Meine Presseschau:Was Recht in Polen ist

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Florian Hassel hat bei der Zeitungslektüre entdeckt: Im Zwist zwischen Regierung und Verfassungsgericht legt jeder die Regeln aus, wie er mag.

Ausgewählt von Florian Hassel

Es ist in Polen selten, dass sich Zeitungen wie die linksliberale Gazeta Wyborcza (GW) und die regierungsnahe Rzeczpospolita einig sind. Doch nachdem sich Polens Regierung weigert, noch Urteile der für ihren Geschmack zu unabhängigen Verfassungsrichter zu veröffentlichen, sind beide Blätter alarmiert. Es drohen "rechtliches Chaos und möglicherweise jahrelange Anarchie", so die GW. Der "Krieg um das Verfassungstribunal" könne mit "einer Katastrophe enden", so die Rzeczpospolita, wegen einer "Kettenreaktion, die das Rechtssystem zu demolieren droht".

Beide Blätter sind nicht nur wegen Polens zunehmende innen- und außenpolitische Konfrontation besorgt, sondern befürchten Auswirkungen auf Recht, Wirtschaft und Alltag. Monatelang vor allem mit sich selbst beschäftigt, müssen die Verfassungsrichter jetzt rund 250 Klagen abarbeiten, überschlägt die GW. "Es gibt viel zu entscheiden", stimmen die Rzeczpospolita-Kollegen zu: etwa zu Arbeitszeiten und der Konfiszierung von Führerscheinen, neuen Überwachungsvollmachten im Internet für die Polizei, einem neuen Beamtenrecht oder der Mehrwertsteuer.

Die Richter werden urteilen - doch wer wird sich ohne Veröffentlichung im amtlichen Gesetzblatt daran halten?

Mark Safjan, langjähriger Vorsitzender des Verfassungsgerichts und heute Richter am Europäischen Gerichtshof, sagte der GW, Urteile der Verfassungsrichter seien ab dem Zeitpunkt der Verlesung im Gericht rechtskräftig - auch ohne Abdruck im Gesetzblatt. Auch manche von der Rzeczpospolita befragte Richter in Polen wollen weiter auch neue Urteile des Verfassungsgerichts anwenden. Anders Behördenchefs und der Warschauer Regierung unterstellte Beamte: Sie würden Sitzungen des Verfassungsgerichts nach Vorgabe der Regierung nur als "private Treffen" betrachten und seine Urteile ignorieren müssen, sagte ein Beamter der Rzeczpospolita.

Gewählte Bürgermeister und Leiter der Regionen würden wohl geteilt handeln, ergänzen das Wochenmagazin Polityka und die GW. Lokale Amtsträger würden sich von politischen Sympathien leiten lassen: "In einer Gemeinde wird das vom Parlament beschlossene Recht verpflichtend sein, in einer anderen auch die Entscheidungen des Verfassungstribunals berücksichtigt." Die Aussicht auf ein "Rechtschaos, wie es Polen noch nicht erlebt hat" sei auch "für die Wirtschaft eine Katastrophe". Die Rzeczpospolita glaubt, das juristische Durcheinander werde in ganz Polen Tausende individueller Verfahren treffen - und etliche Verfahren wegen möglicher Verletzung des Rechts in Polen würden wohl vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte enden.

Kompromissbereitschaft ist bei Polens Regierung bisher nicht zu erkennen. Im Gegenteil versucht sie die Verfassungsrichter weiter zu diskreditieren. Eine zunehmende Rolle spielen Informationsdienste im Internet. Vor allem die Rolle regierungsnaher Dienste ist oft unrühmlich. So veröffentlichte die Seite wPolityce.pl schon Stunden vor der Urteilsverkündung am vergangenen Mittwoch einen Entwurf des Urteils und fügte hinzu, das Urteil habe von vornherein festgestanden; die Verfassungsrichter hätten es wochenlang mit der Opposition abgesprochen. Diffamierungen ohne Beleg, die indes auch vom regierungskontrollierten Staatsfernsehen TVP übernommen wurden. Es wird auch darüber spekuliert, wie der nur Verfassungsrichtern und deren Mitarbeitern vorliegende Entwurf eines Urteils an ein Pis-nahes Medium wie wPolityce gelangen konnte: Kürzlich hatten zwei von der Pis gewählte Verfassungsrichter ihr Amt angetreten.

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