Merkel in den USA:Unbehagen hinter Pomp und Protokoll

US-Präsident Barack Obama verleiht Angela Merkel die amerikanische Freiheitsmedaille. Doch der ehrenvolle Empfang trügt: Denn in den USA sieht man Deutschland auf einem "einsameren Kurs" - und argwöhnt, dass die Kanzlerin zu wenig Verantwortung in der Welt tragen will.

Reymer Klüver, Washington

Es wird den ganz großen Empfang geben für die Kanzlerin in Washington: Zunächst am Montagabend ein privates Dinner mit den Obamas - an dem Ehemann Joachim Sauer nicht teilnimmt, weil er am Dienstagvormittag einen Vortrag über den Effekt von Vanadium-Oxid-Katalysatoren auf einem Chemikerkongress in Detroit hält -, am Morgen darauf dann eine Begrüßung mit militärischen Ehren.

German Chancellor Merkel follows a news conference on the report of the so-called Ethics Commission for a Secure Energy Supply in Berlin

Angela Merkel in den USA: Großer Empfang - doch dahinter steckt Misstrauen.

(Foto: REUTERS)

Etwa 3800 Gäste werden dafür auf dem Rasen vor dem Weißen Haus erwartet. Am Dienstagabend schließlich bekommt Merkel die Presidential Medal of Freedom, ein Staatsbankett mit einer handverlesenen Schar von gut 200 Gästen schließt den Besuch ab.

Doch lauert hinter all dem Pomp die Frage, wie es wirklich bestellt ist um die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA, wenn man das feierliche Protokoll abzieht. Und die ernüchternde Antwort dürfte lauten: nicht zum Besten; jedenfalls nicht so gut, wie es sich die Obama-Fans in Deutschland vorgestellt hatten - wohl aus der etwas naiven Hoffnung heraus, dass nach George W. Bush alles nur besser werden könnte.

Es ist "zwingend für Amerika und unsere europäischen Verbündeten", formulierte der Obama-Berater Ben Rhodes erst kürzlich, "dass wir die Beziehungen erhalten und unsere Kooperation in der ganzen Welt ausbauen." Hinter solchen freundlichen Bemerkungen lässt sich indes der Argwohn Washingtons ausmachen, dass es in der außen- und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit den Alliierten hakt. Und einer der wichtigsten Akteure ist dabei nun einmal Deutschland.

Ein subtiles Unbehagen hat sich in Washington breitgemacht über die Deutschen. Nicht, dass die Zusammenarbeit im politischen Tagesgeschäft nicht mehr klappte. Die ist überaus eng und funktioniert meist reibungslos. Es ist vielmehr die "Enttäuschung über Deutschlands Zögern, eine Führungsrolle zu übernehmen", wie Charles Kupchan es ausdrückt, ein altgedienter Europa-Kenner vom renommierten Council on Foreign Relations, der über engste Kontakte in die Obama-Regierung verfügt.

Sorge vor einem "einsamen Kurs"

Das habe gar nicht nur mit der Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat zum Libyen- Einsatz zu tun. Diese hatte zwar zu tiefer Verärgerung im Nationalen Sicherheitsrat der USA geführt, wo angeblich sogar kurzzeitig erwogen wurde, das Programm für die Kanzlerin zusammenzustreichen. Doch Kupchan spielt das herunter. Die Enthaltung sei nichts als ein hiccup, ein kleiner Schluckauf in den Beziehungen.

Doch gebe es die grundsätzlichere Sorge, dass Deutschland international und in Europa einen "einsameren Kurs" einschlagen könnte. Als Beispiel führt er die Eurokrise und das Gezerre um die Hilfe für Griechenland an. "Die Frage ist, wie tief geht dieser Kurswechsel?", fragt Kupchan.

Auch Heather Conley, die unter dem republikanischen Außenminister Colin Powell für Europa zuständig war, formuliert sicherlich nicht nur die Erwartung konservativer Politstrategen in Washington, wenn sie sagt: "Kanzlerin Merkel muss Deutschlands Rolle in Europa und der Welt neu definieren."

In den vergangenen zwei Jahrzehnten sei Deutschland mit sich selbst beschäftigt gewesen, mit der Wiedervereinigung und den Sozialreformen. Doch nun müsse Berlin eine "Unterentwicklung" in der Außen- und Sicherheitspolitik ausgleichen und dürfe nicht "Ungewissheit" über den künftigen Kurs zulassen, wie sie mit dem Libyen-Votum aufgekommen sei. "Mit dem Wohlstand wächst die Verantwortung."

Und Jackson Janes, einer der besten Deutschland-Kenner Washingtons, sagt, dass die Deutschen dazu neigten, auf die traute Gemeinsamkeit mit den USA in der Vergangenheit zu schauen. Doch es gebe keine Debatte über die Zukunft der Beziehungen und Deutschlands Rolle in der Welt. "Merkel sollte diese Debatte führen", so Janes. "Sie tut es aber nicht."

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