Mazedonien:Siegerpose, Siegerworte

Die Regierung in dem EU-Kandidatenland ist gründlich diskreditiert. Die Massenproteste hat Oppositionschef Zoran Zaev angefacht. Doch die Demonstranten könnten auch ihn aus dem Amt fegen.

Von Nadia Pantel, Skopje

Es sind die Stunden, vielleicht auch die Tage, in denen noch alles offen ist. Zwischen den Buchsbäumen vor dem mazedonischen Regierungssitz spannen ein paar ältere Männer Plastikplanen, um sich ein wenig Schatten zu verschaffen. An die Planen kleben sie das Motiv der Stunde: Ein rot durchgestrichenes Porträt von Premier Nikola Gruevski. Bis der zurücktritt, will das Bündnis aus sozialdemokratischer Opposition und Bürgerrechtsgruppen auf dem Grünstreifen ausharren. Gruevski soll vor Gericht und sich Korruptionsvorwürfen stellen, fordern sie. Es müsse Neuwahlen geben. Bis es soweit ist, warten und picknicken sie.

Igor, Bekim und ein junge Frau, die noch nicht einmal ihren Vornamen nennen will, sitzen hinter den Buchsbaum-Männern. Sie sind Ende 20, diese Tage sind das Beste, was sie in Skopje je erlebt haben, sagen sie. "Alle, die sich normalerweise verstecken, die Schwulen und Lesben, trauen sich jetzt auf die Straße." Bekim gehört zur albanischen Minderheit, die anderen beiden sind Mazedonier. "Diese ethnischen Labels interessieren uns nicht", sagt Bekim, "die Regierung und die Medien inszenieren einen ethnischen Konflikt, den es im Alltag nicht gibt." Auf dem Kopf trägt er eine lila-grüne Baseball-Kappe, am Handgelenk ein breites schwarzes Armband. Darin ist ein Sensor, der mit einer Menschenrechtsorganisation in Schweden verbunden ist. Wenn Bekim angegriffen wird, werden seine Standortdaten sofort erfasst. "Als Aktivist für Lesben- und Schwulen-Rechte bin ich ständig Anfeindungen ausgesetzt. Die Situation hier ist schlimmer als in Russland."

Auf der Großdemo am Sonntag habe ein regierungstreuer Fernsehjournalist ein Foto der Regenbogenfahne auf Facebook gepostet und "Schwuchtelprotest" dazu geschrieben. "Gruevskis Regierung ist offen homophob. Die Mehrheit der Gesellschaft ist nicht so reaktionär wie diese Männer an der Macht."

Ob sie sich vom sozialdemokratischen Oppositionschef Zoran Zaev eine Verbesserung erwarten? "Ich misstraue allen Politikern", sagt Igor, "Aber Zaev wäre allemal besser als Gruevski."

Als am Sonntag die Demonstranten bereits wieder nach Hause gingen, hatte sich der Sozialdemokrat Zaev, 40, auf eine kleine Holzkiste gestellt und Interviews gegeben. Um ihn herum sammelten Roma-Kinder Plastikflaschen, hinter ihm leuchtete die weiße, neo-antike Fassade des frisch renovierten Regierungsgebäudes. Zaev in gebügeltem Hemd, Hände abklatschend, strahlend. "Ich habe den Bürgern Gerechtigkeit versprochen, die werden sie bekommen" - ein Mann in Siegerpose.

Seit Februar veröffentlicht Zaev abgehörte Telefongespräche, auf denen Regierungspolitiker zu hören sind. Die Aufnahmen haben Premier Gruevski in höchste Erklärungsnot gebracht. Und sie haben Zaev die Möglichkeit gegeben, sich selbst als klare Alternative zu präsentieren. Im Februar ließ der Premier ihm den Reisepass entziehen, er erklärte dazu: Zaev plane einen Putsch. Bereits 2008 wurde Zaev einmal verhaftet. Damals war dem Sozialdemokraten vorgeworfen worden, in unsaubere Geschäfte beim Bau eines Einkaufszentrums verwickelt zu sein.

"Wir werden Jahre brauchen, um den Klientelismus wieder abzubauen."

Ob Zaev das Land wirklich reformieren könnte? Für Sasho Ordanoski, einen der bekanntesten politischen Kommentatoren, ist das eine Frage, die nicht wirklich diskutiert werden muss. "Zaev ist sich bewusst, dass diese Krise, die er ausgelöst hat, auch für ihn das politische Ende bedeuten kann." Gerüchte besagen, dass Zaev anbieten werde, als Anführer der Opposition zurückzutreten, wenn Gruevski als Premier zurücktritt. "Das wäre eine noble Geste von Zaev. Vor einigen Monaten hätte ich ihm das noch nicht zugetraut. Inzwischen schon." Was das Land brauche, seien vorerst keine Neuwahlen, sondern die Wiederherstellung der Gewaltenteilung und einer verlässlichen Justiz. "Wir werden Jahre brauchen, um den von Gruevski installierten Klientelismus wieder abzubauen. Mit dieser Arbeit muss erst einmal eine technische Übergangsregierung beginnen."

Die Verantwortung für die Krise sieht Ordanoski allerdings nicht allein bei Gruevski und seiner Partei. Die Europäische Union habe gesehen, wie sich Mazedonien in den vergangenen Jahren immer mehr zur Autokratie entwickelte, doch sie habe Gruevski gewähren lassen. "Der EU war Stabilität wichtiger als Demokratie. Nun ist die Situation so weit eskaliert, dass das System nicht mehr abgewählt, sondern nur noch gestürzt werden kann."

Wie die meisten Anti-Regierungsaktivisten sagt auch Ordanoski, dass die aktuelle Krise kein Konflikt zwischen Albanern und Mazedoniern sei. 2001 beendete das Land einen bewaffneten Konflikt mit der separatistischen UÇK, der sogenannten "Albanischen Befreiungsarmee in Mazedonien", man schloss ein Abkommen. Die Rechte der albanischen Minderheit, die 25 Prozent der Bevölkerung ausmacht, wurden gestärkt. Dennoch wird der Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen immer wieder angeheizt. Der Friede zwischen den Ethnien, sagt Ordanoski, könnte brüchiger sein als viele annehmen. "Diplomaten und Politiker tragen die Verantwortung dafür, dass die aktuelle Unsicherheit nicht missbraucht wird, um Streit zwischen Albanern und Mazedoniern zu säen."

An diesem Dienstag wollen der Premier und sein sozialdemokratischer Gegenspieler nach Straßburg fliegen, begleitet von Jess Bailey, dem US-Botschafter in Mazedonien, und Aivo Orav, dem Vorsitzenden der EU-Delegation im Land. In Skopje werden sich indessen die Unterstützer der Regierung auf den Straßen bemerkbar machen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: