Menschenrechte:"Bedroht, verfolgt, angegriffen"

Der Amnesty-Jahresbericht betrachtet die Lage in der Türkei. Ein Überblick über die schwerwiegendsten Vorwürfe.

Von Deniz Aykanat und Leila Al-Serori

Der jährliche Amnesty-Bericht zur Lage der Menschenrechte nimmt stets die ganze Welt in den Blick. Gravierend verschlechtert hat sich aber vor allem der Zustand in einem Staat: der Türkei. Der Putschversuch hat das Land verändert. Doch auch schon vorher hatte sich die Lage stetig zugespitzt. Ein Überblick über die schwerwiegendsten Vorwürfe:

Meinungsfreiheit

"Nach der Ausrufung des Notstands wurden 118 Journalisten in Untersuchungshaft genommen und 184 Medienunternehmen per Regierungserlass willkürlich und dauerhaft geschlossen", heißt es in dem Bericht. "Wer sich gegen die Politik der Regierung aussprach, insbesondere in Bezug auf die Kurdenfrage, wurde bedroht, angegriffen und strafrechtlich verfolgt." Scharfer Verfolgung sahen sich etwa die Unterzeichner des Appells "Akademiker für den Frieden" ausgesetzt. Anfang 2016 hatten sie gefordert, den Krieg in den kurdischen Gebieten zu beenden. Viele von ihnen stehen nun wegen Unterstützung der PKK vor Gericht, mussten ins Ausland fliehen oder verloren ihre Jobs. Auch bereits vor dem Putschversuch wurde die der Gülen-Bewegung nahestehende Zeitung Zaman geschlossen. Ähnlich erging es fast allen Zeitungen, die sich kritisch gegenüber der AKP-Regierung äußerten - ob nun kurdisch, säkular oder konservativ.

Folter und Misshandlungen

Auch wenn die türkischen Behörden versicherten, keine Folter einzusetzen, mehren sich seit dem Putschversuch Berichte über Schläge und sexuelle Übergriffe durch die Polizei. Amnesty erhielt Hinweise auf zahlreiche Fälle von Folter mutmaßlicher Putsch-Beteiligter. Die Behörden wiesen solche Anschuldigungen offenbar mit der Bemerkung zurück, Putschisten hätten Misshandlungen verdient. Sicherheitskräfte mussten Amnesty zufolge nicht mit Bestrafung rechnen. Der ausgerufene Notstand ermöglichte es, die Höchstdauer der Inhaftierung vor einer Anklageerhebung von vier auf 30 Tage anzuheben. Festgenommenen kann die ersten fünf Tage ein Rechtsanwalt verweigert werden. Viele Anwälte und Angehörige berichten, ihnen sei der Kontakt gleich komplett verwehrt worden. Gespräche zwischen Anwalt und Mandant dürfen aufgezeichnet und an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden.

Flüchtlinge

Die Türkei ist dem UN-Flüchtlingswerk zufolge weltweit das Land, das am meisten Flüchtlinge aufnimmt. Insgesamt sind es drei Millionen, davon 2,8 Millionen syrische Flüchtlinge. "Trotz einiger Verbesserungen konnten die meisten syrischen Flüchtlingskinder nach wie vor keine Schule besuchen, und die meisten Syrer erhielten weiter keinen Zugang zu legaler Arbeit", heißt es im Bericht. Amnesty berichtet aber auch von Massenabschiebungen nach Syrien Anfang 2016 und Vorfällen an der türkisch-syrischen Grenze, bei denen Schutzbedürftige von türkischen Grenzwachen erschossen wurden. Zu den Geflüchteten aus Syrien kommen noch Binnenflüchtlinge aus dem Südosten des Landes, seit im Juli 2015 der Waffenstillstand zwischen der kurdischen PKK und Ankara zerbrach.

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