Meine Presseschau:Die unbeliebteste Regierungschefin

Meine Presseschau: Kai Strittmatter ist Korrespondent der SZ in China.

Kai Strittmatter ist Korrespondent der SZ in China.

In einer Scheinwahl wurde die Kandidatin Pekings zur Premierministerin von Hongkong gewählt. Es gab heftige Debatten in der Presse.

Ausgewählt von Kai Strittmatter

Das gebeutelte Hongkong hat eine neue Regierungschefin - und weitere turbulente Jahre vor sich. Gewählt wurde vorigen Sonntag Carrie Lam, eine Karrierebeamtin und gläubige Katholikin, die von sich sagte, die Stimme Gottes habe sie zur Kandidatur bewogen. Zum Sieg verholfen hat ihr aber dann die Stimme Pekings, in einer "Nicht-Wahl", wie es Bürgerrechtler nannten: Exakt 777 von knapp 1200 handverlesenen Hongkonger Wahlmännern und -frauen taten Chinas KP den Gefallen und kürten in Lam die Kandidatin Pekings. Gejubelt hat denn auch vor allem Chinas Staatspresse. "Blühend wie eine Bauhinia-Blüte" stehe Carrie Lam nun da, dichtete die Volkszeitung. "Frau Lam liebt das Vaterland", lobte die Nachrichtenagentur Xinhua: "Die Zentralregierung vertraut ihr, die Hongkonger unterstützen sie."

Der Satz stimmt nur zur Hälfte. Lam hat als Verwaltungschefin mit unbedingter Peking-Loyalität viele Bürger gegen sich aufgebracht. Hätten die Hongkonger in freien Wahlen abstimmen dürfen, Lam hätte krachend verloren gegen ihren Gegenkandidaten, den ehemaligen Finanzminister John Tsang. Hongkongs Apple Daily nannte Lam nach der Wahl gar die "unpopulärste Regierungschefin der Geschichte". Pekings Sprachrohre in der Stadt hielten dagegen (die linientreue Wen Wei Pao verglich sie mit Nüwa, der mythischen Schöpfungsgöttin der Chinesen), aber selbst die Sing Pao, ein traditionell pekingfreundliches Blatt, konstatierte, Lam habe "zwar die Wahl, aber nicht die Herzen der Menschen gewonnen". Sogar der Wahlkampfchef von Lam, Bernard Chan, gestand in der South China Morning Post (SCMP) ein, der Wahlmodus habe "keine große Glaubwürdigkeit in der Gemeinde" und sorge für "Zynismus".

Hongkong fürchtet um seine Autonomie: Pekings Einmischung wird zunehmend unverfrorener. Die Wahl ist da nur das jüngste Beispiel. "Lams Sieg wäre nie möglich gewesen ohne die aggressive Einmischung von Pekings Verbindungsbüro", kommentierte das Hongkong Economic Journal. Klar, dass Lam nun "in der Schuld Pekings" stehe. Und die Hongkong Free Press hatte ihren Kommentar angesichts des ohnehin feststehenden Wahlausganges schon vor der Wahl veröffentlicht: Carrie Lam als Regierungschefin, das sei "nicht die Apokalypse, aber schlimm genug". Viele Blätter fürchten eine weitere Polarisierung: Die Chinafreunde um das Establishment auf der einen Seite und die zunehmend frustrierten Reformfreunde auf der anderen Seite, darunter ein großer Teil der Jugend, die 2014 in der Regenschirmrebellion auf die Straße gegangen war. Dass ausgerechnet am Tag nach der Wahl Ermittlungen gegen neun demokratische Aktivisten aufgenommen wurden, die die Bewegung von 2014 organisiert hatten, sei "kein Zufall", schrieb das Hongkong Economic Journal.

Die Zahl 777 wurde viel debattiert diese Woche. So viele Stimmen hatte Carrie Lam erhalten. An ihrem Vorgänger Leung Chun-ying war einst das Wahlergebnis als Spitzname kleben geblieben, die Leute nennen ihn bis heute "689": Nur 689 von uns 7,3 Millionen Hongkongern haben dich gewählt, soll das heißen. 777 ist aber eine noch weit heiklere Zahl. "Im kantonesischen Slang", erklärt die Plattform EJ Insight, "klingt das wie ein Schimpfwort für Leute, die man für nichtsnutzig, dumm oder impotent hält." Als ob das nicht genügte, klingt die 7 auch noch wie das Wort für "Penis". Lams Unterstützer konterten mit der Bibel: Dort stehe die 7 "für Perfektion und Vollkommenheit", schreibt die SCMP. Die Spötter schlugen selbst nach und stießen auf Psalm 77:7: "Will denn der Herr auf ewig verstoßen und keine Gnade mehr erzeigen?"

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