Meine Presseschau:Alle Vorteile ausgeblendet

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Polens Presse ist in Sachen Zuwanderung tief gespalten. Nationalkonservative Medien sehen hinter der Forderung, Flüchtlinge nach festen Quoten zu verteilen, eine "Erpressung" Brüssels und Berlins.

Ausgewählt von Florian Hassel

Unbequeme Wahrheiten werden nirgendwo gern gehört. Polen macht hier keine Ausnahme. Schon bis 2020 braucht Europa circa 42 Millionen neue Bürger - sprich: Einwanderer - will es seine Alterung auch nur ausgleichen. Polen hat noch 38,5 Millionen Einwohner, doch altert das Land stark und wird bald jährlich 100 000 Einwanderer brauchen. Derlei Fakten erwähnt in der Warschauer Debatte zur Flüchtlingskrise einsam das Wochenmagazin Polityka. "Unser Problem ist es, dass kein polnischer Politiker auch nur versucht hat, den Bürgern zu erklären, wie man den Ansturm der Migranten für sich nutzen kann."

Das ist noch untertrieben. In dieser Woche diskutierte das Parlament über die Flüchtlingskrise. Regierungschefin Ewa Kopacz sprach viel von europäischer Solidarität, vermied jedoch jede konkrete Festlegung, wie viele Flüchtlinge Polen aufnehmen will. Jarosław Kaczyński, Führer der nationalistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), wetterte gegen mehr Flüchtlinge und malte ein Schauerbild an die Wand, in dem etwa im flüchtlingsfreundlichen Schweden schon die Scharia gelte, also das islamische Recht.

Kaczyńskis Verdrehungen kommen bei vielen Polen gut an, die nie Erfahrungen mit Ausländern außerhalb ihres Kulturkreises gesammelt haben. Die PiS führt in den Umfragen und wird nach einer Wahl am 25. Oktober voraussichtlich Polen regieren. Der PiS-Kurs wird von etlichen konservativen Medien unterstützt - etwa von der Tageszeitung Rzespospolita, derzufolge Angela Merkel mit der Aufnahme der Flüchtlinge "einen Fehler begangen hat, für den nun ganz Europa zahlt".

Seit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker 120 000 Flüchtlinge per Quote verteilen will, wettert das konservative Wochenmagazin Wprost gegen die angebliche Erpressung durch Brüssel und Berlin - ein bei vielen Polen verbreitetes, nicht nur in der Flüchtlingskrise bemühtes Leitmotiv. "Dieser Erpressung können wir uns nicht fügen", fordert Wprost. Dass Millionen Polen ihrerseits in vergangenen Jahrzehnten im Ausland aufgenommen wurden, fällt bei Wprost ebenso unter den Tisch wie beim ebenfalls rechten Magazin Do Rzeczy. Dieses ging gerade mit einem Foto von Flüchtlingen und dem Titel "Dies sind Angreifer, keine Flüchtlinge" an die Kioske.

So entschieden nationalkonservative Medien Front gegen die Aufnahme von Flüchtlingen machen, so entschieden tritt dafür die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza ein. Polens konservative Medien blenden die Vorteile von Einwanderung aus - in der Wyborcza kommen damit verbundene Probleme oft zu kurz. Die Wyborcza sieht das Flüchtlingsthema nun als "Schlüsselthema im Wahlkampf. . . Die Polen werden am 25. Oktober wieder wählen müssen, ob Polen ein Teil der europäischen Familie bleibt, als offenes und solidarisches Land, oder ob es ein egoistisches und grundlegend antieuropäisches Land wird".

Damit steht die Wyborcza nicht allein. "Ich bin nicht blind gegenüber dem Effekt der langsamen Islamisierung vieler europäischer Länder, und ich fürchte barbarische islamistische Fanatiker", gab Tomasz Lis von der polnischen Newsweek zu. "Aber noch mehr fürchte ich unsere Untreue gegenüber dem wichtigsten christlichen Gebot der Nächstenliebe." Dann geißelte Lis "als besonders abstoßend" polnische Politiker und Kirchenmänner, die nur christliche Flüchtlinge aufnehmen wollen. Auch die lavierende Regierung kommt schlecht weg: "Richtig wäre es, wenn die Regierungspartei...an die Polen appellieren würde...dass es nötig ist zu helfen - so wie uns einmal geholfen wurde."

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