Merkel stellt Schröder-Biografie vor:Von Kuchen und Krampfadern

Aus den Gegnern von einst sind vielleicht keine Freunde geworden. Aber Merkel und Schröder begegnen sich heute mit Respekt - dies mag auch an einer Geste des Sozialdemokraten nach der Wahl 2005 liegen.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Der Autor hat sich lieber zwischen die beiden Kanzler gesetzt. "Man weiß ja nie", sagt der Historiker Gregor Schöllgen und grinst, als hätte er sich den ganzen Vormittag gefreut, diesen kleinen Scherz machen zu können. Als wenn die Gefahr bestünde, dass sich hier im Tagungszentrum der Bundespressekonferenz gleich Gerhard Schröder auf Angela Merkel stürzt. Oder umgekehrt.

Zugegeben: Wer noch die Bilder von der Elefantenrunde nach der Bundestagswahl 2005 im Kopf hat, kann tatsächlich auf solche Gedanken kommen. Wie Schröder damals Merkel angeblafft hat, sie werde nie Kanzlerin, niemals! Eine kolossale Fehlinterpretation des Wahlabends.

Das ist jetzt fast auf den Tag genau zehn Jahre her. Der Testosteron-Spiegel von Schröder ist seitdem wieder gesunken. Aus der Peinlichkeit wurde Kult. Schröder scheint stolz darauf zu sein, damit etwas zur bundesdeutschen Fernsehgeschichte beigetragen zu haben. "Das war ebenso lustvoll wie suboptimal", zitiert er seine Frau Doris Schröder-Köpf. "Trotzdem möchte ich das nicht missen."

Und was denkt Merkel heute über diese Fernsehrunde? "Ich war eigentlich an dem Abend ganz froh, dass so viele andere gesprochen haben. Das war eine Erleichterung", sagt sie. "Ich war dankbar, dass so viele einen größeren Drang hatten zu sprechen als ich."

Dies, obwohl sie sich sicher war, dass Schröder ihrer Kanzlerschaft nicht mehr im Wege stehen konnte. Schröder hat das dann auch verstanden und sich schnell aus den Koalitionsgesprächen zwischen Union und SPD zurückgezogen.

Es ist seitdem nicht allzu häufig vorgekommen, dass sich Merkel und Schröder öffentlich begegnet sind. Aber sie telefonieren hin und wieder miteinander, sagt Merkel. Ihre Büros arbeiten gut zusammen. Alles ganz entspannt also.

Das überrascht dann doch. Es kann kaum unterschiedlichere Politikertypen geben als diese beiden. Hier Gerhard Schröder, der Bauchpolitiker und Rabauke, aufgewachsen in bitterer Armut, als "Asozialer", wie Schöllgen schreibt. Dort Angela Merkel, die Pfarrerstochter und nüchtern-pragmatische Physikerin aus der DDR.

Merkel berichtet von einem ihrer ersten Zusammentreffen in den 90er Jahren. Sie war Umweltministerin der Kohl-Regierung. Er Ministerpräsident von Niedersachen. Es ging um die anstehenden Castortransporte mit radioaktivem Müll. Merkel erzählt, sie habe sich für das Gespräch ein Schema zurechtgelegt mit den verschiedenen gefällten und zu erwartenden Gerichtsurteilen zu den Castoren. Ergebnis: Die Castoren dürfen rollen.

Schröder hat das alles weggewischt. Er ist nur gekommen mit der Frage, wie die Castoren gestoppt werden könnten. Das Ergebnis war keines, das Schröder befriedigte. Im Rausgehen schimpfte er, bald würden seine Leute auf den Richterposten sitzen, dann würde sie schon sehen. So einer ist Schröder. So eine ist sie. Dass beide heute offenbar entspannt miteinander umgehen können, liegt wohl auch an den wenigen Gemeinsamkeiten die sie haben: Der unbedingte Wille zur Macht. Lebensläufe, die nicht haben erwarten lassen, dass sie höchste Staatsämter bekleiden würden. Und: Ein gehöriger Respekt vor der jeweiligen Lebensleistung des anderen.

Schröder war Aktion, Merkel Reaktion

Für Merkel ist es vor allem die umstrittene Agenda 2010. Eine nie dagewesene Reform der sozialen Sicherungssysteme und des Arbeitsmarktes. Sie hat es in ihrer ersten Regierungserklärung gesagt und danach immer wieder: Schröder hat sich mit dieser Reform um das Land verdient gemacht. Dass Deutschland heute so gut dasteht, "das hat ohne Zweifel mit der Agenda 2010 zu tun", sagt Merkel. So sehr sie das Land und vor allem die SPD auch zerrissen hat. Für Schröders Biografen Schöllgen macht aber genau das Schröders Stärke aus. Er hat das Notwendige getan. Mit dem Risiko, das Amt zu verlieren.

Schröder spricht davon, dass ein Kanzler antizipieren können muss, also Entscheidungen treffen muss, die Schaden erst gar nicht eintreten lassen. Merkel tickt da anders. Sie selbst sagt, ein Kanzler muss auf eine Lage reagieren können. Schröder war Aktion. Merkel ist Reaktion.

Wie jetzt in der Flüchtlingsfrage. Monatelang hat Merkel dazu geschwiegen. Erst als sich die Stimmung im Land eindeutig zugunsten der Kriegsflüchtlinge festigt, bezieht sie Position für die Flüchtlinge. Schröder hätte vermutlich aus einem Bauchgefühl heraus schon zu Beginn der aufkommenden Krise seine Position klargemacht. Wie die hätte aussehen können, zeigt er an diesem Vormittag auch gleich - obwohl er eigentlich gar nichts zu aktuellen Themen sagen wollte. Der Ausgang der Flüchtlingskrise "wird davon abhängen, wie schnell und mutig ein Einwanderungsgesetz gemacht wird", erklärt der Altkanzler - eine kleine Spitze gegen Merkels CDU, die mit dieser alten SPD-Forderung nach wie vor Schwierigkeiten hat.

Schöllgens Biografie bringt zu Schröders Politikstil keine grundlegend neuen Erklärungen. Ein paar Details aber sind überraschend. Nicht mal Schröder kannte sie. Etwa, dass sein Großvater, ein Militärarzt, eine junge Näherin geschwängert hat. Und sich dann "aus dem Staube machte", wie Schröder sagt.

Neues gibt es auch über Schröders Vater Fritz zu sagen. Von ihm wusste Schröder kaum mehr, als dass er im Krieg gefallen war. Mit gerade mal 32 Jahren in Rumänien. Davor hat er sein Geld als Hilfsarbeiter auf Jahrmärkten verdient. Das einzige bekannte Foto von ihm zeigt ihn in Wehrmachtsuniform. Es stand lange auf Schröders Kanzler-Schreibtisch.

Schöllgen konnte ihm nach seinen Recherchen ein anderes Foto zeigen. Ein Bild von Schröder Vater in Zivil. Allerdings ist es das Bild einer erkennungsdienstlichen Behandlung. Sein Vater wurde verhaftet, weil er Lebensmittel und Kleidung gestohlen hatte. Er wurde hart dafür bestraft, kam ins Gefängnis. "Das hat mich berührt", sagt Schröder.

Gut findet er auch, wie viel Raum seine Mutter Erika in der Biographie einnimmt. "Meine Mutter, die kaum Liebe erfahren hat. Aber doch in der Lage war, Liebe zurückzugeben. Die Kriege erlebt hat und Armut, eigentlich immer in Armut gelebt hat. Und doch in der Lage war, ein freudvolles Leben zu leben." Darauf legt Schröder besonderen Wert, weil es nicht selbstverständlich war für die Zeit: "Wir sind in unserem ganzen Leben nie geschlagen worden." Wäre das der Normalfall gewesen, "wären da sicher einige gebrochene Menschen weniger entstanden".

Krampfadern und Kuchen

Für Merkel neu war, dass Schröder die Musterung zur Bundeswehr nur eingeschränkt bestanden hatte. T2. Wegen - Merkel muss kichern bevor sie das Wort herausbekommt - Krampfadern! Schröder wurde dann ganz vom Dienst freigestellt, weil er der einzige lebende Sohn eines gefallenen Soldaten war.

Aus Merkel und Schröder, den politischen Gegnern von einst, sind vielleicht keine Freunde geworden. Aber zwei, die sich wohlwollend begegnen können. Vieles hat dazu beigetragen. Ganz sicher aber ein sehr spezieller Kuchen.

Amtsübergabe im Bundeskanzleramt 2005. Schröder bekommt Blumen zum Abschied, Merkel bekommt Blumen zum Antritt. Schröder drückt Merkel seinen Blumenstrauß auch noch in die Hand. Sie steht plötzlich mit zweien da. Das war etwas ungehobelt. Aber Schröder versuchte den Abschied vom Amt mit Humor zu nehmen. Natürlich mit einem Scherz auf ihre Kosten.

Was danach kommt, hat Merkel dann allerdings "unheimlich berührt": Nach der offiziellen Amtsübergebe geht sie zum ersten Mal als Hausherrin in ihr Kanzlerbüro und dort steht dann unerwartet dieser Kuchen. "Das fand ich ganz toll." Es ist die Geste eines Gentlemans. Der ist Schröder nämlich zuweilen auch, trotz aller Grobschlächtigkeit. Ungeklärt bleibt nur die Frage, ob Schröder den Kuchen selbst gebacken hat. Es würde nicht wundern.

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