Matthias Platzeck:Leicht gerührt und stark geschüttelt

Mit dem Brandenburger Ministerpräsident wählt die SPD die Vergangenheit ab - und staunt selbst etwas über die ungewohnte Einigkeit.

Nico Fried

Der Generationswechsel in der SPD ist schneller als der Kanzler. Um 10.29 Uhr setzt sich Gerhard Schröder auf seinen Stuhl, eine Minute vor dem planmäßigen Beginn der Rede von Matthias Platzeck. Schröder, der als Letzter aus der alten SPD-Führung an diesem Morgen auf dem Podium eintrifft, ist pünktlich-und kommt doch zu spät.

Platzeck ddp

Hatte mit Rangeleien und Intrigen nichts zu tun: SPD-Parteivorsitzender Platzeck.

(Foto: Foto: ddp)

Der künftige Parteivorsitzende hat früher angefangen, Platzeck spricht schon seit einer guten Viertelstunde. Und nur dem Kanzler, der in einer Woche Alt-Kanzler sein wird, hat anscheinend niemand mehr Bescheid gesagt.

Lässigen Schrittes, die linke Hand in der Hosentasche, ist Platzeck-den man auch gemessen an seinen Vorgängern fast einen langen Lulatsch nennen darf-zum Rednerpult geschlakst. Als Gerhard Schröder kommt, sagt Platzeck gerade, dass es für die SPD nicht reiche, nur die richtigen Ziele zu haben. "Nur als lernende Partei, nur auf der Höhe der Zeit" könne man diese Ziele auch erreichen.

Schröder über Platzeck: "Das ist ein Guter"

Kein Wunder, dass Schröder, der so viele Kämpfe gegen die Beharrungskräfte der SPD zu führen hatte, alsbald den Kopf ein wenig seitlich legt und mit Behaglichkeit in der Haltung und Wohlwollen im Gesicht der Rede Platzecks folgt wie ein Professor, der seinem liebsten Doktoranden lauscht. "Das ist ein Guter", hatte Schröder schon in den vergangenen Jahren immer wieder gesagt.

Das findet die Partei auch, sonst wäre Platzecks Nominierung wohl nicht so einhellig begrüßt worden. Möglich ist allerdings, dass die SPD den Kandidaten auch aus ganz anderen Motiven gut findet, die in nicht ganz so vorteilhafter Weise mit Schröder zu tun haben. Es liegt in dieser Wahl, die so überraschend über die SPD gekommen ist, ja durchaus eine gewisse Symbolkraft: Vor zehn Jahren ist der Brandenburger Matthias Platzeck in die SPD eingetreten-es war das Jahr des Mannheimer Parteitags, auf dem der Kampf der Enkelgeneration mit dem Sturz von Rudolf Scharping eskalierte.

Diesmal könnte es wirklich ein Neuanfang sein

Nun tritt mit Gerhard Schröder der letzte dieser Enkel ab, und mit Platzeck kommt einer, der mit all diesen Rangeleien und Intrigen niemals etwas zu tun hatte. Diesmal also könnte es wirklich ein Neuanfang sein.

Immer wieder redet Platzeck von einer "neuen Kultur des Miteinanders" und von "offenen Debatten", beides zuletzt nicht unbedingt die Markenzeichen der SPD. Manches von dem, was er sagt, klingt ein wenig idealistisch, fast weltfremd, oder doch mindestens mit der jüngsten Parteigeschichte aus Zank und Hader schwer vereinbar. Und es wird sich am selben Tag erweisen, dass sich die SPD noch schwer damit tut, diese neue Kultur auch wirklich zu leben.

Doch zunächst einmal hören es die Delegierten gerne. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt zum Beispiel nickt wiederholt mit einer Intensität, dass man befürchten muss, sie könne Karlsruhe mit einem Schleudertrauma verlassen. Platzecks Rede ist auf jeden Fall anders als die Reden, die in den letzten Jahren zu gleichen Anlässen zu hören waren.

Der Neue kommt nicht im Gestus Schröders daher, der seine Partei immer wieder im Schweiße seines Angesichts überwältigen und ihr seinen Willen aufzwingen musste. Auch nicht wie Müntefering. Platzeck betont nicht die Zwänge, er spricht lieber von den Chancen. "Wir müssen positiv definieren, wer wir sind", sagt er. Und so streift er auch die Feinde der SPD, die Merzens und Westerwelles nur am Rande. "Mit diesen Ideologen werden wir schon fertig", sagt Platzeck.

Vielmehr komme es aber nach dem Ende des stetigen Wachstums in Deutschland darauf an, dass die SPD selbst lerne, "aus weniger mehr und Besseres zu machen". Allzu konkret wird Platzeck freilich nicht. Chancengleichheit, Solidarität, Bildung, Gerechtigkeit - genau genommen spricht er über die gleichen Themen wie seine Vorgänger.

Manches kommt noch ziemlich hölzern daher, zum Beispiel wenn er von einer "Politik der umfassenden Nachwuchssicherung" spricht. Auch Pathos ist nicht unbedingt Platzecks Stärke, ein Bild wie das vom "Leitstern der Freiheit" eher eine Ausnahme, eine etwas wolkige noch dazu. Und doch fließt ein Optimismus durch diese Rede, mit dem er die Delegierten anzustecken vermag.

Morgens an der Brücke

"Ich bin klipp und klar ein sozialisierter Ostdeutscher", sagt Platzeck gegen Ende seiner Rede in einem sehr persönlichen Moment. Er erzählt von seinem Leben auf der Ost-Seite der Glienicker Brücke, die Berlin mit Potsdam verbindet, und davon, dass er nie erwartet habe, einmal diese Brücke zu überqueren.

Heute gehe er gelegentlich sonntags früh am Morgen über die Brücke, bisweilen die Mahnung Willy Brandts im Hinterkopf: "Nichts kommt von alleine, und wenig ist von Dauer." Vielleicht hat es auch mit dieser Vergangenheit und seiner Zeit als Politiker im sich verändernden Brandenburg zu tun, dass Platzeck sich herausgefordert fühlt, fortwährendem Jammern etwas Positives entgegenzusetzen.

Leicht gerührt und stark geschüttelt

Als Platzeck mit seiner Rede fertig ist, drückt Gerhard Schröder ihn als Erster an die Brust. Müntefering hingegen belässt es bei einem langen und festen Händedruck, sozusagen unter Männern. Dann gehen die drei Herren Arm in Arm an den Bühnenrand. Beim zweiten Mal aber lassen Schröder und Müntefering den Neuen allein nach vorne gehen. Platzeck, übernehmen Sie.

Der verbeugt sich noch einmal und geht dann wieder ans Mikrofon. "Liebe Leute, wir wollen doch miteinander arbeiten. Lasst uns anfangen", sagt Platzeck und bringt damit den Applaus für sich zu einem abrupten Ende. Doch das Ergebnis seiner Wahl ist eindeutig: 99,4 Prozent der Stimmen erhält Platzeck, ein Resultat wie es zuletzt Willy Brandt in den sechziger Jahren zustande brachte. "Ich nehme die Wahl sehr, sehr gerne an", sagt Platzeck. "Und ich bin auch ein bisschen gerührt."

Es liegt Spnannung in der Luft

Damit hätte nun Schluss sein können, aber was eine gescheite Partei ist, die braucht natürlich auch noch ein paar Stellvertreter und einen Generalsekretär. Erstmals liegt eine gewisse Spannung über dem Parteitag, weil sich nun zeigen wird, wen die Basis für die Kapriolen der letzten Wochen verantwortlich machen wird, an deren Ende der Abschied von Franz Müntefering als Parteivorsitzender stand.

Platzeck hat sein Bestes getan, um einem Rachefeldzug vorzubeugen. "Wir müssen auch in der Partei zu einer Kultur des Vertrauens fähig sein", hatte er in seiner Rede gesagt.

Die SPD möge lernen, "dass wir uns nach Aussprachen in die Augen schauen, die Hand reichen und wieder partnerschaftlich zusammenarbeiten." Doch ganz so weit ist die Partei noch nicht. Vor allem Ute Vogt, die immerhin im nächsten Jahr einen Wahlkampf in Baden-Württemberg zu bestreiten hat, fährt mit 67 Prozent bei ihrer Wahl zur Vize-Vorsitzenden ein Strafergebnis ein.

Vogt gehörte zu jenen Vorstandsmitgliedern, die vor zwei Wochen bei der Vorabstimmung über den künftigen Generalsekretär für Andrea Nahles waren und damit dem Rücktritt Münteferings den Weg bereiteten. Viele Sozialdemokraten schenken ihren Beteuerungen offenbar keinen Glauben, dass Müntefering diese harte Konsequenz nicht ausreichend angekündigt habe. "Ich nehme die Wahl an", sagt sie tapfer, "und vielen Dank auch."

Noch ein wenig härter trifft es Hubertus Heil. Er ist als neuer Generalsekretär nominiert, Matthias Platzeck hat ihn vorgeschlagen, nachdem sein Wunschkandidat Sigmar Gabriel den Posten abgelehnt hatte. Hubertus Heil war seinerzeit an einer Telefonkonferenz beteiligt, in der sich die Befürworter einer Generalsekretärin Andrea Nahles zusammengeschlossen hatten.

Dann kam es zum Knall-und ausgerechnet Heil stand plötzlich da wie ein Kriegsgewinnler, ging ungeschoren aus einer Schlacht hervor, die viele an der SPD-Basis denen da in Berlin mächtig verübelten. Am frühen Dienstagmorgen in Karlsruhe stand Heil mit auffallend blassem Gesicht im Foyer. "Die Rede ist hier", antwortete er auf die Frage nach dem Befinden und zeigte mit der Hand zu einer Kladde auf dem Stehtisch vor sich. "Die Aufregung ist hier", sagte er dann und zeigte auf sich selbst, "zusammen kriegen wir's schon hin."

Sozialdemokratische Floskeln, die niemanden vom Stuhl reißen

Man merkt diese Nervosität auch, als Heil mittags zum Parteitag spricht: Fortwährend hält sich der 33-Jährige an der Formulierung "liebe Genossinnen und Genossen" fest, wie ein Bergsteiger am Kletterseil. Ansonsten fügt er sozialdemokratische Floskeln aneinander, die niemanden vom Stuhl reißen in der Karlsruher Messehalle. Zum Ende hin sagt Heil dann noch, dass auch er in der Causa Generalsekretär hätte anders handeln müssen.

Matthias Platzeck formulierte das vorher deutlicher: "Hubertus hat einen Fehler gemacht." Aber Platzeck hatte auch die Aufforderung hinterhergeschoben, "einen dicken Strich unter die Turbulenzen der letzten Tage zu ziehen". Auch Sozialdemokraten machten Fehler - "aber nicht den selben mehrmals hintereinander". Bei der Wahl von Hubertus Heil folgt die Partei ihrem neuen Chef erkennbar widerwillig: 61 Prozent. Das mit der Kultur des Vertrauens wird eben noch ein bisschen dauern in der SPD.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: