Armutsdebatte:Das Ministeramt wird Spahn nicht bremsen

Der CDU-Politiker Jens Spahn wird neuer Gesundheitsminister im vierten Kabinett Merkel.

Statt sich in die Gesundheitspolitik einzuschalten, verfolgt der künftige Minister Spahn seine eigene Agenda.

(Foto: imago/Reiner Zensen)

Jens Spahn sollte sich über Gesundheitspolitik Gedanken machen. Stattdessen provoziert er mit Aussagen zu Armut und Ausländern. Wenn die Kanzlerin dachte, sie könne ihren Widersacher als Minister besser kontrollieren, hat sie sich getäuscht.

Kommentar von Kristiana Ludwig, Berlin

Jens Spahn ist ein Politiker, der sich in den vergangenen Jahren besonders einem Thema gewidmet hat: Jens Spahn. Mit seinen konservativen Thesen zur Flüchtlingspolitik, zum Doppelpass oder zum Burka-Verbot stellte er sich immer wieder gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er inszenierte sich als ihr junger Widersacher - auf CDU-Parteitagen, aber vor allem in den Medien. Trotzdem, oder gerade deswegen, will die Kanzlerin Spahn nun zum Gesundheitsminister machen. Man könnte das eine Umarmungstaktik nennen: Als Kabinettsmitglied soll Spahn weniger aus der Reihe tanzen.

Doch der Plan dürfte nicht aufgehen, das hat das vergangene Wochenende gezeigt. Da mischte sich der Gesundheitsminister in spe in die Debatte um die Essener Tafel ein, die Bedürftige ohne deutschen Pass nicht mehr für die Lebensmittelvergabe aufgenommen hatte. "Hartz IV bedeutet nicht Armut", sagte Spahn, und dass er die Aktion der Essener Helfer richtig finde. Schließlich seien junge ausländische Männer "derart dreist und robust, dass Ältere oder Alleinerziehende keine Chance mehr haben, auch etwas von den Lebensmitteln abzubekommen".

Spahn weiß: Das Thema weckt Emotionen - dass es auch Sozialneid und Ressentiments gegen Ausländer weckt, scheint ihm nicht so wichtig zu sein. Zwar hat die aktuelle Armutsdebatte mit Spahns neuer Rolle im Gesundheitsressort wenig zu tun; um Hartz IV kümmert sich künftig sein sozialdemokratischer Kabinettskollege Hubertus Heil. Doch es passt gut zu Spahns konservativem Profil, und das pflegt er, Minister oder nicht.

Jens Spahn fühlt sich zu Höherem berufen als zur Pflege- und Krankenkassenpolitik. Am Samstag räumte auch die Welt ihm eine ganze Seite frei: Dort forderte er sichere Grenzen, mehr Militär, einen europäischen Währungsfonds und eine deutsch-französische Führungsrolle in Europa - und dass die Bürger ihre nationalen Interessen verteidigt sehen wollten. Und die Gesundheitspolitik? Der Gesundheitspolitik widmet er keinen einzigen Gedanken.

Es ist eben nicht der scheidende Gesundheitsminister Hermann Gröhe, den Spahn als Vorbild sieht. Er orientiert sich an Sebastian Kurz, dem konservativen 31 Jahre alten österreichischen Kanzler, oder am französischen Emmanuel Macron, der auch erst 40 ist. Der Aufstieg in Merkels viertes Kabinett wird für Jens Spahn keineswegs bedeuten, dass er sich selbst einen Maulkorb verpasst. Er wird vielmehr die neu gewonnene Popularität für seine eigene Agenda nutzen. Das Amt wird ihn nicht bremsen.

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