Merkel in Ankara:Seite an Seite in Not

Merkel in Ankara: Ihre Finger weisen schon in dieselbe Richtung: Vom Balkon seines Palastes aus zeigt der Premierminister Davutoğlu seinem Gast das winterliche Ankara.

Ihre Finger weisen schon in dieselbe Richtung: Vom Balkon seines Palastes aus zeigt der Premierminister Davutoğlu seinem Gast das winterliche Ankara.

(Foto: Adem Altan/AFP)

In der Flüchtlingspolitik ist Deutschland der Türkei näher als vielen Nachbarn: Beide Länder hielten lange ihre Grenzen offen. Doch die Kanzlerin besucht einen problematischen Partner.

Von Mike Szymanski, Ankara

Der Besuch der Kanzlerin in Ankara kam überraschend. Aber gehetzt zu wirken, diesen Eindruck will Angela Merkel gar nicht erst aufkommen lassen. Sie nimmt sich Zeit für ihren Gastgeber, Regierungschef Ahmet Davutoğlu. Sie stehen Seite an Seite auf dem Balkon des Premiers-palastes, der wie eine Miniatur von Erdoğans Staatspräsidentenpalast aussieht. Ringsum Wald und schneebedeckte Tannen. Davutoğlu fuchtelt mit dem Zeigefinger in der Luft herum. Er zeigt sein Ankara. "Yes, yes", hört man Merkel sagen.

Davutoğlu und Merkel haben sich oft gesehen in den vergangenen Wochen. Im Oktober war Merkel das erste Mal seit Jahren wieder in die Türkei gereist. Die Flüchtlingskrise hatte sie zur Visite gezwungen. Die Erdoğan-Türkei war ihr fremd geworden. Politische Gegner werden von der Justiz verfolgt, kritische Journalisten ins Gefängnis gesperrt. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan führt sich oft wie ein Sultan auf. Merkel kann damit umgehen, sie mag ein solches Auftreten aber nicht. Wenn sie früher kam, wollten die Politiker in der Regel etwas von ihr. Das ist der Unterschied zu heute. Jetzt kommt Merkel mit den Bitten. In der Flüchtlingskrise ist sie darauf angewiesen, dass die Türkei die Zahl der Hilfesuchenden, die nach Europa kommen, möglichst schnell reduziert. Nur so geht ihre Strategie zur Bewältigung der Krise vielleicht noch auf. Deshalb ist sie nach Ankara geflogen. Sie hat kaum eine andere Wahl, denn über ihr politisches Schicksal entscheidet die Türkei mit.

Zweieinhalb Millionen Syrer hat das Land am Bosporus bereits aufgenommen

In der Flüchtlingspolitik sind die Ansätze beider Regierungen gar nicht einmal so unterschiedlich. Als Merkel im vergangenen Jahr die Grenzen öffnete und die Züge mit Flüchtlingen ins Land ließ, tat sie das im Glauben, aus menschlichen Gründen keine andere Wahl zu haben. Die Türkei hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zweieinhalb Millionen Syrer aufgenommen, ohne dass es im Land eine große Diskussion darüber gegeben hatte. Merkel und die Türken verbindet die Politik der offenen Grenzen - und die Probleme, die daraus erwachsen sind. Es ist jetzt das erste Mal, dass man auch von türkischer Regierungsseite zu hören bekommt: Wir stoßen an unsere Grenzen. Wir können nicht mehr. Auch die Türken hatten die Obergrenzen-Debatte. Sie sollte bei 100 000 Flüchtlingen liegen. Das war im Jahre 2012. Und sie war auch wieder nach zwei Monaten erledigt, weil sie da schon überschritten wurde.

In Ankara schlägt der Kanzlerin nicht nur mehr Verständnis entgegen, als sie in Teilen ihrer eigenen Regierung erfährt, sondern auch Respekt. Gerade erst war Erdoğan öffentlich über jene EU-Länder hergezogen, die derzeit diskutieren, von Flüchtlingen Wertgegenstände zu beschlagnahmen. "Unmenschlich" nannte er das. Kein Verständnis haben die Türken für jene Länder, die sich weigern, auch nur ein paar Tausend Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Daran verzweifelt auch Merkel, die der Türkei am Montag wieder in Aussicht stellte, Kontingente an Flüchtlingen abzunehmen. In der Flüchtlingsfrage sind die Türkei und Deutschland sich näher als Deutschland und viele Nachbarländer, die sich längst Teil der EU-Familie nennen dürfen. Merkel ist es auch, die sich in der EU dafür stark macht, dass die Türkei die bereits zugesagten drei Milliarden Euro an Flüchtlingshilfe erhält.

Das ändert nichts daran, dass sich Merkel einen schwierigen Partner ausgesucht hat. Just an dem Tag, als sie in Ankara eintrifft, veröffentlicht die pro-kurdische Partei HDP neue Zahlen über Opfer, die im wieder aufgeflammten Kurdenkonflikt im Südosten des Landes ums Leben gekommen sein sollen. In der seit Mitte Dezember vom türkischen Militär belagerten Stadt Cizre seien Dutzende teils verbrannte Leichen in Kellern gefunden worden. Den Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat hat die Türkei lange vernachlässigt. Den gegen die Kurden führt sie dafür um so erbitterter.

Davutoğlu empfängt die Kanzlerin mit militärischen Ehren. Zusammen schreiten sie auf einem hellblauen Teppich die Ehrenformation ab. Auf halber Höhe stoppen sie und wenden sich den Soldaten zu: "Merhaba Asker", sagt Merkel, "guten Morgen, Soldaten." Für die Opposition hat sie aber auch dieses Mal keine Zeit.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: