Merkel in Afrika:Kurz auf Freigang

Nach Wochen fruchtloser Sondierungen ist die Kanzlerin für 24 Stunden wieder Weltpolitikerin. Doch die heimischen Probleme sind mitgereist zum EU-Afrika-Gipfel. Auch dort wird sie gefragt: Was wird nun in Deutschland?

Von Nico Fried, Abidjan

EU-Afrika-Gipfel

„Mister President, grüß’ Sie!“: Mit einer Umarmung und einer ungewöhnlichen Formel begrüßte Kanzlerin Angela Merkel Ghanas Präsidenten Nana Akufo-Addo.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Es geht abwärts für Angela Merkel. Stufe um Stufe. Am Anfang hält sie sich noch mit der rechten Hand am Geländer, dann lässt sie los. Ihr Abstieg ist unaufhaltsam, bis sie am Ende der Gangway vom Präsidenten der Elfenbeinküste persönlich begrüßt wird, Küsschen rechts und links. Die Bundeskanzlerin ist hier sehr willkommen. Die Uhr zeigt kurz nach 22 Uhr am Dienstagabend in Abidjan, und bei 27 Grad kann man durchaus von einem warmen Empfang sprechen.

24 Stunden verbringt Merkel in Abidjan für den Gipfel von Europäischer und Afrikanischer Union. Der Kanzlerin muss diese Reise vorkommen wie Freigang aus dem Stubenarrest der Regierungsbildung. Es ist nach all den ergebnislosen Sondierungen in Berlin ein Abstecher zu wirklich großen Problemen. Nachdem man sich in Deutschland nicht einigen konnte, wie man den Soli bis 2021 senken soll, geht es hier um Armut, Hunger, Wassermangel, Klimawandel, Migration, Sklavenhandel und Terrorismus. Unter anderem.

Auch die Reiseroute Merkels erschien wie eine Erinnerung daran, dass es noch andere Probleme zu lösen gibt als die Suche nach Koalitionen. Über das Mittelmeer flog die Kanzlermaschine hinweg, wo noch immer Menschen ertrinken; über Algerien, wo viele Migranten auf dem Weg nach Norden hängen bleiben; über Mali, wo deutsche Soldaten die nationale Armee ausbilden; vorbei an Niger, einem der ärmsten Staaten überhaupt, mit dem die Bundesregierung seit gut zwei Jahren intensiv kooperiert, auch um den Flüchtlingsstrom einzudämmen, der sich durch das Land nach Norden bewegt. Aus Deutschland gibt es Geld für den Aufbau eines Passwesens und für Bildungseinrichtungen. Eine neue Schule wurde jüngst nach Angela Merkel benannt.

Etwa 80 Delegationen nehmen an dem Gipfel teil: Präsidenten, Premiers und auch ein König

Aber die heimatliche Hängepartie lässt sich im Ausland nicht ignorieren. Merkel wird von Kollegen ständig gefragt, was nun werde in Deutschland. Manchmal wartet sie das Thema gar nicht mehr ab. Dem nigerianischen Präsidenten antwortet sie schon auf die harmlose Begrüßungsfrage nach dem Befinden: "Na ja, wir brauchen eine neue Regierung." Er habe davon gehört, sagt Muhammadu Bahari und lacht.

Andererseits kann man an Abidjan auch sehen, wie die Machtfrage andernorts geklärt wird. Die Elfenbeinküste hatte sich nach der Unabhängigkeit wirtschaftlich gut entwickelt, wurde aber durch Bürgerkriege immer wieder zurückgeworfen, zuletzt 2010, nachdem der frühere Präsident Laurent Gbagbo seine Wahlniederlage nicht hatte akzeptieren wollen. Mittlerweile hat sich das Land unter Alassane Ouattara wieder erholt, die Wirtschaft wächst, wenn auch auf niedrigem Niveau.

Circa 80 Delegationen nehmen an dem Gipfel teil, Präsidenten, ein König, Regierungschefs. Merkel hätte zu Hause bleiben, weiter Koalitionen sondieren können. Aber dann hätte sie den Vorwurf riskiert, das Gerede von der Fluchtursachenbekämpfung sei nur Show gewesen.

Im Mittelpunkt des Gipfels steht die Jugend Afrikas. Bessere Bildung, vor allem für Mädchen, soll das Bevölkerungswachstum abbremsen, eine Ursache für Armut und Migration. Die EU erwägt, Kontingente für Auszubildende und Studenten anzubieten - wenn die Absolventen ihre Fähigkeiten anschließend in ihrer Heimat einsetzen. Auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für mehr private Investitionen werden diskutiert.

Deutschland ist willkommen, da es in den meisten Ländern keine koloniale Vergangenheit hat

Das Problem der Migration spiele in Afrika "wirklich flächendeckend eine Rolle", sagt Merkel. Durch Berichte, dass junge Afrikaner in Libyen wie Sklaven verkauft würden, habe das Thema "hohe emotionale Bedeutung bekommen", so die Kanzlerin. Man habe ein gemeinsames Interesse, die illegale Migration zu beenden. Noch für den Mittwochabend kündigen Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ein Sondertreffen zu Libyen an, auf dem Hilfsmaßnahmen beraten werden sollen. Später verlautet aus Regierungskreisen, dass der libysche Premier Flüchtlingsorganisationen künftig Zugang zu den Lagern in seinem Machtbereich gewähren will.

Merkel hat die deutschen Aktivitäten in Afrika erhöht, manches im Verbund mit Partnern wie Frankreich und Italien, anderes in Kooperation mit der EU und zuletzt auch im Vorsitz der G 20. Eine Systematik des europäischen Engagements entwickelt sich aber nur sehr allmählich. Die Kanzlerin hat die Erfahrung gemacht, dass Deutschland willkommen ist, weil es in den meisten Staaten unbelastet von einer kolonialen Vergangenheit auftreten kann.

Viele ihrer Gesprächspartner kennt Merkel schon. Es gibt zur Begrüßung Küsschen und handfeste Umarmungen. "Mister President, grüß' Sie!", heißt Merkel den ghanaischen Staatschef willkommen. So viel Wertschätzung wie hier hat sie in Berlin seit Wochen nicht mehr erhalten.

Andererseits steht Deutschland allenfalls am Rand, wenn Konflikte richtig hochkochen. Auch dafür ist die Elfenbeinküste beredtes Beispiel: Es waren die Franzosen, die hier militärisch intervenierten. Nicht anders in Mali, wo die Bundeswehr Frankreich nun immerhin entlastet. Die Maschine des französischen Präsidenten steht schon zwei Parkplätze weiter, als Merkel in Abidjan landet. Auch politisch ist Emmanuel Macron in diesen Wochen schneller unterwegs als Merkel. Während er von einer Grundsatzrede zur nächsten eilt, studiert Merkel einstweilen nur das Grundgesetz, insbesondere die Artikel zu Kanzlerwahl, Minderheitsregierung und Neuwahlen.

Drei bei Steinmeier

Seit der Bundestagswahl sind mehr als zwei Monate vergangen - und es ist immer noch unklar, wie die nächste Regierung aussehen wird. An diesem Donnerstag unternimmt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier deshalb einen weiteren Versuch, Verhandlungen zwischen Union und SPD in Gang zu bringen. Er hat die Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD zu einem gemeinsamen Gespräch ins Schloss Bellevue geladen. Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz kommen zum ersten Mal in dieser Form zusammen. Schulz sagte am Mittwoch beim Deutschen Arbeitgebertag, er könne "beim besten Willen nicht sagen, was das Ergebnis dieser Gespräche sein wird". Merkel strebt eine große Koalition an, viele in der SPD können sich aber - wenn überhaupt - nur eine von den Sozialdemokraten tolerierte Minderheitsregierung vorstellen. Die SPD-Spitze hatte eine große Koalition am Tag nach dem Scheitern der Sondierung für ein Jamaika-Bündnis noch einmal ausgeschlossen und tut sich jetzt entsprechend schwer, ihren Kurs zu wechseln.

Der Alleingang von Agrarminister Christian Schmidt (CSU) bei der Verlängerung des Einsatzes des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat hat zwar zu heftiger Kritik der SPD geführt. Allerdings überwog am Mittwoch die Einschätzung, dass der Fall Sondierungen zwischen Union und SPD nicht verhindern wird. Das Vorgehen Schmidts werde aber den Preis erhöhen, den die Sozialdemokraten von der Union verlangen werden. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnte die SPD deshalb vor zu weitgehenden Forderungen. Er sagte, die SPD wisse "doch ganz genau, dass sie mit 20 Prozent nicht 100 Prozent ihrer Forderungen umsetzen kann". Robert Rossmann

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