen in Genf positiv gegenüberstehen würde. Und Steinmeier hatte den OSZE-Vorsitzenden Burkhalter von einem größeren Einsatz überzeugt und danach die EU-Außenbeauftragte Ashton dafür gewonnen. So erst konnte es Mitte der Woche zu Burkhalters Treffen mit Putin in Moskau kommen.

Mittlerweile ist aus Steinmeiers Fünf-Punkte-Vorschlag ein OSZE-Vier-Punkte-Plan quasi gleichen Inhalts geworden. Das zentrale Ziel lautet, alle Versäumnisse des ersten Treffens von Genf am 17. April auszubügeln. Das heißt: Es muss konkret werden, es muss um Straßensperren gehen, um lokale Verantwortung, potenzielle Führungsfiguren. US-Außenminister John Kerry hatte sich dieser Detailarbeit zuletzt verweigert - er war noch politisch angeschlagen von seinem ähnlich gelagerten Vermittlungsversuch im Nahen Osten.

Putin hat in den vergangenen Wochen immerhin angedeutet, dass er an diesen Gesprächen doch irgendwie interessiert sein könnte. Immer wieder setzt auch er Signale, etwa bei dem frühzeitig geäußerten Eingeständnis, dass es sich bei den Bewaffneten auf der Krim selbstverständlich um russische Einheiten gehandelt habe. In diese Kategorie passt auch sein Appell von Mitte der Woche an die ostukrainischen Separatisten, von einer Abstimmung über eine Abspaltung an diesem Sonntag abzusehen. In Merkels Umfeld heißt es, Putin mache immer mal wieder das Richtige, aber das eben oft zu spät.

Dass in dieser Jojo-Beziehung zwischen Merkel und Putin, zwischen Berlin und Moskau die nächste Frustration nie fernliegt, mussten die Deutschen am Freitag erfahren, als Putin seinen Fuß auf die Krim setzte und damit klar eine von Merkel ausgesprochene Warnung ignorierte. Auch das aber mochte Berlin nicht gleich als Beleg dafür nehmen, dass nun alle kleinen Errungenschaften der vergangenen Tage wieder vom Tisch seien - wie der Appell des russischen Präsidenten an die Separatisten; wie die Signale von Russlands Außenminister Lawrow, der vorsichtiges Interesse an einer Neuauflage der Genfer Gespräche gezeigt hatte; wie die Botschaft von Putin und auch von Lawrow, die in internen Gesprächen die angepeilte Präsidentschaftswahl in der Ukraine am 25. Mai nicht mehr prinzipiell als illegitim bezeichnet hatten. Obwohl die Auseinandersetzung mit harten Bandagen geführt wird, gibt es zwischendurch hoffnungsfrohe Zeichen. Die Lage sei immerhin so, dass man weitermachen könne, sagten Steinmeier und Merkel zuletzt unisono.

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Dabei müssen beide auch mit recht unterschiedlichen internen Informationen zurande kommen. Während ihnen die Experten der deutschen Nachrichtendienste von der Lage in der Ukraine ein ziemlich düsteres Bild zeichnen, das die Hoffnungen eigentlich schwinden lassen müssten, hören sie von ihren Diplomaten, dass die Vorbereitungen insbesondere für die so zentralen Wahlen am 25. Mai nach wie vor ziemlich gut liefen. Neben dem diplomatischen Ringen mit Moskau ringen auch die eigenen Berater um die richtige Interpretation der Lage.

Das dürfte die ohnehin komplizierten Bemühungen nicht erleichtern, mit den Partnern auf einer Linie zu bleiben. Gerade das aber ist im Konflikt mit Putin besonders wichtig. Denn wenn es ein wiederkehrendes Motiv im Verhalten des Präsidenten zu entdecken gibt, dann ist es seine Geringschätzung der EU und auch der Nato. Ihre Schwäche hilft ihm, weshalb Merkel und Steinmeier genauso viel Energie aufwenden, die Geschlossenheit der Schnecke Europa in der Ukraine-Politik zu wahren. Staaten wie Zypern, aber selbst Österreich, sind anfällig für russischen Druck, weil russisches Geld nicht zuletzt in ihren Banken landet. Die Energieabhängigkeit mancher EU-Staaten von Russland ist nahezu total, Pipeline-Interessen wiegen im Zweifel stärker als das Schicksal der Ukraine.

Mäßiges Interesse an Südeuropa für die Krise

Überhaupt interessieren sich viele südeuropäische EU-Staaten nicht sonderlich für die Krise. In Spanien, Italien oder Griechenland ist man eh der Auffassung, dass die wirklichen Probleme vor der eigenen Haustür liegen, also am Mittelmeer. Unterstützung für stärkere Wirtschaftssanktionen ist von diesen Staaten deshalb nicht zu erwarten. Umso dringlicher war jene Reise, die Steinmeier mit Frankreichs Außenminister Laurent Fabius unternahm. Zum ersten Mal überhaupt traten die beiden gemeinsam auf und besuchten ganz bewusst nicht nur die Republik Moldau und Georgien, sondern auch Tunesien. Sie wollten zeigen, dass sie sich um beides kümmern und dabei sehr einig auftreten. Berlin braucht Paris - zurzeit, um Forderungen nach härteren Russland-Sanktionen gegen Osteuropäer und Briten abzuwehren. Und womöglich erneut, um bei einem Scheitern der Wahlen in der Ukraine ebendiese Sanktionen gegen die Skeptiker und Kritiker in der EU doch noch durchzusetzen.

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Diese Sanktionen sind der letzte Hebel, der den USA und der EU in ihrem Protest gegen Russland bleibt. Deswegen hat Berlin auch in den vergangenen Tagen die meiste Energie in ein neues Wenn-Dann-Szenario investiert, das Putin und die Separatisten von allzu drastischen Schritten abhalten soll. Merkel hat Putin klargemacht, dass der 25. Mai für sie und für den Westen so etwas wie der entscheidende Stichtag ist. Sollte die Wahl stattfinden und weitgehend ungestört verlaufen, dann hätten sich die Ukrainer mit neuer demokratischer Legitimation ausgestattet - ein wichtiger Schritt für eine Stabilisierung.

Um den 25. Mai herum wird Putin auch Peking besuchen. Dort muss er mit harten Worten rechnen. Die chinesische Führung, die sich vor allem um die Einheit des eigenen Landes sorgt, fürchtet, dass die Separationsbewegungen inzwischen ein völlig falsches Signal auch in ihr eigenes Reich senden. Ähnlich drastische Worte werden übrigens vom türkischen Premier Recep Tayyip Erdoğan und dem kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew übermittelt. Und dem Kreml-Chef müssen die Ohren geklungen haben, als er von der Begegnung des polnischen Premierministers Donald Tusk mit dem weißrussischen Diktator Alexander Lukaschenko hörte. Die hatten sich bisher noch nichts zu sagen.

© SZ vom 10./11.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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