Meine Presseschau:Lasst sie doch gehen!

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Der erzwungene Rückzug der Bundeswehr aus dem Luftwaffen-Stützpunkt Incirlik gilt in Deutschland als weitere Eskalation in den deutsch-türkischen Beziehungen. Die offizielle Presse der Türkei reagiert mit Achselzucken.

Von Luisa Seeling

Bis vor Kurzem hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan die deutsch-türkischen Beziehungen wie ein Berserker umgepflügt. Terrorvorwürfe, Nazi-Vergleiche - keine Provokation war ihm zu scharf. Den Tiefpunkt erreichte das Verhältnis im April, als die Türkei nach einem im In- und Ausland schmutzig geführten Wahlkampf über die Einführung eines Präsidialsystems abstimmte. Seitdem hat Erdoğan wieder einen Gang zurückgeschaltet. Auch die türkische Presse, die in weiten Teilen sehr genau darauf schaut, welche Marschrichtung der Präsident vorgibt, hat ihren Ton gemäßigt.

Und so fällt das Medien-Echo zum Streit um das Besuchsrecht für Bundestagsabgeordnete am Luftwaffenstützpunkt Incirlik überraschend zahm aus. Das Bundeskabinett hat diese Woche den Abzug der Bundeswehr aus Incirlik beschlossen; zuvor war ein letzter Einigungsversuch von Außenminister Sigmar Gabriel gescheitert. In Deutschland sprach man von einer "weiteren Eskalation", die regierungstreue Presse in der Türkei reagierte dagegen eher schulterzuckend, mit einer Mischung aus Na-dann-geht-doch-Trotz und Zufriedenheit.

Das AKP-nahe Krawallblatt Yeni Şafak konstatiert, der deutsche Minister habe mit leeren Händen wieder abreisen müssen. Akşam und Star, wie Yeni Şafak eher der Abteilung Attacke zuzuordnen, begrüßten, dass die Türkei Gabriel die Tür gewiesen habe. Er habe sich der "schmerzhaften Realität" stellen müssen, so Akşam. Freundlich ist das nicht - aber nichts im Vergleich zum Akşam-Titel vor ein paar Monaten, der die Kanzlerin mit Hitlerbärtchen und Führergruß zeigte.

Die auflagenstarke Tageszeitung Hürriyet, die zwar nicht dem AKP-Lager angehört, aber massiv unter Druck geraten ist und sich deshalb kaum mehr aus dem Fenster lehnt, zählt die wichtigsten Gründe für das deutsch-türkische Zerwürfnis auf: Ankara nehme den Deutschen übel, dass sie Gülen-Anhängern Asyl gewähren. Das Gülen-Netzwerk gilt in der Türkei als Terrororganisation, es soll hinter dem Putschversuch vom vergangenen Sommer stehen. Ankara fordert deshalb die Auslieferung aller "Fetö-Terroristen" (Akronym für "Fethullahistische Terrororganisation"). Außerdem geht Deutschland aus türkischer Sicht zu lasch gegen die kurdische PKK vor. Und dann die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel. Dass Erdoğan Yücel öffentlich als Terroristen und Agenten beschimpft hat, findet Hürriyet-Kolumnist Mehmet Y. Yılmaz empörend: Das passe zu autoritären Regimes. "Tut mir leid, aber das hat nichts mit unabhängiger Justiz zu tun. Es gibt politische Anweisungen in dieser Frage", schreibt Yılmaz.

Es gibt zum zerrütteten deutsch-türkischen Verhältnis auch bedauernde Stimmen - doch die sind leiser und finden sich vor allem in regierungskritischen Publikationen. In der in Köln produzierten Netzzeitung Artı Gerçek, die türkischen Oppositionellen eine Plattform bieten will, erklärt Kolumnist Ergun Babahan die türkische Außenpolitik für gescheitert. Man habe eine Regionalmacht, ein neues Osmanisches Reich sein wollen, schreibt er. "Doch nun sind die Flüchtlinge die einzige Waffe der Türkei, um Merkel zu erpressen, und das wird auch nur bis zur Bundestagswahl funktionieren." Auf der Nahost-Plattform Al-Monitor, die für gute Analysen steht und auch prominente türkische Autoren zu Wort kommen lässt, warnt Semih Idiz davor, den Streit vorschnell abzuhaken: "Bedenkt man Erdoğans Neigung, internationale Spannungen zu eskalieren, könnte die Krise mit Deutschland doch noch aus dem Ruder laufen, zum Schaden aller Beteiligten."

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