Überblick:Die politischen Gefangenen der Türkei

Free Deniz

Der bekannteste politische Häftling in der Türkei ist Deniz Yücel

(Foto: dpa)
  • Nach Angaben des Auswärtigen Amts sitzen insgesamt noch sechs Deutsche aus politischen Gründen in türkischen Gefängnissen.
  • Der bekannteste Gefangene ist der Welt-Journalist Deniz Yücel.
  • Auch zahlreiche türkische Journalisten und Aktivisten sind noch immer im Gefängnis. Ihnen drohen teilweise jahrzehntelange Haftstrafen.

Seit dem Putschversuch in der Türkei im Sommer 2016 sind etwa zwei Dutzend Deutsche aus politischen Gründen festgenommen worden, viele von ihnen sind inzwischen wieder freigekommen. Nach Angaben des Auswärtigen Amts sitzen aber insgesamt noch sechs Deutsche aus politischen Gründen in türkischen Gefängnissen - darunter Deniz Yücel, dessen Name als einziger bekannt ist.

31 deutsche Staatsbürger dürfen zudem wegen einer Ausreisesperre die Türkei nicht verlassen, so das Außenministerium. Unter ihnen ist die Journalistin Meşale Tolu. Sie war kurz vor Weihnachten aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Der Prozess gegen sie läuft weiter.

Den meisten Inhaftierten wirft die Türkei vor, die Bewegung des im Exil lebenden Predigers Fetullah Gülen zu unterstützen. Die türkische Regierung hält Gülen für den Drahtzieher des gescheiterten Staatsstreichs.

Deniz Yücel: Der bekannteste Fall eines inhaftierten Deutschen ist der des Welt-Korrespondenten, der seit mehr als einem Jahr in Haft sitzt. Am 14. Februar wurde der Reporter festgenommen, erst im April durfte ihn ein deutscher Diplomat besuchen. Wegen seiner Berichterstattung wirft die türkische Justiz Yücel Terrorpropaganda vor. Der in Flörsheim am Main geborene Publizist besitzt sowohl die türkische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Ein Jahr nach seiner Festnahme gibt es nun erstmals konkrete Anzeichen, dass Yücel bald freikommen könnte. "Ich hoffe, dass er in kurzer Zeit freigelassen wird", sagte der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım. Ähnlich zuversichtlich äußerte sich auch der amtierende Bundesaußenminister Sigmar Gabriel.

Peter Steudtner: Der Menschenrechtler Peter Steudtner saß mehr als 100 Tage wegen angeblicher Unterstützung von Terrororganisationen in türkischer Haft. Ende Oktober wurde er freigelassen und reiste noch am gleichen Tagzurück nach Deutschland. Die Prozesse gegen ihn und zehn weitere Amnesty-International-Mitarbeiter laufen inzwischen in seiner Abwesenheit weiter.

Meşale Tolu Çorlu: Die deutsche Journalistin und Übersetzerin war Ende April in einer dramatischen Aktion festgenommen worden: Nachts brachen Polizisten ihre Wohnungstür auf und richteten ihre Waffen auf die Frau. Ihren zweijährigen Sohn musste sie bei Nachbarn zurücklassen, später lebte er mit seiner Mutter im Gefängnis. Ihr Mann saß ebenfalls bis zu seiner Freilassung Ende November in Haft. Tolu wurde einige Wochen später ebenfalls aus der Haft entlassen, darf die Türkei aber bis heute nicht verlassen. Ihr Prozess wird im April 2018 fortgesetzt. Ihr werden "Terror-Propaganda" und die Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe vorgeworfen. Obwohl sie Bundesbürgerin ist, musste sie einen Monat auf konsularischen Beistand warten.

David B.: Mehr als ein halbes Jahr saß der Familienvater aus Schwerin im Osten der Türkei in Haft. Er war im November 2016 zu einer Pilgerreise mit Stationen im polnischen Auschwitz und in Bulgarien nach Jerusalem aufgebrochen. In Antakya nahe der Grenze zu Syrien war der Erzieher festgenommen worden. Was ihm vorgeworfen wird, ist auch nach seiner Freilassung kurz vor Weihnachten unklar. Aber die türkischen Behörden glaubten ihm offenbar nicht, dass er als Pilger unterwegs war. Er saß monatelang im berüchtigten Abschiebelager in Erzurum ein. Er ist inzwischen wieder in Deutschland.

Ali Ince: Der Frührentner aus dem nordrhein-westfälischen Düren saß mehrere Monate hinter türkischen Gittern. Er ist inzwischen freigelassen worden, muss aber in der Türkei bleiben. Ince wurde im Sommer 2016 offenbar denunziert und wenige Tage nach dem Putschversuch festgenommen. Erst nach Monaten erfuhr er, was ihm zur Last gelegt wurde: Unterstützung einer Terrororganisation. Ince gehört zu denjenigen, denen wegen ihrer doppelten Staatsangehörigkeit in der Türkei kein konsularischer Beistand aus Deutschland gewährt wird.

Özel Sögüt: Der Unternehmer aus Siegen ist inzwischen auch auf freiem Fuß, darf aber die Türkei nicht verlassen. Er war im Dezember 2016 festgenommen worden. Die Behörden werfen ihm vor, der Bewegung des Predigers Fetullah Gülen anzugehören, was seine Familie bestreitet. Möglicherweise hat er lediglich eine Solaranlage an eine Gülen-nahe Firma verkauft. Der Unternehmer hat türkische Wurzeln, besitzt aber nur die deutsche Staatsangehörigkeit. Trotzdem durfte er erst drei Monate nach seiner Festnahme Besuch von einem deutschen Konsulatsmitarbeiter erhalten.

Mehr als 100 Journalisten im Gefängnis

Die von Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan immer autoritärer regierte Türkei gilt als eines der Länder, in dem weltweit die meisten Journalisten inhaftiert sind. Nach dem Putschversuch haben die Behörden weit mehr als 100 Journalisten in Gewahrsam genommen und zahlreiche Aktivisten verhaftet. Auch mehrere Zeitungen und Sender ließen die Behörden schließen. Ein Überblick über bekannte Fälle:

Taner Kılıç: Der Vorsitzende der türkischen Sektion von Amnesty International stand gemeinsam mit dem deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner in Istanbul vor Gericht. Anders als dieser muss der türkische Staatsbürger allerdings weiter in Untersuchungshaft bleiben, da er in einem weiteren Verfahren in Izmir angeklagt ist. Anfang Februar kippte ein Istanbuler Gericht seine eigene Entscheidung für eine Haftentlassung.

Kılıç war Anfang Juni zusammen mit anderen Anwälten in Izmir festgenommen worden, die ebenfalls im Verdacht stehen, zur Gülen-Bewegung zu gehören. Dass Kılıç auch in dem Prozess gegen Steudtner und andere Menschenrechtler in Istanbul angeklagt ist, begründet die Justiz damit, dass er von dem Workshop wusste, an dem die Aktivisten vor ihrer Festnahme teilgenommen hatten.

Kılıç wird vorgeworfen, die verschlüsselte Messaging-App ByLock auf seinem Smartphone gehabt zu haben, was er entschieden bestreitet. ByLock wurde laut den Behörden von der Gülen-Bewegung für die Planung des gescheiterten Militärputsches verwendet und wird als ausreichender Beweis für die Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung gewertet. Laut Amnesty haben zwei Untersuchungen gezeigt, dass Kılıç die App niemals auf seinem Telefon installiert hatte.

Mehrere Mitarbeiter der regierungskritischen türkischen Tageszeitung "Cumhuriyet": Teilweise sitzen die Journalisten seit etwa einem Jahr hinter Gittern. Obwohl einzelne Cumhuriyet-Mitarbeiter inzwischen aus der Haft entlassen wurden, ist die Führung der Zeitung - Chefredakteur Murat Sabuncu, Herausgeber Akın Atalay sowie der bekannte Investigativjournalist Ahmet Şık und der Buchhalter Emre İper - immer noch im Gefängnis. Den insgesamt 17 Angeklagten im Prozess drohen teilweise mehr als 40 Jahre Gefängnis. Auch gegen den inzwischen in Deutschland lebenden ehemaligen Chefredakteur Can Dündar läuft derzeit noch ein Verfahren.

Den Journalisten und Mitarbeitern der Tageszeitung wird unter anderem vorgeworfen, die Gülen-Bewegung sowie die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu unterstützen. Die beiden Organisationen stehen auf entgegengesetzten Seiten des politischen Spektrums, gelten aber beide in der Türkei als Terrorgruppen.

Die wenigen noch verbliebenen unabhängigen Medien arbeiten in der Türkei in ständiger Angst. Ausländischen Journalisten wird mitunter die Einreise verweigert.

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