Meine Presseschau:Die Zukunft von VW

Hulverscheidt, Claus

Amerikanische Zeitungen beschäftigen sich mit dem Abgasskandal bei Volkswagen - meist betont sachlich. Vielleicht auch, weil sie wissen, dass es beim nächsten Mal wieder ein amerikanisches Unternehmen treffen könnte.

Ausgewählt von Claus Hulverscheidt

Dass ein Autohersteller Hunderttausende Fahrzeugbesitzer bitten muss, ihre Wagen in die Werkstatt zu bringen, weil ein fehlerhaftes Teil ausgetauscht werden muss, ist für einen Amerikaner keine allzu aufregende Nachricht: Die Behörden des Landes sind streng und schreiten rigoros ein, wenn ein Unternehmen Umwelt- oder Sicherheitsauflagen verletzt. Die jetzt bekannt gewordenen Abgasmanipulationen des VW-Konzerns aber sind auch aus US-Sicht ein handfester Skandal, denn diesmal steckt dahinter nicht Nachlässigkeit oder Schlamperei, sondern pure Absicht.

Nach Ansicht der New York Times zeigen Art und Ausmaß der Tricksereien, dass "die Probleme bei VW in der Vorstandsetage beginnen". Anstoß nimmt das Blatt vor allem daran, dass bei Volkswagen "die gewöhnlichen Aktionäre nichts zu sagen haben", weil der Aufsichtsrat von den Familien Piëch und Porsche, dem Land Niedersachsen, dem Staatsfonds Katars und den Vertretern der Arbeitnehmer beherrscht wird. Eine wirksame Kontrolle des Vorstands sei so nicht möglich.

Das Wall Street Journal meint gar, VW verdiene es, "kielgeholt zu werden, wenn sich die Vorwürfe als wahr erweisen sollten". Zunächst aber müssten der Konzern und die Behörden die Vielzahl der immer noch offenen Fragen beantworten: "Wer hat angeordnet, die mit der Fehler-Software ausgestatteten Teile zu installieren, und was hat ihn dazu motiviert? Haben VW-Verantwortliche das Vorgehen gebilligt oder davon gewusst? Dienten die Vorrichtungen noch einem anderen Zweck als dem, die US-Emissionsvorschriften zu unterlaufen?" Die Öffentlichkeit, so die Zeitung, "weiß immer noch wenig".

Die Los Angeles Times ruft die US-Behörden dazu auf, nicht nur das Unternehmen Volkswagen für die Machenschaften zur Rechenschaft zu ziehen, sondern auch die handelnden Personen. Es müsse deutlich werden, "dass Menschen, die im Namen ihrer Firma eine Straftat begehen, dafür auch persönlich strafbar gemacht werden", schreibt das Blatt. Zwar habe eine Firma das Recht, sich gegen Vorschriften, die sie als unnötig oder zu streng empfindet, zu wehren - "aber auf politischem oder rechtlichem Weg, nicht durch betrügerische Computercodes oder Lügen".

Wer im Übrigen geglaubt haben sollte, die großen US-Autokonzerne und ihre Heimatblätter lachten sich ob der Probleme der deutschen Konkurrenz ins Fäustchen, sieht sich getäuscht. Die Zeitungen, etwa aus Detroit, gehen betont sachlich mit dem Skandal um - vielleicht auch weil sie wissen, dass es beim nächsten Mal wieder eines "ihrer" Unternehmen treffen könnte. So verweisen die Detroit News darauf, dass sich binnen fünf Jahren die drei größten Autohersteller der Welt - VW, Toyota und GM - in den USA "eine blutige Nase geholt" hätten. Das zeige, wie sehr die Aufsichtsbehörden mittlerweile gewillt seien, ihre gewachsene Macht auch zu nutzen.

Einige US-Zeitungen fragen bereits, ob VW ohne Staatshilfe wird überleben können. Die Detroit Free Press geht gar noch einen Schritt weiter und macht sich Gedanken über die Zukunft von Wolfsburg. Das Blatt erinnert an das Schicksal amerikanischer Autostädte, etwa an Flint, einen Ort in Michigan, "der einst Autos in die Welt exportierte und Bündel von Bargeld importierte". Dann schloss GM seine Fabriken, und Flint versank in Arbeitslosigkeit. Er habe die Wolfsburger Stadtväter einmal gefragt, schreibt der Kommentator, ob ihnen nicht auch manchmal bange sei. Die Herren hätten ihn aber nur "ein wenig selbstgefällig" angeschaut. "Dass in Wolfsburg bisher alles ganz ordentlich gelaufen ist", so der Autor weiter, "heißt aber noch lange nicht, dass die guten Zeiten für immer anhalten werden."

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