Massaker in Ägypten:Militär soll gezielt auf Demonstranten gefeuert haben

Mursi Ägypten Muslimbrüder Proteste

Mursi-Anhänger mit einem Opfer des Massakers vom 8. Juli (Archivbild).

(Foto: REUTERS)

Am 8. Juli erschoss das Militär 54 Anhänger der Muslimbrüder bei einer Demonstration - angeblich, um die Erstürmung eines Gebäudes zu verhindern. Neue Medienrecherchen zeigen: Die Soldaten eröffneten gezielt das Feuer.

Die Handy-Aufnahmen waren verwackelt, doch sie zeigten schockierende Bilder: Tote, die aus Autos gezerrt wurden, blutüberströmte Verletzte, die zu einem improvisierten Feldlazarett wankten. 54 Demonstranten und ein Soldat verloren in den Morgenstunden des 8. Juli ihr Leben, als es vor der Zentrale der Republikanischen Garden in Kairo zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Muslimbrüder und dem Militär kam.

Wie es zum blutigsten Vorfall seit dem Sturz des Diktators Hosni Mubaraks 2011 kam, war umstritten. Die Version der Armee lautet wie folgt: Die Soldaten hätten nur in das Geschehen eingegriffen, weil es vor der Kaserne eine militante Aktion von Terroristen gegeben habe. Gegen vier Uhr morgens hätten sich etwa 15 bewaffnete Männer auf Motorrädern genähert und das Feuer eröffnet. Daraufhin hätte die Menge versucht, das Gebäude zu stürmen. Den Soldaten sei keine andere Wahl geblieben, als sich zu verteidigen.

Jetzt haben Recherchen des Guardian und der Global Post ergeben, dass diese Version der Ereignisse so nicht haltbar ist. 31 Augenzeugen wurden befragt, außerdem Anwohner und Ärzte. Darüber hinaus wurde Material aus Überwachungskameras analysiert. Nach der Auswertung aller dieser Informationen wurde demnach immer deutlicher, dass die Armee die betenden Muslimbrüder offenbar gezielt angegriffen hat.

Fast minutengenau haben die Guardian-Journalisten die Ereignisse der Nacht rekonstruiert. Demnach kann zum Beispiel auch die Behauptung der Armee nicht stimmen, dass die Waffengewalt auch von der betenden Menge ausging. Zwar hat ein Armeesprecher Videomaterial präsentiert, dass mindestens drei Muslimbrüder mit Schusswaffen zeigt. Aber dieses Material, das theoretisch eine Provokationsabsicht der Mursi-Anhänger beweisen könnte, stammt von 4.05 Uhr. Die Schießerei vor der Kaserne begann jedoch mindestens eine halbe Stunde vorher.

Dass die Augenzeugenberichte bislang kaum gehört wurden, hängt auch mit der Situation der Medien im Land zusammen: Das Militär hat sämtliche den Muslimbrüdern nahestehenden TV-Sender schließen lassen.

Der ägyptische Übergangspräsident Adli Mansur hatte noch am 8. Juli eine Untersuchung angeordnet. Mansur habe eine Kommission eingesetzt, welche die "Zwischenfälle" untersuchen solle, berichtete das Staatsfernsehen damals. Bislang ist unklar, ob dies geschehen ist.

Die Enthüllungen dürften die angespannte Lage im Land nochmals verschärfen. Die beiden Lager stehen sich weiterhin unversöhnlich gegenüber, immer wieder kommt es zu Demonstrationen und Zwischenfällen mit Toten und Verletzten. Am Freitag gingen erneut Zehntausende Mursi-Anhänger auf die Straße, um dessen Wiedereinsetzung zu fordern.

Das Militär hat angekündigt, jeden Versuch der Gewaltausübung seitens der Protestierenden mit aller Härte zu beantworten.

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