Medwedjew ist neuer Präsident Russlands:Das Putin-Projekt, nächste Folge

In Russland hoffen viele darauf, dass der neue Präsident Medwedjew nicht nur versöhnlich spricht.

Sonja Zekri, Moskau

Jahrelang hatte Russland diesen Moment gefürchtet. Nun hat das Land einen Präsidenten gewählt - bewacht von Hunderttausenden Polizisten und Soldaten, mit Metalldetektoren vor den Wahllokalen. Noch immer gilt in Russland jeder Machtwechsel als Sicherheitsrisiko. Und auch diese Wahl hat, allen Beschwörungen der Stabilität zum Trotz, schwer kalkulierbare Folgen. Dies ist eine direkte Folge der byzantinischen Amtsführung Wladimir Putins.

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Nach der Stimmenabgabe gingen Dmitrij Medwedjew und Wladimir Putin gemeinsam essen.

(Foto: Foto: AFP)

Auf den ersten Blick wurden alle Zufälle ausgeschlossen, selbst marginale Opponenten abgedrängt, bis nur ein obskurer Rest übrig blieb. Am Ende wirkte neben dem zahnlosen Krakeeler Wladimir Schirinowskij und dem obskuren Nobody Andrej Bogdanow ausgerechnet der Altkommunist Gennadij Sjuganow wie der einzige authentische Politiker.

Doch gerade die Über-Orchestrierung war ein Indiz für die Nervosität im Kreml. Das demokratische Ritual wurde so entwertet, dass es vielen einerlei war, ob sie wählen gingen oder nicht. Auf das Ergebnis, so ihre Überzeugung, hatte weder das eine noch das andere Einfluss.

Putin im Glück

Dieser Verzicht auf Mitsprache hat seinen Preis. Die politische Zurückhaltung kann sich der Staat nur erhalten, wenn er einen Teil seiner Reichtümer abgibt. Putin hatte dies erkannt, und er hatte Glück. Dank des explodierenden Ölpreises konnte er Milliarden verteilen. Dmitrij Medwedjew dürfte es nicht mehr so leicht haben.

Zwar ist der Ölpreis unverändert hoch, dennoch verliert das Wirtschaftswachstum an Kraft. Die Inflation ist nur schwer kontrollierbar. Die Lebensmittelpreise sind ein Dauerthema. Das Bildungswesen ist, wie so viele Bereiche des Alltags, durch Korruption geschwächt. Nichts deutet darauf hin, dass Russland sich demnächst aus der Ressourcenabhängigkeit befreien wird.

Die Menschen aber haben dem verordneten Präsidenten Medwedjew nur deshalb zugestimmt, weil sie sich von ihm eine Fortsetzung des Aufschwungs erhoffen. Bricht die Wirtschaft ein, könnte das Klima für Putins Kronprinzen schnell rauer werden.

Irrationale Hoffnungen auf Medwedjew

Die Empörung würde sich nicht an hehren Idealen wie Demokratie oder Pressefreiheit orientieren, sondern gegen Bauskandale und Preiserhöhungen für U-Bahn-Tickets richten. Selbst Putin lenkte vor drei Jahren ein, weil die Leute aufbegehrten. Damals protestierten Zehntausende Rentner, denen der kostenlose Transport und Mietvergünstigungen gestrichen werden sollten.

Es liegt in der Natur des Putin-Projektes, dass sich diese personalisierte Amtsführung nicht übertragen lässt. Die Konstruktion mit Medwedjew als Präsident und Putin als Ministerpräsident wurde unter der Annahme entworfen, dass Medwedjew für die politische Emanzipation die nötige Hausmacht im Kreml fehlt. Das stimmt. Allerdings hat Putin vorgemacht, wie man im Laufe weniger Jahre das gesamte Personal in Schlüsselpositionen austauscht. Niemand weiß, wie er reagieren wird, falls Medwedjew ihn auch in diesem Punkt imitiert.

Für die Mächtigen steht viel auf dem Spiel

Schon jetzt setzen Russlands Rest-Demokraten irrationale Hoffnungen auf Medwedjew, von einem "Triumph des Liberalismus" ist die Rede, von einem "neuen Tauwetter", als wäre der Neue ein zweiter Chruschtschow. Diese Erwartung gründet sich bislang auf wenig mehr als auf Medwedjews versöhnlichere Rhetorik, in der sich Verweise auf den Friedensnobelpreisträger Sacharow finden und nicht auf den KGB-Gründer Dserschinskij.

Sollte der neue Präsident tatsächlich eine Öffnung riskieren, Politiker aus den Aufsichtsräten abziehen, die Korruption bekämpfen, Widerspruch dulden, würde er sich gefährliche Feinde machen. Die Falken im Kreml haben bereits seine Kandidatur als Provokation empfunden.

Das von Putin ausbalancierte Machtgefüge rivalisierender Gruppen ist in Schwingung geraten. Nach acht Jahren der lukrativen Verschmelzung von Wirtschaft und Politik steht für Russlands Mächtige viel auf dem Spiel.

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