Meine Presseschau:Gegen Recht und Gesetz

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Nach dem Regierungsantritt versucht die neue polnische Mehrheitspartei Pis, sich auch die Presse gefügig zu machen. Einige Zeitungen halten dagegen.

Ausgewählt von Florian Hassel

Seit zwei Wochen durchlebt Polen unter der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) einen Regierungsantritt, der weder mit Recht noch mit Gerechtigkeit viel zu tun hat. Bereits mehrmals hat die neue Regierung mit ihrer absoluten Mehrheit in beiden Parlamentskammern und dem ebenfalls von ihr gestellten Präsidenten demokratische Normen verletzt, Parlamentsregeln, ja die Verfassung. Gesetze und Richterwahlen durch das alte Parlament erklärt das neue für ungültig. Vorläufiger Gipfel war eine wohl verfassungswidrige Wahl neuer Verfassungsrichter. Wer die grundlegende Missachtung des Rechts durch die neue Regierung verstehen will, kommt nicht um die Tageszeitung Gazeta Wyborcza (GW) herum, seit ihrer Entstehung in der Endphase des polnischen Kommunismus ein demokratisches Kampfblatt, das unter der Pis eine neue Blüte erleben könnte. Die GW macht ihre Leser nicht nur darauf aufmerksam, dass ausschließlich das Verfassungsgericht Gesetze als verfassungswidrig einstufen kann, sondern liefert auch die Details, um den Angriff der neuen Regierung auf das Verfassungsgericht als solchen verstehen zu können.

Ein nützliches Gegengift zur zunehmenden Pis-Propaganda ist auch das Wochenmagazin Polityka . Dort kann man lesen, dass die Aussage von Pis-Parlamentariern, sie seien "die höchste Macht", an kommunistische Zeiten erinnere. Die Teilung der Gewalten sei "der wichtigste Mechanismus für eine Blockade autoritärer Bestrebungen". Zudem entlarvt Polityka Falschaussagen. Etwa die der neuen Regierungschefin Beata Szydło, die Vorgängerregierung habe "nichts getan", um die Flugzeugkatastrophe von Smolensk aufzuklären, bei der 2010 Polens letzter von der Pis gestellter Präsident ums Leben kam. Tatsächlich, führt Polityka auf, habe die alte Regierung "über 1200 Zeugen vernommen, 16 Expertisen" eingeholt und ihre Erkenntnisse "in 770 Ermittlungsbänden" dargelegt.

Solcher Journalismus, in Polen heute dringend notwendig, ist auf dem Rückzug. Schon bevor Polens Staatsfernsehen und -radio und die Nachrichtenagentur PAP unter Kontrolle gebracht sind - ein erklärtes Ziel der Pis - unterwerfen sich Journalisten offenbar vorauseilend innerer Zensur. Als etwa das Verfassungsgericht am Donnerstag eine Wahl von drei Verfassungsrichtern durch das alte Parlament für gültig erklärte und hinzufügte, der Präsident sei verpflichtet, diese Richter zu vereidigen, legte das Staatsradio den Akzent stattdessen auf die beanstandete Wahl zweier weiterer Richter. Auch die von Springer und Ringier verlegte Boulevardzeitung Fakt, die größte Tageszeitung Polens, schlug sich schon früh auf die Seite der neuen Herrschenden. So stellt sie die gegen die Willkür protestierende Opposition als Nörgler und Störer dar und die Verfassungsrichter als "in eigener Sache" urteilend. Auch die Rzeczpospolita , zu besseren Zeiten eine Art polnische FAZ, wird von der Pis mittlerweile wohl gern gelesen. Als in einer Umfrage schon vor den jüngsten Skandalen 55 Prozent der Polen sagten, die Demokratie sei in Gefahr, meinte Rzeczpospolita , Pis habe offenbar ein "Imageproblem". Am Donnerstag kam die Pis dem Urteil des Verfassungsgerichts zuvor, indem sie im Blitzverfahren neue "Verfassungsrichter" wählen und noch in der Nacht vereidigen ließ. Doch der Rzeczpospolita zufolge hat das Verfassungsgericht mit seinem Urteil "die Eskalation des Streits" herbeigeführt. In diesem Klima wundert nicht, dass eine an den Europarat gerichtete Analyse von neun Warschauer Institutionen, wonach die neue Regierung das Recht bricht, von den meisten Medien übergangen wird.

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