Merkel in China:Verkehrte Welt in der Großen Halle des Volkes

German Chancellor Angela Merkel on China visit

Unmoralisches Angebot in der Großen Halle des Volkes: Premier Li will mit Kanzlerin Merkel beim Thema Menschenrechte kooperieren.

(Foto: dpa)

Peinliche Befragung und ein unmoralisches Angebot: Kanzlerin Merkel gerät auf ihrer China-Reise in die missliche Lage, im Beisein von Premier Li die amerikanischen Freunde rügen zu müssen.

Von Stefan Braun, Peking

So kann es gehen, wenn einem der eigene Freund mal richtig Ärger bereitet. Dann nämlich kann es passieren, dass Angela Merkel an einem Montagmorgen in Peking ein ziemlich zerknittertes Gesicht macht und Chinas Premier Li Keqiang vergnüglich in die Augen der zahlreichen Journalisten lächelt. Schuld daran tragen ausgerechnet die Vereinigten Staaten.

Verkehrte Welt irgendwie in der Großen Halle des Volkes. Aber der aktuelle Spionageverdacht gegen die US-Geheimdienste lässt auch eine Kanzlerin auf Auslandsreise nicht mehr in Ruhe. Zu herb ist der mögliche Vertrauensbruch durch die Amerikaner. Da kann man auch fern der Heimat nicht mehr so tun, als sei nichts gewesen.

Dabei hätte Merkel den Spionagefall wenigstens hier in China gerne durch Ignorieren beerdigt. Doch als auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem chinesischen Regierungschef die Frage nach den Auswirkungen der Affäre gestellt wird, sieht sie keine Möglichkeit mehr, an diesem Kurs festzuhalten. Also sagt sie, irgendwie immer noch betont vorsichtig: "Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, dann steht das für mich in einem klaren Widerspruch zu dem, was ich unter einer vertrauensvollen Zusammenarbeit der Dienste und auch zwischen Partnern verstehe."

Das soll nicht nach harscher Kritik klingen. Aber die Botschaft gen Washington lässt sich nicht mehr leugnen. Den Menschen zu Hause wäre ein Schweigen nur noch schwer zu erklären gewesen. Merkel spricht von einem "sehr ernsthaften Vorgang". Das passt ein klein wenig auch zu ihrem eigenen Auftritt.

Der nämlich ist hoch unangenehm, weil sie damit getan hat, was sie vermeiden wollte: Die deutsche Kanzlerin kritisiert ausgerechnet auf chinesischem Boden die amerikanischen Freunde. Und ihr chinesischer Gastgeber, das macht die Sache nicht besser, kann sich ein Lächeln nicht mehr verkneifen. Als Li gefragt wird, was er denn von Berichten halte, dass auch China eine aggressive Cyber-Spionage betreibe, antwortet er in aller Ruhe, Deutschland und China seien in dieser Frage in Wahrheit beide Opfer. Peking lehne solche kriminellen Raubaktionen gegen Geschäftsgeheimnisse und geistiges Eigentum entschieden ab. Deshalb sei China selbstverständlich gerne bereit, im Kampf gegen diese Verbrechen mit Berlin zusammenzuarbeiten.

Da ist der Satz, der Merkel schmerzen dürfte. Plötzlich kann die chinesische Seite so tun, als seien nach NSA-Skandal und BND-Spion plötzlich ganz andere Allianzen möglich. Wer die Berichte des deutschen Verfassungsschutzes kennt, in denen die chinesischen Versuche der Wirtschafts- und Cyber-Spionage als besonders aggressiv beschrieben werden, kann sich leicht vorstellen, wie Lis Angebot sich für Merkel anfühlt. Doch statt an der Stelle offen zu widersprechen (was in der Sache durchaus angemessen wäre), müht sich die Kanzlerin, nach allen Richtungen sauber Abstand zu halten. Deutschland lehne Cyber-Spionage ab und unternehme alles, um sich und seine Unternehmen zu schützen. Sicher, auf der Welt gebe es derlei leider. Deutschland aber glaube nicht, "dass man damit erfolgreich sein kann." Es ist der Versuch, neutral aufzutreten.

Ein unmoralisches Angebot

Dabei, so ist das manchmal, hätte der Tag auch von einer ganz anderen Botschaft geprägt werden können. Einer, die üblich ist zwischen Berlin und Peking. Einer, die von Wirtschaftsverträgen handelt und von einer zwar schwierigen, aber nötigen Debatte über die Menschenrechtslage. Bevor die Fragen zu den Spionen kommen, verfolgen Li und Merkel eine Zeremonie zur Unterzeichnung einiger Wirtschaftsverträge - und betonen anschließend ihren Willen, die strategische Partnerschaft weiter auszubauen. So sehr beschwört Li den Wunsch nach einer noch engeren Zusammenarbeit, dass er sich irgendwann in die Formulierung versteigt, er wolle in die tiefe, intensive, breite und strategische Partnerschaft noch einmal "neue Dynamik hineinpumpen".

Und um seine Ernsthaftigkeit bei diesem Ziel unter Beweis zu stellen, verspricht er, die Reformen in allen Bereichen vehement fortzusetzen. Das gelte für die Wirtschaft, für die Gesellschaft, für den Umweltschutz, für die Bildung und für die Menschenrechte. Für die Menschenrechte? Genau. Li verspricht an diesem Morgen genau das. Selbst wenn man das nicht glauben muss angesichts der zuletzt wieder viel schlechteren Menschenrechtslage - der Satz ist gesagt. Und es hätte sich durchaus gelohnt nachzufragen, wie ernst er das wirklich gemeint hat.

So aber bleiben an diesem Tag die Spione das wichtigste Thema. Und dazu die Frage, warum Merkel ihre Botschaft Richtung Washington nicht schon am Vorabend versandt hat. Gefragt wurde sie danach mehr als einmal. Dann hätte sie die zwei Sätze loswerden können, ohne neben dem chinesischen Premier stehen zu müssen. So kann es gehen, wenn es mal nicht so gut läuft mit Merkels berühmtem Gespür für den richtigen Zeitpunkt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: