Mehr Geld für ältere Arbeitslose:Rolle Rüttgers auf sozialdemokratisch

Lange hat sich die SPD Forderungen von Politikern wie Jürgen Rüttgers nach mehr Geld für ältere Arbeitslose widersetzt - das ist jetzt vorbei.

Nico Fried

Vor zwei Wochen saß Kurt Beck mit Jürgen Rüttgers in der Premiere der neuen Talkshow "Anne Will". Vor einem Millionen-Publikum stichelte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident in Richtung des SPD-Chefs wegen der Weigerung der Sozialdemokraten, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I (ALG I) wieder zu verlängern - eine Forderung, mit der Rüttgers seit gut einem Jahr hausieren geht. Beck und die SPD, so suggerierte der stellvertretende CDU-Vorsitzende im Fernsehen, kuschten bei diesem Thema vor Arbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering.

Schwer zu sagen, ob Rüttgers' Provokationen Wirkung gezeigt haben. Jedenfalls hat Beck nun die Tür einen Spalt weit geöffnet - und damit auch die Konfrontation mit Müntefering riskiert: Die SPD erwägt entgegen ihrer bisherigen Position eine Änderung bei der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I, vor allem zugunsten älterer Beschäftigter.

Sollte es dazu kommen, wäre dies ein erster Bruch mit der Agenda 2010 von Gerhard Schröder - auch wenn Generalsekretär Hubertus Heil am Montag lediglich von einer "Weiterentwicklung" sprach. Und einmal mehr steht die Frage im Raum, ob Beck und Müntefering wirklich an einem Strang in dieselbe Richtung ziehen, wie der Vizekanzler kürzlich erklärt hatte.

"Alle gegen Münte"

Müntefering vertrat im SPD-Präsidium nach Teilnehmerangaben unmissverständlich seine Haltung, dass es keine Änderung geben solle. Beistand erhielt er in der Runde jedoch lediglich vom noch amtierenden stellvertretenden Parteivorsitzenden Jens Bullerjahn.

Finanzminister Peer Steinbrück, den man in dieser Frage auch ungefragt bei Müntefering verorten darf, nahm an der Sitzung nicht teil. Der designierte Parteivize, Frank-Walter Steinmeier, versuchte zu vermitteln und appellierte an Müntefering und Beck, eine gemeinsame Position zu finden, um den Parteitag Ende Oktober konfliktfrei zu erreichen. Die restlichen Stellungnahmen fassten mehrere Teilnehmer kurz zusammen: "Alle gegen Münte."

Doch ganz so einfach ist die Lage nicht. Denn mindestens die Führung der Sozialdemokraten kommt mit dem Vorstoß zu einer Verlängerung der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I in beträchtliche Erklärungsnot. Kein Ansinnen aus den Reihen der Union hatten sie in zwei Jahren Große Koalition so vehement bekämpft wie den Vorschlag aus Düsseldorf. Als "Rolle Rüttgers" wurde die Forderung stets verhohnepipelt.

Maximal 18 Monate

Seit der Hartz-Reform wird das Arbeitslosengeld I nach einer Übergangsphase jetzt nur noch maximal 12 Monate ausgezahlt, nur über 55-Jährige haben für maximal 18 Monate einen Anspruch. Beck will jetzt einen Vorschlag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) aufgreifen und prüfen lassen. Dieser sieht vor, dass über 45-Jährige 15 Monate und über 50-Jährige 24 Monate lang Arbeitslosengeld I erhalten sollen.

Es war im November 2006, als Rüttgers' Forderung, die Bezugsdauer des ALG I wieder zu verlängern, den geballten Zorn der SPD-Spitze hervorrief. Zum einen wegen der Gegenfinanzierung: Rüttgers wollte die Änderung durch Umschichtung innerhalb des Systems bezahlen: mehr Geld für ältere, dafür weniger für junge Arbeitslose.

Müntefering, der ahnte, dass Rüttgers in der SPD und vor allem bei den Gewerkschaften Sympathisanten finden würde, holte damals als Erster zum Gegenschlag aus: In einer SPD-Fraktionssitzung nannte er den Vorschlag von Rüttgers eine "Sauerei" und warnte die eigenen Parteifreunde, sich "nicht Bange machen" zu lassen. "Man darf nicht gleich weiche Knie bekommen, wenn die mit so etwas kommen", sagte er mit Blick auf die CDU. Seine Suada in der Fraktion endete mit der Aufforderung: "Auf sie mit Gebrüll!"

Doch es war nicht allein die Finanzierungsfrage. Einige Tage später kritisierte Parteichef Beck auch den systematischen Ansatz von Rüttgers. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung antwortete er auf die Frage, ob es gerecht sei, dass jemand, der 30 Jahre gearbeitet habe, genauso lange Geld bekomme, wie jemand, der nur zwei Jahre gearbeitet habe: "In der Arbeitslosenversicherung wird ein Risiko abgesichert, aber es wird damit kein Ansparbetrag erzielt."

Es gehe darum, den Menschen zu helfen, eine bestimmte Zeit der Arbeitslosigkeit zu überbrücken, in der sie so schnell wie möglich einen neuen Job finden sollten. "Außerdem ist entscheidend, dass wir nicht wieder in die Vergangenheit zurückfallen, als die lange Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes dazu führte, dass immer mehr Arbeitnehmer auf Kosten der Sozialkasse in die Frühverrentung geschickt wurden."

Zwei Wochen später erhielt die SPD damals überraschende Rückendeckung: Bundespräsident Horst Köhler, von der Union einst ins Amt gehievt, kritisierte den Vorschlag von Rüttgers: "Der Vorschlag, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I nach der Länge der Einzahlungszeit zu staffeln, schwächt das Versicherungsprinzip und damit eine zentrale zivilisatorische und soziale Errungenschaft zur Schaffung von Sicherheit in modernen Gesellschaften."

Generalsekretär Hubertus Heil argumentierte nun, die Bedingungen hätten sich verändert: Die Gefahr der Frühverrentung auf Kosten der Allgemeinheit bestehe nicht mehr. Außerdem bleibe die SPD dem Versicherungsprinzip treu - wenn auch mit Ausnahmen, wie Heil einräumte. Am wichtigsten sei jedoch, dass man sich nicht den Vorschlag von Rüttgers zu eigen mache. Das stimmt. Aber ein gutes Stück näher gekommen ist man ihm allemal.

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