Merkel und die Energiekonzerne:Die kleine Explosion der Kanzlerin

Kanzlerin Merkel trifft auf ihrer Energiereise die Chefs von RWE und Eon. Sie ärgert sich über die Bosse, die in 20 Jahren nichts gelernt haben. Dabei kennt die frühere Umweltministerin die Branche besser, als den Herren lieb sein dürfte.

Nico Fried und Claus Hulverscheidt

Ärger gehört zu jener Sorte von Gefühlsregungen, die zuweilen spontan auftreten, sich aber auch erst langsam aufbauen können. Angela Merkel jedenfalls nahm für ihre jüngste Unmutsbekundung einen längeren Anlauf:

German Chancellor Merkel poses as she visits a wind turbine park 'WIND-projekt' in Ravensberg

Kanzlerin Angela Merkel will nicht als Handlangerin der Atomindustrie dastehen. Und unter Druck setzten will sie sich erst recht nicht lassen.

(Foto: REUTERS)

Noch am vergangenen Freitag hatte sie verlauten lassen, dass sie die allseits diskutierte Zeitungsanzeige der deutschen Atombosse und drei Dutzend weiterer Kernenergie-Befürworter für einen ganz normalen, ja willkommenen Diskussionsbeitrag halte. Am Sonntag noch sagte sie in demonstrativer Gelassenheit, sie glaube gar nicht, dass die Anzeige gegen sie gerichtet sei. Allerdings müsse man die Energieversorger auch einmal daran erinnern, dass sie zu Zeiten der rot-grünen Regierung "freiwillig zugestimmt haben, dass sie aus der Kernenergie aussteigen".

Am Montag im CDU-Präsidium wurde Merkel noch deutlicher, bevor es am Dienstag vor laufender Kamera aus ihr herausplatzte: "Bei mir ist das immer so: Wenn irgendetwas in Richtung einer Drohung oder eines Gepresstwerdens führt, dann führt das bei mir meistens zu einer totalen Gegenbewegung." Sie sei Kanzlerin aller Deutschen und nicht einer einzelnen Gruppe. "Und deshalb sollte jeder einen solchen Eindruck vermeiden." Für ihre Verhältnisse war das eine Explosion, zumindest ein Explosiönchen.

Wink mit dem Zaunpfahl

An diesem Donnerstag nun trifft die Kanzlerin im Kernkraftwerk Lingen an der Ems gleich zwei der vier Strombosse des Landes, die ihre Äußerung ausdrücklich als Wink mit dem Zaunpfahl verstehen dürfen: RWE-Chef Jürgen Großmann, den Initiator der Anzeige, sowie dessen Mitstreiter und angeblichen Rivalen Johannes Teyssen, der Eon führt. Zur Begrüßung wird sie beiden mutmaßlich die Hand reichen, aber als Handlangerin der Energiekonzerne will sie nicht dastehen.

Dass in manchen Medien der Verdacht geäußert wurde, sie könne sich dem Druck der Bosse beugen, hat Merkel mit wachsendem Unmut beobachtet. Seither darf man getrost bezweifeln, dass sich die Stromversorger mit ihrem sogenannten Energiepolitischen Appell einen Gefallen getan haben. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit, dass es den Atomkonzernen gelingt, die geplante Brennelementesteuer zu verhindern und stattdessen einen sehr viel vorteilhafteren Vertrag mit der Regierung auszuhandeln, ist in den vergangenen Tagen deutlich gesunken.

Dazu beigetragen hat auch, dass Großmann bei der Suche nach Unterzeichnern seines Appells nicht zimperlich vorging und auch solche Mitstreiter einband, denen es mutmaßlich weniger um längere Kraftwerkslaufzeiten als darum ging, Merkel ganz grundsätzlich eins auszuwischen.

Eine besonders hartnäckige Branche

Dass den Strommanagern für diese absehbar kontraproduktive Entwicklung jegliche Sensibilität fehlte, dürfte Merkel kaum überrascht haben, denn die derzeit laufenden Verhandlungen über ein Energiekonzept sind nicht ihre erste Erfahrung mit der Branche. Als Umweltministerin war sie schon Mitte der 90er Jahre an den Konsensgesprächen der Regierung Kohl mit der Opposition und den Versorgern beteiligt. Mit FDP-Wirtschaftsminister Günter Rexrodt bildete sie damals ein Duo, gegen das die Nachfolger Norbert Röttgen und Rainer Brüderle manchem Zeitzeugen wie ein Liebespaar vorkommen. Aus der Erinnerung an diese Verhandlungen, die schließlich scheiterten, weiß Merkel auch, dass kaum eine Branche in Deutschland so vehement und unnachsichtig für ihre Interessen eintritt wie die Stromindustrie.

Picture shows the cooling tower and the nuclear powerplants 'Isar 1+2' in Eschenbach near Landshut

Von der Regierung hat die Atomlobby viel Gegenwind zu erwarten.

(Foto: REUTERS)

Wie schnell ihr umgekehrt der Verdacht einer zu großen Nähe zur Atomwirtschaft schaden kann, lernte Merkel 1998, als bei mehreren Castor-Transporten die Grenzwerte für die radioaktive Strahlung überschritten worden waren. Der Umweltministerin wurde damals vorgehalten, für die Vertuschung des Skandals durch die Versorger mitverantwortlich zu sein. Die Konzerne räumten später ein, die Verschmutzungen nicht gemeldet zu haben. Merkel fühlte sich, wie sie selbst sagte, von den Unternehmen "hinters Licht geführt". Und es ist bekannt, dass die heutige Kanzlerin ein gutes Gedächtnis hat.

Eine große Freundschaft wäre damals übrigens beinahe schon im Entstehen gescheitert: Der Generalsekretär der FDP hatte flugs angekündigt, seine Partei werde über "personelle Konsequenzen im Umweltministerium" sprechen, falls sich herausstellen sollte, dass Merkel Informationen über die verunreinigten Transporte zurückgehalten habe. Der Mann hieß Guido Westerwelle.

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