Meine Presseschau:Eine Mauer

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Seit Pläne Österreichs bekannt wurden, am Brenner notfalls einen Zaun gegen neue Flüchtlinge zu erreichten, geht eine Protestwelle durch italienische Medien. Manche wittern Verrat an europäischen Idealen.

Von Oliver Meiler

Eine Barriere am Brenner? Als die Österreicher diese Woche damit begannen, an der Grenze zu Italien Leitplanken zu demontieren, um die Fahrbahnen neu zu ordnen, und Rohre zu schweißen, die bald als Zaunpflöcke dienen könnten, da empörte sich Italiens Presse einhellig. Eine Mauer bauten die Österreicher da, schrieben die Zeitungen - un muro. 250 Meter lang, quer durch das ganze, enge Tal.

Nun, eine Mauer bauen die Nachbarn zwar nicht, höchstens einen Zaun, wie sie ihn schon an der Grenze zu Slowenien hochgezogen haben. Dort ging es darum, die Fluchtroute über den Balkan zu schließen. Jetzt soll die wahrscheinlichste Auswegroute verriegelt werden, jene durch das zentrale Mittelmeer nach Sizilien und den Stiefel hinauf nach Norden. In den ersten dreieinhalb Monaten des Jahres kamen schon 24 000 Flüchtlinge in Italien an. Bis zum Brenner schafften es bisher noch nicht viele. Doch Österreich ist offenbar so besorgt, dass es bereit ist, Schengen zu opfern, um sich zu schützen.

Die römische Zeitung La Repubblica schreibt von einem "nutzlosen Zeichen", das die Regierung in Wien vor allem aus demagogischen Gründen setzen wolle: "Die Mauer wird gar nichts stoppen", so das linksliberale Blatt, "höchstens den gesunden Menschenverstand und das Vertrauen." Sie stoppe die Migration nicht, zumal dann nicht, wenn sich Italien entscheiden würde, die Flüchtlinge nach Norden weiterziehen zu lassen. "Und die Mauer wird bestimmt auch die Welle der Stimmen für Populisten und Rechtsextreme nicht stoppen können." Die Italiener sind davon überzeugt, dass die österreichische Regierung mit dem "Mauerbau" kurz vor der Präsidentenwahl am 24. April vor allem Stimmung machen will.

Lettera 43 spannt den geografischen Bogen weiter bis nach Deutschland - mit einer Vermutung. Zwischen dem Brenner und Bayern lägen nur hundert Kilometer, schreibt die Onlinezeitung, da sei es leicht verständlich, dass auch Kanzlerin Angela Merkel an harten Kontrollen der Österreicher interessiert sei. Bei Treffen zwischen Vertretern der österreichischen und der deutschen Regierung, so will Lettera 43 wissen, habe man in den vergangenen Wochen eine gemeinsame Linie gefunden. "München ist nun mal das Ziel beider Fluchtrouten, sowohl der balkanischen wie jener durch das zentrale Mittelmeer." Da liege es auf der Hand, dass Wien und Berlin daran interessiert seien, die Passage am Brenner streng zu kontrollieren und notfalls zu sperren.

In allen Kommentaren klingt die Sorge an, dass Italien bald allein mit der massiven Ankunft an seinen Küsten fertig werden müsse, obschon viele Migranten das Land nur als Transit sehen und obschon man alles getan habe, um den Forderungen aus Nordeuropa zu entsprechen: Mittlerweile funktionieren vier Hotspots für die Identifizierung und Registrierung der Ankömmlinge. Die Barriere am Brenner zur Abschottung gegen "ein Gründungsmitglied der Europäischen Union", wie bedeutungsschwer erinnert wird, wirkt wie ein unfairer, unsolidarischer Akt.

Der Corriere della Sera erwähnt einen etwas lokaleren Aspekt. "Eine Mauer", schreibt Gian Antonio Stella, ein bekannter Reporter der Zeitung aus Mailand, "würde ja nicht nur Süd- von Nordeuropa trennen: Sie würde auch die kleine Welt des Tirols wieder in zwei Stücke reißen." Schengen hatte die geteilte Region wieder ein bisschen zusammengeführt. Zumindest war der Schlagbaum weg. Nun sei es ausgerechnet Wien - und nicht Rom -, das für ein neues Trauma sorgen könnte. "Viele in Südtirol erleben das wie einen Verrat", schreibt Stella. Einen Verrat im Verrat. Lokal zwar, aber nicht banal.

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