Massenproteste in Ägypten:Das Regime Mubarak schlägt zurück

Heftige Zusammenstöße auf den Straßen Kairos: Tausende protestieren gegen die Regierung Mubaraks, die Polizei antwortet mit Wasserwerfern und Gummigeschossen. Ein Mensch soll bereits ums Leben gekommen sein. Oppositionspolitiker Mohamed ElBaradei soll zusammen mit anderen Demonstranten eingekesselt worden sein.

Die Situation bei den Protesten in Kairo droht zu eskalieren: Zehntausende Ägypter sind dem Aufruf der Opposition gefolgt und nach den Freitagsgebeten auf die Straße gegangen. Sie riefen "Nieder mit Mubarak" und trampelten auf Plakaten mit dem Porträt des Präsidenten herum.

Massenproteste in Ägypten: Mit Wasserwerfern gegen die Demonstranten: Die ägyptischen Sicherheitskräfte gehen mit aller Härte gegen die Proteste vor.

Mit Wasserwerfern gegen die Demonstranten: Die ägyptischen Sicherheitskräfte gehen mit aller Härte gegen die Proteste vor.

(Foto: AP)

Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei: Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Gummigeschosse gegen Steine werfende Demonstranten ein. Nach Agenturberichten feuerten Soldaten in die Luft, um die Menschen im Stadtzentrum auseinanderzutreiben. Die Polizei attackierte auch Journalisten und nahm Kamerateams ihre Aufzeichnungen ab. Nach Angaben des Nachrichtensenders al-Dschasira wurde mindestens ein Mensch getötet. Augenzeugen sprachen von vielen Verletzten.

Die Proteste begannen am Rande der Freitagsgebete. Auch Mohamed ElBaradei, der ehemalige Chef der UN-Atomenergiebehörde, soll sich daran beteiligt haben. Zunächst nahm er mit 2000 Gläubigen am Freitagsgebet auf einem Platz vor einer Moschee im Stadtteil Giza im Zentrum Kairos teil. Im Anschluss begannen die Teilnehmer laut "Nieder mit Mubarak!" zu rufen. Die Polizei ging darauf mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Tränengas gegen die Demonstranten vor. Nach einem Bericht des Nachrichtensenders al-Arabija soll der Oppositionspolitiker daraufhin mit anderen Demonstranten vor der Moschee eingekesselt worden sein.

Der 68-Jährige war am Donnerstagabend in Kairo eingetroffen und hatte angekündigt, dass er sich an die Spitze der Oppositionsbewegung stellen wolle. Er hatte sich zudem als Chef einer Übergangsregierung angeboten.

Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die Polizei Massenkundgebungen notfalls mit brachialer Gewalt verhindern wolle. "Die Polizei hat klare Anweisungen erhalten, jede Demonstration zu verhindern und notfalls auch direkt auf mögliche Demonstranten zu schießen", hieß es aus ägyptischen Sicherheitskreisen.

Bereits am Vormittag fuhren auf den großen Plätzen von Kairo gepanzerte Truppentransporter der Polizei auf. In den Nebenstraßen standen zahlreiche Polizeiwagen. Der TV-Sender al-Arabija meldete, einige Polizisten in Kairo hätten ihre Uniformen ausgezogen und sich den Demonstranten angeschlossen.

Dutzende Menschen festgenommen

Augenzeugen zufolge wurden Dutzende Menschen festgenommen. Vor allem auf dem zentralen Tahrir-Platz, auf dem Ramsis-Platz und im Al-Isaaf-Viertel seien viele Menschen ohne weitere Begründung abgeführt worden. Die Polizei ließ sich in der Innenstadt von vielen Menschen die Ausweise zeigen. Zahlreiche Passanten wurden vor dem Freitagsgebet von den Beamten auch durchsucht.

Offenbar kommt es auch in der südlichen Provinz Minia zu Protesten. In der Hafenstadt Alexandria sei es hingegen zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Friedliche Demonstrationen gab es in den südlichen Städten Luxor, Kena und Assuan.

Die Regierungsgegner hatten zu einem "Freitag der Wut" aufgerufen: Die Bürger sollten nach dem Freitagsgebet von den Moscheen aus loszumarschieren. Auch die Christen sollten nach dem Kirchgang auf die Straße gehen.

Der arabische Nachrichtensender al-Dschasira meldete, dass es auch in der südlichen Provinz Minia Proteste gegeben habe. Bei Protesten in der Hafenstadt Alexandria sei es zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Friedliche Demonstrationen gab es in den südlichen Städten Luxor, Kena und Assuan.

Regierung sperrt Webseiten

Bereits vor den geplanten Großkundgebungen hatte sich abgezeichnet, dass Mubaraks Regierung offenbar mit allen Mitteln versucht, die Proteste zu unterbinden: Wie der US-Nachrichtensender CNN unter Berufung auf Webdienste, die das Funktionieren des Internets überprüfen, berichtete, waren die Server des Hauptanbieters in Ägypten am Freitagmorgen nicht erreichbar. Auch die Server für Webseiten der ägyptischen Regierung und der US-Botschaft in Kairo waren offenkundig unterbrochen. Textnachrichten konnten nicht mehr via Blackberry versendet werden. Webseiten wie Twitter, Facebook und der Email-Dienst von Google waren vollständig blockiert.

Eine offizielle Erklärung dafür gab es nicht. Beobachter vermuten jedoch, dass die Regierung dadurch den Demonstranten die Möglichkeit nehmen will, ihre politischen Botschaften über das Netz zu verbreiten und große Kundgebungen zu organisieren. Zudem gab es Berichte, wonach die ägyptischen Telekommunikationsfirmen in einer geheimen Krisensitzung beschlossen haben sollen, im Falle einer Eskalation der Proteste an diesem Freitag alle Kommunikationskanäle zu kappen. Unklar blieb, ob die Regierung ihren Versuch der totalen Kontrolle auch auf die Festnetz-Telefonie ausdehnen würde.

Nach Ansicht eines Experten stört die ägyptische Regierung das Internet in bisher noch nicht da gewesenen Ausmaß: "Nach unseren Informationen sind rund 88 Prozent des Internets nicht mehr verfügbar in Ägypten, das ist eine Premiere in der Internet-Geschichte", sagte Rik Ferguson von der drittgrößten Internet-Sicherheitsfirma Trend Micro. Die Internet-Blockade in Ägypten gehe damit deutlich weiter als bei ähnlichen Vorfällen in Iran oder Birma.

In der Nacht auf Freitag war es erneut zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen: Sicherheitskräfte nahmen zahlreiche Oppositionelle fest. Nach Informationen von al-Dschasira waren darunter acht Führer der islamistischen Muslimbruderschaft.

Berlin fordert Ende der Polizeigewalt

Diese hat unterdessen ihre Anhänger dazu aufgerufen, sich an den Protesten an diesem Freitag erstmals zu beteiligen. Es wird daher erwartet, dass bei den geplanten Großdemonstrationen auch eine große Zahl von Anhängern der offiziell verbotenen Organisation gegen die Regierung demonstrieren wird. Sie hatte sich bei den Protesten, die das Land seit Dienstag in Atem halten, bislang zurückgehalten. Viele liberale Ägypter fürchten, dass die Muslimbruderschaft, die für eine Islamisierung des Staates eintritt, nun in die Protestbewegung eingestiegen ist. Bislang war es vor allem die mehr oder minder säkulare Mittelschicht Ägyptens, die gegen das Regime Mubaraks protestiert hatte.

Massenproteste in Ägypten: Auf ihm ruhen die Hoffnungen vieler Ägypter: Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei auf den Straßen von Kairo.

Auf ihm ruhen die Hoffnungen vieler Ägypter: Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei auf den Straßen von Kairo.

(Foto: AP)

Unterdessen hat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), das gewaltsame Vorgehen der ägyptischen Polizei gegen Demonstranten kritisiert. Er sprach von einem Schlag ins Gesicht für alle, die für Menschen- und Bürgerrechte in Ägypten eintreten. "Ich fordere die ägyptische Führung auf sicherzustellen, dass keine weitere Gewalt gegen Demonstranten angewendet wird. Die Menschen in Ägypten nehmen ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahr."

Zuvor hatte auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) die Führung in Kairo zu einem Gewaltverzicht aufgefordert. Die derzeitige Entwicklung in Ägypten sehe er mit "großer Sorge". Zur Frage, ob er den Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei als Hoffnungsträger für Ägypten sehe, wollte sich Westerwelle nicht äußern: "Ich spekuliere nicht zur ägyptischen Innenpolitik."

US-Präsident Barack Obama bringen die Proteste in ein Dilemma: Die USA möchte die Reformbewegung unterstützen - allerdings ohne mit Mubarak einem entscheidenden Verbündeten in der Region zu schaden. Die USA sind ein wichtiger Geldgeber des seit 1981 von Mubarak regierten Ägypten. Obama sagte, er habe Mubarak wiederholt politische und wirtschaftliche Reformen empfohlen. Diese seien für den Wohlstand des Landes absolut notwendig.

Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat am Freitag zahlreiche Depeschen von US-Diplomaten aus Kairo veröffentlicht. Die geheimen Mitteilungen belegen, dass US-Vertreter wiederholt die Menschenrechtslage anprangerten, sich aber nur vorsichtig hinter verschlossenen Türen eingemischt haben. Zugleich wird deutlich, dass die Amerikaner stark auf die Regierung von Präsident Mubarak als Verbündeten im Antiterrorkampf sowie im Umgang mit Iran setzten.

Demonstrationen auch in Jordanien

Neben Tunesien und Ägypten scheint die Protestbewegung nun auch auf Jordanien überzugreifen: Auch dort gingen am Freitag Tausende Menschen auf die Straße, um für politische Reformen zu demonstrieren.

Die Demonstranten trugen Transparente und riefen in Sprechchören König Abdullah II. auf, die Regierung Rifai zu entlassen. Diese habe die Erwartungen der Menschen enttäuscht. Die Demonstranten riefen den Monarchen auch dazu auf, das jüngst gewählte Unterhaus des Parlaments wieder aufzulösen. Es gab auch Rufe nach Bildung einer Regierung der Nationalen Rettung.

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