Matthias Platzeck zur Lage der SPD:"Wir dürfen uns nicht irremachen lassen"

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Vor knapp einem Jahr musste Matthias Platzeck aus gesundheitlichen Gründen nach nur 146 Tagen als SPD-Vorsitzender abtreten. Im SZ-Interview zieht er Bilanz der Arbeit der Großen Koalition.

Nico Fried

SZ: Herr Platzeck, am 10. April jährt sich Ihr Rücktritt. Wehmütig?

Matthias Platzeck (Foto: Foto: ddp)

Platzeck: Na klar. Ich habe das Amt des SPD-Vorsitzenden sehr gerne ausgefüllt. Es aufgeben zu müssen, war die schwerste Entscheidung in meinem Leben. Da ist Wehmut, da stehe ich dazu.

SZ: Der Koalitionsvertrag trägt Ihre Unterschrift. Fühlen Sie sich gut regiert?

Platzeck: Diese Große Koalition leistet vernünftige Arbeit. Ich gehöre nicht zu denen, die Wunder erwartet haben. Dafür ist diese Gesellschaft zu komplex. Wenn man nüchtern betrachtet, was diese Koalition im ersten Jahr zustande gebracht hat, dann ist das in Relation zu anderen Bundesregierungen nicht schlecht.

SZ: Warum strahlt Ihre Partei derzeit trotzdem nicht viel Optimismus aus?

Platzeck: Ich nehme das ganz anders wahr. Unsere Partei hat sich gesammelt. Wenn ich das mit 2004 vergleiche - und so weit liegt das ja noch nicht zurück - steht die SPD wieder gut zusammen. Ich lese auch Umfragen. Aber seit der Bundestagswahl wissen wir, was solche Zahlen wert sind. Und es ist völlig normal, dass in einer großen Koalition, die funktioniert, das meiste Licht erst mal auf die Kanzlerin fällt. Wir dürfen uns da nicht irremachen lassen. Die Leute registrieren sehr genau, wer sich den schwierigen Aufgaben stellt. Wir gestalten Prozesse, die keine Wunschvorstellungen sind. Aber gerade jetzt zeigt sich: Es lohnt sich, die Herausforderungen offensiv anzunehmen. Und die SPD hat es getan.

SZ: Die Bundeskanzlerin ist von der CDU.

Platzeck: Sie macht einen guten Job. Aber wer handelt denn aktiv? Es sind Franz Müntefering, Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel. Und Ulla Schmidt, deren Gesundheitsreform viel besser ist als ihr Ruf. Die tun was. Ich seh nichts von Herrn Glos, ich seh kaum was von Herrn Seehofer, ich seh fast nichts von Frau Schavan. Es sind vor allem unsere Ministerien, wo Zukunft gestaltet wird.

SZ: In Partei und Fraktion sind deren Taten, wie jetzt die Reform der Unternehmenssteuern, aber sehr umstritten.

Platzeck: Das ist doch in Ordnung! Was wäre das für eine SPD, die nach einer Mehrwertsteuererhöhung nicht debattieren würde, ob es richtig ist, Unternehmen weiter zu entlasten? Ich sage das auch als Ministerpräsident: Ich teile die Grundintention der Reform. Aber es gibt auch für mich noch Punkte, die durchaus diskussionswürdig sind. Wir haben in Brandenburg unseren Landeshaushalt gestrafft, die Neuverschuldung halbiert, wollen im neuen Jahrzehnt ohne Kredite auskommen. Ich muss darauf achten, dass die temporären Verluste durch die Reform vertretbar bleiben.

SZ: Wie gefährlich ist die neue Linke für die SPD?

Platzeck: Ich habe keine Angst vor denen. Wir haben in Brandenburg unseren Wahlkampf 2004 in der härtesten Debatte über Hartz IV gegen die PDS führen müssen. Wir sind da raus und wir haben gewonnen. Ich hoffe nur und wünsche mir sehr, dass wir als SPD uns nicht von Einsichten und Wegen abbringen lassen, die wir als richtig erkannt haben.

SZ: Macht eine Unterschriftenaktion für den Mindestlohn Sinn?

Platzeck: Ach, wer über diese Frage debattiert, lenkt doch nur vom eigentlichen Thema ab. Niedriglöhne sind ein gesellschaftliches Problem, das einen kritischen Punkt erreicht hat. Da frisst sich etwas ein, was mit der Menschenwürde nicht vereinbar ist. Der Mindestlohn ist auch ein wichtiger Bestandteil des vorsorgenden Sozialstaats, wie wir ihn im Grundsatzprogramm anstreben. Ich will nicht mehr diese Form von Nachsorge, die den Menschen, die für anständige Arbeit zu wenig Geld bekommen, mit Hartz-IV-Mitteln beim Überleben helfen muss.

SZ: Ihr Kollege Milbradt aus Sachsen sagt, Mindestlohn zerstöre Jobs.

Platzeck: Ich sehe das Problem. Deshalb bin ich für eine sinnvolle Staffelung, auch nach regionalen Gesichtspunkten. Aber für mich gilt: Die Gefahr für Arbeitsplätze, der man mit kluger Politik begegnen kann, ist kein Argument dafür, menschenunwürdige Zustände weiter hinzunehmen. Außerdem brauchen wir allein in Brandenburg in den nächsten Jahren 200.000 neue Fachkräfte. Der gutausgebildete Nachwuchs bleibt aber nur hier, wenn er das Geld zum Leben verdienen kann.

SZ: Als Sie das Thema als Parteichef aufwarfen, haben Kurt Beck und Franz Müntefering noch die Zähne gefletscht.

Platzeck: Politik ist ein Prozess, und wir alle lernen immer dazu.

SZ: Sie haben sich damals auch für das Thema Familie starkgemacht. Jetzt wird es von Frau von der Leyen dominiert.

Platzeck: Die erste und wichtigste Frage lautet: Nützt es was? Und da sage ich ganz klar: Ja. Also unterstützen wird es. Leider hat man 15 Jahre gebraucht, um zu lernen, dass Kinderbetreuung kein Straftatbestand ist. Frühere Einsichten hätten uns manchen Kampf für Strukturen, die es in Ost-Deutschland schon gab, ersparen können. Die erbitterten Debatten in der Union bis heute zeigen dem Bürger obendrein sehr genau: Dieses Thema kommt ursprünglich aus der SPD und ist bei ihr auch zukünftig besser aufgehoben.

SZ: Unterstützen Sie auch das Finanzierungskonzept der SPD, Abschmelzen des Ehegattensplittings und einmaliger Verzicht auf eine Kindergelderhöhung?

Platzeck: Über Details kann man noch reden. Entscheidend ist: Ein Staat wie Deutschland muss das Geld für ein solches nun wahrlich nicht opulentes Programm aufbringen. Von neuen Steuern jedenfalls halte ich da überhaupt nichts.

SZ: Sie haben die Arbeit am Grundsatzprogramm angeschoben. Jetzt liegt ein Entwurf vor. Wie finden Sie ihn?

Platzeck: Ich bin zufrieden. Er ist auf der Höhe der Zeit. Ich finde auch die Diskussionen gut, wie ich sie erlebe. Da ist viel Offenheit, auch bei Menschen außerhalb der Partei.

SZ: An der Basis wird der Wunsch nach mehr Zuspitzung geäußert.

Platzeck: Ich würde mir eher wünschen, dass Themen wie der vorsorgende Sozialstaat nicht noch verwässert werden. Wenn wir das Programm so verabschieden, wie es jetzt ist, wäre es gut, zeitgemäß und fortschrittlich.

© SZ vom 4.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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