Mehrheit im US-Senat:Machtkampf im Schatten des Weißen Hauses

Obama gegen Romney - das Duell überstrahlt derzeit alles in den USA. Doch genauso spannend ist der Kampf um die Mehrheit im US-Senat. Dank irrer Republikaner-Aussagen über "legitime Vergewaltigung" oder einer politikverdrossenen Konservativen aus Maine könnten die Demokraten ihre Mehrheit dort verteidigen. Welche Szenarien möglich sind.

Matthias Kolb, Washington

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Barack Obama bei einer Rede im Kongress im Jahr 2011. Der Präsident hatte während seiner ersten Amtszeit große Probleme mit dem Repräsentantenhaus.

(Foto: AFP)

2006 war ein gutes Wahljahr für die Demokraten. Die Amerikaner hatten genug von Präsident George W. Bush und den teuren Kriegen in Afghanistan und Irak. Die Folge: Bei den midterm elections gewannen die Demokraten 23 der 33 zu vergebenden Sitze im Senat und sicherten sich so die Mehrheit im Kongress. Jeder der 50 Bundesstaaten entsendet zwei Vertreter für sechs Jahre nach Washington, so dass sich in jedem Turnus ein Drittel der Senatoren den Wählern stellen muss.

Der Erfolg von 2006 ist die Herausforderung von 2012: Die Demokraten stellen 53 der 100 Senatoren, so dass die Republikaner ihnen am 6. November nur vier Sitze abjagen müssen, um die Oberhand zu gewinnen. Bis zum Sommer schien dies bei einer Arbeitslosigkeit von mehr als acht Prozent und vielen enttäuschten Obama-Fans ein Kinderspiel zu sein. Die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus (242 von 435 Sitzen) scheint ungefährdet.

Doch vier Wochen vor der Wahl halten es Beobachter für möglich, dass die Demokraten ihre Mehrheit im Senat verteidigen können, da 14 der 33 Duelle äußerst knapp sind. Die gesamtpolitische Stimmung, sprich ob Barack Obama seine Favoritenrolle behält, werde wohl den Ausschlag geben, vermutet der Economist. Zurzeit sind fünf Szenarien denkbar, die zeigen, wie unterschiedlich groß der mögliche Spielraum für Obama und Romney trotz eines Sieges sein kann.

- Präsident: Obama / Senat: Mehrheit für Demokraten / House: Mehrheit für Republikaner

Alles bleibt beim Alten. Die Republikaner können in dem auf Kompromissfindung und checks and balances basierenden politischen System der USA fast alles blockieren. Senat und Repräsentantenhaus verabschieden Gesetze, welche der jeweiligen Basis gefallen und in der anderen Kammer chancenlos sind (mehr in diesem Süddeutsche.de-Artikel). Ausweg: Die Republikaner sind plötzlich zu Kooperation bereit.

- Präsident: Obama / Senat: Mehrheit für Republikaner / House: Mehrheit für Republikaner

Beide Seiten müssen aufeinander zugehen oder sich in einen Stellungskrieg begeben. Im letzteren Fall würde Obama ständig sein Vetorecht nutzen, während die Republikaner nicht einmal abstimmen über die Vorschläge des Weißen Hauses. Da die Demokraten mit Sicherheit mehr als 40 Sitze im Senat erhalten werden, können sie mit der Methode des filibustering, dem Dauer-Debattieren, Abstimmungen hinausschieben.

- Präsident: Romney / Senat: Mehrheit für Demokraten / House: Mehrheit für Republikaner

Selbst wenn Mitt Romney nach dem starken Debatten-Auftritt die Wende noch gelingt, wird ein demokratisch kontrollierter Senat dem Republikaner das Leben äußerst schwer machen und viele seiner Vorhaben blockieren oder Zugeständnisse fordern. Romney befände sich nahezu exakt in der gleichen Lage wie Obama heute.

- Präsident: Romney / Senat: Mehrheit für Republikaner / House: Mehrheit für Republikaner

Die Republikaner können sich daran machen, ihre Politikvorstellungen (weniger Staat und Regulierung, niedrigere Steuern sowie Umbau der sozialen Sicherungssysteme) umzusetzen. Zwar können die Demokraten im Senat per filibustering viel blockieren, doch angesichts der Probleme der US-Wirtschaft und drohender Herabstufung durch die Ratingagenturen werden Kompromisse gefunden. Die Situation gleicht jener, die Obama zwischen Januar 2010 und Januar 2011 vorfand, als seine "Super-Mehrheit" von 60 Stimmen verlorenging - diese Mehrheit ist nötig, um die Dauer-Debatten zu unterbinden (Details in diesem Süddeutsche.de-Artikel).

- Präsident: Romney oder Obama / Senat: Patt / House: Mehrheit für Republikaner

Bei einem Patt von 50 zu 50 käme dem Vizepräsidenten die Schlüsselrolle zu: Laut US-Verfassung gibt seine Stimme in diesem Fall den Ausschlag. Bleiben Obama und Joe Biden im Weißen Haus, dann gilt das erste Szenario, bei einem Sieg von Romney und Paul Ryan Szenario Nummer vier.

Warum hat sich die Lage für Republikaner verschlechtert?

Doch warum hat sich die Ausgangslage für die Republikaner so verschlechtert? Der Economist hat die Chancen der verschiedenen Kandidaten präzise zusammengefasst. Zwei Muster zeichnen sich allerdings ab:

[] Die Tea Party vergrault Wähler. Bis Mitte August galt Claire McCaskill in Missouri als chancenlos. Dann schwafelte Todd Akin von "legitimen Vergewaltigungen" und löste einen Sturm der Entrüstung aus. Die Folge: Akin erhält kein Geld mehr von konservativen Super-Pacs und McCaskill freut sich über Spenden in Millionenhöhe, mit denen sie viele Anti-Akin-Werbespots finanziert. Die Wiederwahl der Demokratin scheint sicher, auch wenn Akin offenbar wieder finanzielle Unterstützung erhält. In Indiana gewann der Tea-Party-Liebling Richard Mourdock gegen das Urgestein Dick Lugar - und Demokrat Joe Donnelly hat plötzlich Chancen.

[] Eigene Sitze sind in Gefahr. Es war eine Sensation, als der Republikaner Scott Brown, ein Ex-Teilzeit-Nacktmodel, im Januar 2010 den vakanten Sitz von Demokraten-Legende Ted Kennedy in Massachusetts gewann. Nun tritt Brown gegen Elizabeth Warren an. Niemand hat mehr Spenden eingesammelt als die Frontfrau der Liberalen, die auf dem Parteitag in Charlotte dafür gefeiert wurde, dass die Harvard-Professorin die Exzesse der Wall-Street-Banken anprangerte - seither liegt sie in Umfragen vorne. Im Winter schockierte Olympia Snowe ihre Parteifreunde: Die populäre Republikanerin aus Maine hat genug vom Polit-Hickhack und ging in den Ruhestand. Ihr Nachfolger wird zweifellos der Ex-Gouverneur Angus King, der offiziell als unabhängiger Kandidat antritt, aber sich den Demokraten anschließen wird.

Bis zum 6. November kann noch viel geschehen. Die Bewerber treten in ihren Bundesstaaten zu TV-Debatten an und Demokraten wie Tim Kaine in Virginia würden von einer guten Performance Obamas in den kommenden Rededuellen mit Romney profitieren. Doch wer wissen will, welchen Kurs die USA von 2013 an einschlagen werden, der sollte nicht nur die Werte von Romney und Obama in den Swing States, sondern auch bei Websites wie RealClearPolitics verfolgen, wie es in den Rennen um die Senatssitze aussieht.

Linktipp: In einem Essay für die Washington Post hat die Republikanerin Olympia Snowe erklärt, weshalb sie sich nicht wieder für einen Sitz im Senat bewirbt: Das System sei dysfunktional.

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