Meine Presseschau:Todesstrafe

Meine Presseschau: Cathrin Kahlweit. Illustration: Bernd Schifferdecker

Cathrin Kahlweit. Illustration: Bernd Schifferdecker

Die ungarischen Medien streiten über den Vorschlag des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Victor Urbán, die Todesstrafe wieder einzuführen. Hilft diese Provokation seiner Partei im Wahlkampf?

Ausgewählt von Cathrin Kahlweit

Viktor Orbán hat nachgelegt. Im staatlichen Sender Kossuth Rádio forderte er am Freitag, die Einführung der Todesstrafe müsse in der EU in die nationale Kompetenz übergehen. Es gebe schließlich keinen Grund, warum Ungarn in dieser Frage nicht eine andere Haltung haben dürfe als andere Staaten. Er selbst sei zwar "für das Leben", aber wenn es keine andere Chance gebe, um gesetzestreue Bürger zu schützen, dann müsse man sie einführen.

Schon während seiner ersten Amtszeit hatte Orban eine Debatte über die Todesstrafe angestoßen, vor einigen Tagen nun nahm er den Ball wieder auf. Anlass war damals wie heute ein konkreter Mordfall, in dem der Premier eine lebenslange Strafe offenbar nicht für ausreichend hält. Er hat damit, wie so oft, vor allem in Brüssel so viele irritierte Reaktionen ausgelöst, dass er nach einem Gespräch mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz vor einer Woche eigentlich versichert hatte, man habe gar nicht die Absicht, die Todesstrafe wieder einzuführen. Sein jüngstes Interview ist daher harter Tobak und eine Provokation.

Hintergrund seiner Äußerungen, darüber sind sich die ungarischen Medien einig, sind Niederlagen der Regierungspartei Fidesz bei Nachwahlen zum Parlament und ihr Absacken in Umfragen - parallel zum Anstieg der Sympathiewerte für die rechtsextreme Jobbik-Partei. In Ungarn selbst ist die Ablehnung der Todesstrafe partei- und medienübergreifend ziemlich einhellig; die Kommentare unterscheiden sich aber in ihrer Einschätzung, ob die Taktik Orbáns aufgehen könnte.

Regierungskritische Medien werfen dem Populisten Orbán vor, er biedere sich bei den Neonazis an. Heti Világgazdaság kritisiert, es sei ermüdend, dass die Regierungspartei Fidesz ständig am Tabu Todesstrafe rüttele - und damit christliche und humanitäre Prinzipien infrage stelle. Umfragen zufolge, die Fidesz verbreitet, sollen bis zu 70 Prozent der Ungarn die Todesstrafe befürworten. Damit begründen Fidesz-Politiker dessen Vorstoß. Eine demokratisch gewählte Regierung könne schließlich nicht ignorieren, dass ein Großteil der Ungarn die Maximalstrafe für nötig halte. Napi Gazdaság zitiert dazu einen Fidesz-Mann, es sei nicht nur eine Option, sondern eine "Pflicht", die Einführung einer Strafe zu ventilieren, die es ja auch in den USA gebe.

Tatsächlich wäre es die Pflicht einer demokratischen Regierung, dagegenzuhalten, genau wie in Fragen des Asylrechts. Die Hälfte aller Ungarn findet, es gehöre grundsätzlich abgeschafft. Orbán hatte, ebenfalls mit Blick auf rechte Wählerschichten, unlängst einen verschärften Kampf gegen Wirtschaftsflüchtlinge angekündigt. Die regierungsnahe Magyar Hirlap, aber auch die linksliberale Zeitung Népszabadság warnen nun aber nicht Orbán, sondern die linken Oppositionsparteien. Sie müssten neue Rezepte aufbieten, damit die Wähler ihnen noch zuhören.

Die konservative Zeitung Magyar Nemzet hingegen fragt sich zwar, ob es klug gewesen sei, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen, weil die Todesstrafe in einem EU-Mitgliedsland ohnehin zulässig sei, sorgt sich aber vor allem um die Signalwirkung an rechte Wähler: Diese könnten glauben, die Regierung sei nicht erfolgreich genug bei der Verbrechensbekämpfung, was den Rechtsextremen nur noch mehr Wähler zutreiben könnte. Der News-Blogg Cink merkt sarkastisch an, Orbán sei "nicht der Teufel", seine Strategie sei durchaus "rational". Wenn es ihm mit einem weiteren Rechtsschwenk gelinge, die derzeitige Schwäche der Regierungspartei zu bekämpfen, dann werde nach der nächsten Wahl niemand mehr über seine "ekelhafte, aber legitime" Taktik reden.

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