Merkel in der Türkei:Nato soll Schlepper bekämpfen

Merkel in der Türkei: Merkel wird vom türkischen Ministerpräsidenten Davutoğlu im verschneiten Ankara empfangen.

Merkel wird vom türkischen Ministerpräsidenten Davutoğlu im verschneiten Ankara empfangen.

(Foto: AFP)
  • Bundeskanzlerin Merkel und der türkische Ministerpräsident Davutoğlu ziehen einen Einsatz der Nato zur Sicherung des Seegebietes zwischen Griechenland und der Türkei in Erwägung.
  • Türkische Journalisten und deutsche Oppositionspolitiker hatten vor dem Treffen von Merkel gefordert, auch die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei anzusprechen.
  • Die Türkei hat bislang mit Abstand die meisten Syrien-Flüchtlinge aufgenommen, derzeit stehen wieder Zehntausende Geflüchtete aus Aleppo an der Grenze zur Türkei.

Von Deniz Aykanat

Kanzlerin Merkel berät mit Davutoğlu zu Flüchtlingen

Während Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vom türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu in Ankara mit militärischen Ehren empfangen wird, meldet die türkische Nachrichtenagentur DHA den Tod von 33 Flüchtlingen, die auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland in der Ägäis ertrunken sind. Die erneute Tragödie zeigt, wie dringend die EU und die Türkei in der Flüchtlingskrise an einem Strang ziehen müssten.

Das Drama zeigt aber auch, dass die Türkei in dieser Krise eine Schlüsselrolle einnimmt - und am längeren Hebel sitzt. Viele Flüchtlinge wollen weg aus der Türkei. Ihre Versorgung ist schlecht, die meisten ihrer Kinder können keine Schule besuchen. Sie sehen keine Perspektive. Die Türkei hat mit Abstand die meisten Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Für ein Entgegenkommen fordert das Land Geld für deren Unterbringung von der EU.

Und so wird sich wohl die Hoffnung derer zerschlagen, die erwartet hatten, dass Merkel auch den Krieg der türkischen Regierung gegen die Kurden im Südosten des Landes und die massenhaften Verhaftungen von Journalisten und sonstigen Erdoğan-Kritikern öffentlich ansprechen wird.

Bei der Pressekonferenz mit Davutoğlu ging es ausschließlich um die Flüchtlingskrise beziehungweise darum, wie Deutschland sie mithilfe der Türkei bewältigen könnte. Hintergrund ist der Ende November zwischen der EU und der Türkei vereinbarte Aktionsplan. Die Regierung in Ankara sagte darin unter anderem zu, die Grenzen besser zu schützen und gegen Schlepper vorzugehen. Im Gegenzug hat die EU der Türkei mindestens drei Milliarden Euro für die Versorgung der nach türkischen Regierungsangaben knapp drei Millionen Flüchtlinge im Land versprochen.

Was bei dem Treffen besprochen wurde

Davutoğlu betonte mehrmals, dass die fast wöchentlichen Gespräche zwischen Deutschland und der Türkei zeigten, wie eng die Freundschaft der beiden Länder sei. Beide Länder sind sich auch einig, dass Russland und seine Bombardements die Hauptschuld an der neuerlichen Eskalation tragen. "Wir sind entsetzt über das menschliche Leid durch die Bombenangriffe - auch von russischer Seite", sagte Merkel. Berlin und Ankara setzen sich außerdem für eine Beteiligung der Nato beim Kampf gegen die Schlepper im Seegebiet zwischen Griechenland und der Türkei ein. Über diese Frage solle beim anstehenden Treffen der Nato-Verteidigungsminister gesprochen werden.

Es soll auch bereits konkrete Pläne geben, wie die Zusammenarbeit zwischen der türkischen Küstenwache und der EU-Grenzschutzagentur Frontex verbessert werden könne. Auch die polizeiliche Zusammenarbeit der beiden Länder beim Kampf gegen Schlepperbanden soll Merkel zufolge ausgeweitet werden. Merkel wies in diesem Zusammenhang auf bereits erfolgreich durchgeführte Operationen gegen Schlepper hin.

Zudem kündigte Merkel an, dass das Technische Hilfswerk (THW) die türkischen Organisationen an der Grenze zu Syrien bei der Versorgung Zehntausender Flüchtlinge aus Aleppo unterstützen werde.

Auch wolle man der Kanzlerin zufolge gemeinsam Möglichkeiten schaffen, um Kontingenten syrischer Flüchtlinge die legale Einreise in die EU zu ermöglichen, wo sie auf die Mitgliedstaaten verteilt werden könnten. Auch über die Rückführung von Nichtsyrern von Griechenland in die Türkei sprachen Merkel und Davutoğlu.

Für die bereits in der Türkei lebenden Flüchtlinge wiederholte Merkel die im Deal zwischen der EU und der Türkei vereinbarten Punkte: Zugang zum Arbeitsmarkt und schnellen Zugang zu Schulen für Flüchtlingskinder. "Wir brauchen jetzt schnell Ergebnisse. Syrische Flüchtlinge wollen eine Schule sehen", sagte Merkel bei der Pressekonferenz.

Türkische Medien appellieren an die Kanzlerin

Die türkische Gemeinde in Deutschland und mehrere Oppositionspolitiker hatten vor dem Treffen in Ankara gefordert, dass Merkel das Thema Menschenrechte ansprechen solle. Auch türkische Journalisten würden es sich offensichtlich wünschen, wenn Merkel die Misstände in der Türkei anspräche. Die regierungskritische Zeitung Cumhuriyet schreibt, das drängenste Problem seien für Merkel die Flüchtlinge. Und setzt darunter wie als Einwand in großen Lettern auf Deutsch einen Appell an die Kanzlerin: Journalisten sind im Gefängnis. Wissen Sie es nicht?

Der Chefredakteur der Cumhuriyet, Can Dündar, und der Hauptstadtkorrespondent der Zeitung, Erdem Gül, sitzen seit November in Untersuchungshaft. Ihnen wird unter anderem Unterstützung einer bewaffneten terroristischen Vereinigung vorgeworfen.

"Reisen in die Türkei sind kein Ersatz für eine eigene Flüchtlingspolitik"

Teile der Opposition sehen gleich gar keinen Sinn im Besuch der Kanzlerin. Für den FDP-Europapolitiker und EVP-Fraktionschef Alexander Graf Lambsdorff lenkt die Reise in die Türkei von den eigentlichen Problemen zu Hause in Deutschland nur ab. "Wiederholte Reisen in die Türkei sind kein Ersatz für eine eigene organisierte Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und die fehlt hier nach wie vor", sagte er im Deutschlandradio. "Es ist ein einziges Gezänk in Berlin und da wird auch eine Reise in die Türkei nichts ändern."

Die Probleme, wie etwa beim europäischen Grenzschutz an den Küsten und ein fehlendes gemeinsames Asyl- und Migrationsrecht innerhalb der EU müssten seiner Meinung nach vorrangig gelöst werden. Den anstehenden EU-Gipfel am 18. und 19. Februar hält Lambsdorff daher für weitaus wichtiger als Merkels Stippvisite in der türkischen Hauptstadt.

Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir hat Zweifel, ob der ganze Deal zwischen der EU und der Türkei und die Milliardenhilfen überhaupt etwas bringen. "Allein Bezahlen wird es nicht lösen", sagte er zu MDR Info. Dazu gehöre auch, dass die Türkei und Griechenland ihre Ressentiments beiseitelegen. Das Schlepper-Unwesen sei Teil der türkischen Ökonomie.

Der "kritik ziyaret" der Kanzlerin - ein kritischer Besuch

Bei der Pressekonferenz ist es nicht Merkel, sondern eine türkische Journalistin, die das Thema Menschenrechte anschneidet. Sie will wissen, was an den Gerüchten dran sei, dass in der Nacht zu Merkels Besuch Dutzende PKK-Kämpfer in der umkämpften Stadt Cizre im Südosten der Türkei von türkischen Truppen getötet worden seien. Davutoğlu hat sich daraufhin eine internationale Einmischung im Kampf gegen die PKK verbeten. Es gebe kein Land, das terroristische Aktivitäten innerhalb seiner Grenzen erlauben würde, sagte er. Die Türkei habe als demokratisches Land das Recht, gegen solche Kämpfer vorzugehen. Kein Land habe das Recht, der Türkei deswegen Menschenrechtsverletzungen vorzuwerfen.

Später am Tag wird Merkel noch von Recep Tayyip Erdoğan in seinem Präsidenten-Palast empfangen. In türkischen Medien wurde Merkels Besuch als "kritik ziyaret", also als kritischer Besuch beschrieben. Die Türken erwarteten also entweder eine Standpauke aus Deutschland oder aber sahen den Besuch als entscheidenden Wendepunkt an - ob nun mit negativem oder positivem Ausgang. Weder das eine noch das andere hat der Besuch bislang gebracht. Ob Merkel sich Forderungen für das Treffen mit Erdoğan aufgehoben hat, ist fraglich.

Denn in den vergangenen Tagen hat sich die Position der EU und Deutschlands als Bittsteller noch einmal manifestiert. Zehntausende Syrer sind vor der von russischen Bombardements begleiteten Offensive des Assad-Regimes aus Aleppo geflohen. Sie stranden seit Tagen an der türkischen Grenze. Wird die Türkei sie ins Land lassen?

Bisher versorgt das Land die Flüchtlinge vornehmlich auf syrischem Boden, eine humanitäre Katastrophe zeichnet sich ab. Die Situation der Menschen sei verzweifelt, erklärte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Laut Schätzungen seien fast 80 000 Syrer auf der Flucht in Richtung der syrischen Stadt Asas und des türkischen Grenzübergangs bei Kilis. Wollen Deutschland und die EU, dass die Türkei die Menschen hineinlässt, werden sie Ankara vermutlich weitere Zugeständnisse machen müssen.

Eines davon könnten Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger bei Reisen in die EU sein. Bei der Pressekonferenz von Merkel und Davutoğlu wurde allerdings nichts dergleichen konkret angesprochen. Die Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, sieht darin einen wichtigen Hebel bei den Verhandlungen. "Wenn man möchte, dass die Türkei irgendwie noch auf den demokratischen Weg zurückkehrt (...), dann muss man für Visa-Freiheit sorgen", sagte die Politikerin im ARD-Morgenmagazin.. "Das ist eine der Möglichkeiten, dass die Menschen dort sehen, wie es anders geht" - gerade für junge Bürger in dem Land." Allerdings dürfe es dafür keinen Rabatt bei den Menschenrechten geben.

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