Mehr als 450 Tote:"Olmert ertrinkt in Blut"

Israelische Medien und Politiker kritisieren ihre Regierung immer offener: Ohne einen Sieg gegen Hisbollah seien die Tage des Premierministers gezählt.

Thorsten Schmitz

16 Tage nach Beginn der israelischen Libanon-Invasion nimmt nicht nur die internationale Kritik an der Massivität der Luftangriffe zu - auch immer mehr Menschen in Israel stellen den Zweck der Militär-Operationen in Frage.

Die Spaltung in Befürworter und Gegner der Offensive reicht bis in die Regierung hinein.

Die Kritik an Premierminister Ehud Olmert und Verteidigungsminister Amir Peretz nahm am Donnerstag auf einer Sondersitzung des Kabinetts angesichts der Schlacht um die Hisbollah-Hochburg Bint Dschbeil im Süd-Libanon zu.

Auch nach der Führungsfähigkeit der erst seit vier Monaten amtierenden Zivilisten-Regierung wird gefragt - angesichts widersprüchlicher Erklärungen.

Zunächst sperrte sich Olmert gegen eine multinationale Truppe im Süd-Libanon - inzwischen befürworten er und Peretz diese.

Zunächst wurde als Ziel die Zerstörung der Hisbollah ausgegeben - inzwischen soll die Gruppe nur noch geschwächt und letztlich von der süd-libanesischen Armee entwaffnet werden.

Zunächst lehnte Olmert die Wiederbesetzung Süd-Libanons ab - jetzt soll ein zwei Kilometer breiter Korridor nach Art der vor sechs Jahren geräumten Sicherheitszone eingerichtet werden.

Auch in der Armee-Führung herrscht offenbar eine gewisse Planlosigkeit.

Noch am Dienstag hieß es, die 20000-Einwohner-Stadt Bint Dschbeil sei von israelischen Soldaten erobert worden. Kurz darauf lieferten sich israelische Soldaten und Hisbollah-Milizionäre stundenlange heftige Gefechte, bei denen acht israelische Soldaten getötet wurden.

Israel liegt an der Einnahme Bint Dschbeils auch aus symbolischen Gründen sehr viel: Hier hatte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah vor sechs Jahren nach dem Rückzug der israelischen Armee eine Siegesrede gehalten.

"Hisbollah stärker als Hamas"

In israelischen Medien heißt es, Peretz und Olmert seien Geiseln der Armeeführung unter Generalstabschef Dan Halutz. Dieser habe den beiden in militärischen Angelegenheiten eher unerfahrenen Politikern zur Option des Libanon-Einmarsches geraten.

Doch inzwischen fragen selbst regierungsnahe Blätter wie die Jerusalem Post, was bislang durch die Invasion erreicht worden sei. Die Armee könne "keinen einzigen Erfolg vorweisen".

Die Hisbollah feuere ungehindert täglich 100 Raketen auf Nord-Israel, immer mehr Soldaten würden getötet und Nasrallah sei noch immer am Leben.

Nach Informationen israelischer Medien, die wegen der herrschenden Militär-Zensur zunehmend Armee-Offiziere anonym zitieren, herrscht im Führungsstab große Unzufriedenheit.

"Olmert ertrinkt in Blut"

Ginge es nach Armee-Chef Halutz, würden wie im Libanon-Krieg von 1982 Zehntausende Soldaten in den Süd-Libanon entsandt und mehr Ortschaften als bisher völlig zerstört.

Die Führung unter Peretz und Olmert jedoch sprach sich dagegen aus. Die Armee fühlt sich an kurzer Leine gehalten und sieht ihre Soldaten aufgrund der zurückhaltenden Taktik einer zu großen Gefahr ausgesetzt.

Am Donnerstag wurde im Rundfunk ein Offizier mit den Worten zitiert: "Die Hisbollah besteht aus starken Kämpfern. Sie sind stärker als die Hamas." Peretz und Olmert aber wollten die ohnehin bereits hohe Zahl an getöteten libanesischen Zivilisten nicht noch steigern und fürchteten internationale Kritik.

Immer öfter wird in Israel auch die Frage gestellt, aus welchen Motiven die Regierung Olmert sich für die Offensive entschieden habe.

Immerhin seien nur zwei Soldaten entführt worden, argumentiert etwa der Knesset-Abgeordnete Ran Cohen von der linken "Meretz"-Partei.

Er wirft Olmert vor, sich von der Hisbollah in einen Guerilla-Krieg hineinziehen zu lassen. Olmert "ertrinkt in Süd-Libanon in Blut, genau wie es sich Nasrallah vorgestellt hat".

Inzwischen sind mehr als 400 Libanesen, unter ihnen viele Zivilisten, getötet worden. Israel beklagt inzwischen 51 Tote. Darüber hinaus leben die zwei Millionen Bewohner im Norden Israels in ständiger Angst.

Nach Ansicht des Zeitungskommentators Usi Bensiman wird die Libanon-Invasion auch über die politische Zukunft von Olmert und Peretz entscheiden. Sollte Israel keinen Sieg verzeichnen, seien die Tage von Olmert gezählt.

Bei einer Einstellung der Kämpfe würde das Volk der Regierung die Rechnung für die Neu-Auflage eines Libanons-Krieges präsentieren - in Form einer Abwahl.

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