Erneute Kanzlerkandidatur von Angela Merkel:"Sie kennen mich" reicht nicht mehr

Die Kanzlerin tritt wieder an, die CDU ist erleichtert. Doch innenpolitisch laufen immer mehr Debatten an Merkel vorbei. Und ein Wahlkampf als Welt-Staatsfrau wird nicht genügen.

Kommentar von Robert Roßmann

Es hat lange gedauert, sehr lange. Monatelang hat Angela Merkel die Entscheidung hinausgezögert - wohl auch, weil sie sich selbst nicht sicher war. Aber jetzt ist der Druck zu groß geworden. Nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten richtet sich der Blick wie nie zuvor auf die Kanzlerin. Großbritannien verlässt die EU, die Türkei driftet Richtung Diktatur, und in ganz Europa feiern die Rechtspopulisten Erfolge. Kann in so einer Lage die deutsche Kanzlerin einfach aufhören? Merkel hat die Frage jetzt beantwortet.

Sie will weitermachen, als CDU-Chefin und als Kanzlerin. In vielen europäischen Regierungen sorgte diese Nachricht am Sonntag für Erleichterung. Wie angesehen Merkel international ist, haben gerade die Lobpreisungen Barack Obamas bei seinem Berlin-Besuch gezeigt.

Aber was bedeutet Merkels Entscheidung für die CDU? Denn hierzulande ist die Kanzlerin mitnichten so unumstritten, wie es die internationalen Hymnen auf "die letzte Verteidigerin des freien Westens" vermuten lassen. Kaum etwas hat Deutschland in den vergangenen Jahren derart polarisiert wie Merkels Flüchtlingspolitik. Die CDU hat eine Landtagswahl nach der anderen verloren. Und der Verlauf der Kandidatensuche für das Bundespräsidenten-Amt hat gezeigt, dass die Kanzlerin gar nicht so unschlagbar ist, wie viele glauben.

Merkel ist es gelungen, die CDU für den gesellschaftlichen Wandel zu öffnen

Die Ankündigung Merkels ist also Anlass, eine Bilanz über ihr Wirken als CDU-Chefin zu ziehen. Seit den Siebzigerjahren, als Helmut Kohl zusammen mit seinen Generalsekretären Biedenkopf und Geißler aus der Honoratioren- eine Mitgliederpartei formte, wurde die CDU nicht mehr so stark modernisiert wie in der Ära Merkel. Wer ermessen will, wie groß der Weg ist, den die CDU dabei gegangen ist, muss nur auf den 10. April 2000 schauen. An diesem Tag wurde Merkel CDU-Chefin.

Die letzte Rede vor ihrer Wahl auf dem Parteitag in Essen hielt Hans Filbinger - der Mann, der als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurücktreten musste, weil er als NS-Marinerichter Todesurteile gegen Deserteure verhängt hatte. In seiner Rede wetterte Filbinger gegen das Abtreibungsrecht, die Zulassung homosexueller Lebenspartnerschaften und die "Geschichtsklitterung" in Schulbüchern, in denen es oft zu sehr um das Dritte Reich gehe. Filbinger wurde nicht ausgebuht, sondern beklatscht. In der CDU gab es am ersten Tag der Ära Merkel noch viele, die sich heute in der AfD wohlfühlen würden.

Begreift Merkel die Innenpolitik nur noch als Niederung?

Merkel ist es gelungen, die CDU für den gesellschaftlichen Wandel zu öffnen. Dabei war sie manchmal zwar Getriebene - in der Regel aber treibende Kraft. Merkel konnte ihre Partei zurück ins Kanzleramt und 2013 sogar fast zur absoluten Mehrheit im Bundestag führen. Doch auf diesem Weg hat ihre innenpolitische Spannkraft nachgelassen. Immer häufiger scheinen die Debatten an ihr vorbeizulaufen.

Wo steht Merkel in der Renten-, der Steuer-, der Klima- oder der Sicherheitspolitik denn nun genau? Wie will sie der AfD die Wähler wieder abspenstig machen? All das können einem sogar CDU-Vorstandsmitglieder kaum noch sagen. Besonders deutlich wird diese Unklarheit in der Flüchtlingspolitik. Da hat Merkel einen Kurswechsel hinter sich, bestreitet ihn aber. Das Fiasko der Kanzlerin bei der Bundespräsidenten-Suche ist nur der neueste Beleg für die Schwäche, die Merkel in der Innenpolitik schon seit Längerem zeigt.

Im elften Jahr ihrer Kanzlerschaft scheint Merkel - wie manche ihrer Vorgänger - die Innenpolitik nur noch als Niederung zu begreifen. Das mag angesichts der Dimension der Krisen in der Welt verständlich sein. Ein Fehler ist es trotzdem. Ein Wahlkampf, in dem Merkel vor allem als Weltstaatsfrau punkten möchte, wäre für die CDU gefährlich.

Merkel muss mehr Inhalte wagen

Helmut Kohl - immerhin Kanzler der Einheit, Garant des Euro und späterer Ehrenbürger Europas - warb 1998 mit dem Slogan "Weltklasse für Deutschland" für sich. Das Ergebnis ist bekannt. Trotz seines internationalen Renommees, auch er war damals der erfahrenste Regierungschef Europas, musste Kohl aus dem Kanzleramt weichen. Am Ende interessieren sich Wähler mehr für Arbeitsplätze, Schulen, innere und soziale Sicherheit zu Hause als für den Friedensprozess in Afghanistan oder Syrien. Das mag angesichts der Verflechtungen in der Welt zu kurz gedacht sein, es ist aber so.

Wenn Merkel nicht nur dank der Dauer-Schwäche ihrer politischen Gegner für eine vierte Amtszeit gewählt werden will, wird sie nicht umhinkommen, den Deutschen zu sagen, was sie mit diesem Land vorhat. Ihr schlichtes "Sie kennen mich" reicht nicht mehr. Merkel braucht eine neue Begründung für eine weitere Kanzlerschaft - sie muss mehr Inhalte wagen. Im Leitantrag ihrer CDU, er ist der Nukleus für Merkels Wahlprogramm, ist davon allerdings noch nichts zu erkennen.

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