Meine Presseschau:Mut und Kaltblütigkeit

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Christian Wernicke ist SZ-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Kohle beschäftigte ihn schon als Lokalredakteur im Ruhrgebiet, vor über drei Jahrzehnten war er mehrmals „unter Tage“. Wernicke ist DoppelÖko: diplomierter Ökonom und klimabesorgt. (Foto: N/A)

Frankreich feiert die Helden, die einen Terroristen im Thalys-Zug überwältigt haben.

Ausgewählt von Christian Wernicke

Man ist noch mal davongekommen. Überschwänglich haben Frankreichs Zeitungen die Retter von Zug 9364 gefeiert. Jene mutigen Kerle, die vorigen Freitag den mutmaßlichen Terroristen Ayoub el-Khazzani im Thalys von Amsterdam nach Paris überwältigt und so ein Blutbad verhindert haben. " Courage et sang-froid" jubelte der Parisien. Mut und Kaltblütigkeit.

Vier Zeitungstage lang wanderten die " héros du Thalys" durch die Medien, vom Boulevard des Parisien durch die Kampfpresse von Figaro und Libération bis hin zum staatstragenden Monde. Die Tatsache, dass vier der fünf Helden Angel sachsen (drei Amerikaner, ein Brite) und keine Landsleute waren, tat der Freude keinen Abbruch - schon gar nicht in Form einer kritischen Selbstbefragung, warum ausgerechnet vier Nicht-Franzosen den Todesmut aufgebracht hatten, sich auf den Attentäter zu stürzen. Fürs nationale Ehrgefühl genügte der fünfte Held: ein Franko-Amerikaner, der leider nicht vor Kameras oder Mikros treten konnte, weil er verletzt auf der Intensivstation lag.

Es schien, als könnte der besiegte Feind im Zug der Nation noch einen Dienst erweisen - und Linke und Rechte einen gegen Terror, Tod und Teufel. Wenigstens für zwei, drei Tage. Tatsächlich verschwendeten Frankreichs Zeitungen zunächst kaum eine Zeile auf die ersten tumben Versuche, den Horror per Hetze auszuschlachten. Die Forderung des rechtsextremen Front National etwa, alle Ausländer mit Kontakten ins islamistische Milieu außer Landes zu schaffen, verhallte ohne mediales Echo. Auch die Verirrung eines Parteifreundes von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, Terrorverdächtige vorsorglich in Sonderlager à la Guantanamo zu sperren, ging unter. Die vierte Gewalt der Fünften Republik verrichtete ihr Handwerk: Rechercheure leuchteten Täter und Tathergang aus, Reporter rückten die Helden ins Licht. Der Rest bestand aus dem Konsens, dass es totale Sicherheit gegen Gewalt von Gotteskriegern oder Geisteskranken niemals geben kann - nicht in einer Gesellschaft, die ihre Freiheit als höchstes Gut schätzt.

Die Prinzipientreue währte bis Dienstag. Am Tag vier nach der Verhaftung von Ayoub el-Khazzani schlug der Figaro andere Seiten auf. Zwar gab es weiterhin keine Indizien für Versäumnisse seitens der dem konservativen Blatt so verhassten Links-Regierung. Doch der Leitartikler fand einen anderen, inneren Feind: "jene Gutmenschen aller Art" nämlich, die gezielte Kontrollen gegenüber Ausländern oder Muslimen mit Verweis auf die Menschenrechte ablehnten und jedermann "im grenzenlosen Europa von Schengen" herumreisen ließen. Die laszive, allzeit zu laxe Linke und Europa - sie waren schuld. Irgendwie jedenfalls.

Der Bann war gebrochen, die Publizistik fiel zurück in jene Mentalität, die man frü-her "die zwei Frankreichs" nannte. Nur, linke Blätter agitierten merkwürdig verklemmt. Bis zum Freitag dieser Woche mochte sich Le Monde zu keinem Editorial aufraffen, das klar Bürgerrechte in Zeiten des Terrors verteidigt hätte. Stattdessen beauftragte man einen Gastautor, den Terror-Experten und früheren Geheimdienstler Yves Trotignon, recht brave Gedanken darüber niederzuschreiben, "wie wir lernen, mit dem Inakzeptablen zu leben". Der Autor warnte vor Überreaktionen - um dann jenes neue Geheimdienstgesetz zu preisen, das Frankreichs Schlapphüte fortan zu Lauschangriffen und beispiellosem Datenabfang ermächtigt. Le Monde hatte das Gesetz im Juni noch als "französischen Patriot Act" verdammt. Nun liest man, es sei ein löbliches Mittel zur frühzeitigen Abwehr terroristischer Bedrohung.

Ein ähnlicher Sinneswandel lässt sich in den Kommentarspalten von Libération beobachten. Im Frühjahr noch hatte Libé noch vor dem "Großen Bruder" gewarnt, jetzt befürwortet Herausgeber Laurent Joffrin "eine Verstärkung der Überwachung" sowie "einen Zuwachs der Infiltration". Der Titel des Editorials passt: "Beliebig".

Immerhin, es gibt bei der linken Libération noch Kollegen, die sich für etwas schlagen. Am Mittwoch empörte sich ein Redakteur - per Werkstatt-Kolumne - über die Arbeit seiner Kollegen vom Vortag. Die Nachrichtenredaktion hatte nochmals die Helden vom Thalys gewürdigt, dabei aber relativierende Anführungszeichen verwendet: " Héros". Die Linke, so ätzte der Blattkritiker nun, liebe nur Verlierer. Aber wer gerade Hunderte Menschenleben gerettet habe, den müsse man nun einfach einen Helden nennen - ganz ohne Anführungszeichen.

© SZ vom 29.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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