Meine Presseschau:Putin, sonst nichts

julian hans

Nach den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag klingen die Kommentatoren russischer Zeitungen ernüchtert. Früher redeten alle über Wahlen, jetzt fehle dazu die Kraft.

Von Julian Hans, Moskau

Bei den russischen Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag hat die Regierungspartei Einiges Russland nach offiziellen Angaben nicht nur 54 Prozent der Stimmen geholt. Weil erstmals seit 2003 wieder Direktmandate zum Ergebnis der Parteien addiert werden, erhielt sie 76 Prozent der Sitze in der Staatsduma. Mit der Dreiviertelmehrheit können die Abgeordneten des Kremls die russische Verfassung ändern. Dabei wird ihnen nicht einmal jemand widersprechen: Die übrigen drei Parteien, denen der Wiedereinzug in das Unterhaus gelungen ist, liegen ebenfalls ganz auf Linie. Die niedrige Wahlbeteiligung von 48 Prozent schmälert den Triumph, war aber beabsichtigt.

Die Moskauer Zeitungen analysieren das vorhersehbare Ergebnis. "Langweilige Wahlen mit einem ganz und gar nicht langweiligen Ergebnis" seien das gewesen, bilanziert der Moskowskij Komsomolez. Die Boulevardzeitung der Hauptstadt mischt bunte Meldungen mit einem durchaus seriösen Politikteil, der sich im Rahmen des vom Staat Geduldeten um Unabhängigkeit bemüht.

Bei den Präsidentschaftswahlen vor 20 Jahren habe "das ganze Land über eine Periode von fast sechs Monaten an nichts anderes gedacht als an die Wahlen", erinnert sich der Autor Michail Rostowski. "Die Spannung hat die Leute gepackt. Alle hatten das Gefühlt, dass jederzeit etwas passieren kann, das das Schicksal des Landes entscheidet." Ganz anders heute: "Blasse und uninspirierte Kandidaten, kein Wettbewerb der Ideen, demonstrative Gleichgültigkeit bei der Bevölkerung."

Am Tag nach der Wahl starte der Countdown für die Präsidentschaftswahl 2018. "Das Resultat steht schon fest: Wir können wählen, was wir wollen - solange es Putin ist." Dessen Name habe zwar diesmal nicht auf den Stimmzetteln gestanden. "Aber jeder versteht: Die Duma-Wahlen sind vor allem ein informelles Referendum über das Vertrauen in den Menschen, der in unserem Land alle wichtigen Entscheidungen trifft."

Die Menschen hätten sich nicht nur mit dem erwartbaren Ergebnis abgefunden, sondern auch mit der Manipulation der Wahlen, schreibt Alexej Makarkin in Wedomosti. Anders als 2011 protestiere niemand, nicht nur aus Angst, "sondern weil in der Gesellschaft das Gefühl vorherrscht, in einer belagerten Festung zu leben, und der Präsident ist ihr Kommandant, und die Befehle des Kommandanten werden nicht angezweifelt. Die Politiker von Einiges Russland stehen ihm zu Diensten. Sie können mehr oder weniger effektiv sein, aber andere haben wir nicht."

Die Festung sei von Feinden umzingelt, "die die einst freundschaftlich verbundene Ukraine besetzt haben und Russland mit einem Maidan drohen oder mit gleichgeschlechtlichen Ehen - wahrscheinlich sogar mit beidem zugleich." Dass die Wahlbeteiligung so stark zurückgegangen ist, liege nicht nur daran, dass der Kreml die Wahlen auf ein Datum vorverlegen ließ, an dem viele noch in ihren Gärten graben. "Es liegt daran, dass die Gesellschaft müde geworden ist."

Der Verweis auf die niedrige Wahlbeteiligung sei der "letzte Trumpf der Opposition", spottet dagegen die Kreml-freundliche Iswestija und zählt eine Reihe westlicher Staaten auf, in denen in der Vergangenheit ebenfalls nur wenige Wähler zu den Urnen gingen. Im Gegenteil: "Eine hohe Wahlbeteiligung ist eben nicht für demokratische Staaten typisch, sondern auch für autoritäre und totalitäre", etwa Kuba mit 90 Prozent. In einigen Kaukasus-Republiken, wo aus Sicherheitsgründen keine Wahlbeobachter waren, beteiligten sich bei der Duma-Wahl nach offiziellen Angaben allerdings 80 Prozent und mehr.

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