Martin Schulz auf Tour:Kämpfen, lächeln, Nüsse knacken

Martin Schulz auf Sommerreise - Besuch in Potsdam

Martin Schulz auf seiner Sommerreise in Potsdam

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Martin Schulz geht mit der Unbekümmertheit eines Mannes zu Werk, der wider jede Wahrscheinlichkeit glaubt: Da geht noch was. Er spricht viel von Respekt - und ist gerade dabei, ihn sich selbst zu verdienen.

Von Christoph Hickmann

Eigentlich ist der Versuchsaufbau unschlagbar simpel. Martin Schulz steht in einer Halle in Chemnitz, in der über die Fabrik der Zukunft geforscht wird. Er hat sich vor einem Roboter postiert und hält ein schwarzes Kunststoffbauteil hoch, in etwa so groß wie ein Schuhkarton. Der Roboter, ein Greifarm, der Schulz deutlich überragt, soll sich das Bauteil nun packen. Mensch und Maschine im Zusammenspiel, der Kandidat in der modernen Arbeitswelt, es könnten ein paar gute Bilder werden. Der Greifarm fährt auf Schulz' Hand mit dem Bauteil zu, er stoppt. Doch er packt nicht zu. Es funktioniert nicht.

Das liegt zwar nicht an Schulz, sondern daran, dass sich die Fotografen zu nah am Roboter postiert haben. Und trotzdem - was ließen sich daraus für Kalauer zimmern: Nicht mal mehr ein Roboter nimmt ein Stück Brot von Schulz. Oder: Selbst die Maschinen gehen auf Distanz. Würde doch passen zum Wahlkampf der SPD, in dem schiefgeht, was schiefgehen kann. Oder?

Als Martin Schulz am Dienstag in der Chemnitzer Fabrikhalle steht, ist er mal wieder auf Sommerreise, diesmal im Osten der Republik. Vor dem SPD-Kanzlerkandidaten liegen noch sechseinhalb Wochen Wahlkampf, hinter ihm liegen Wochen, in denen seine Umfragewerte sanken, sein wichtigster Wahlkampfmanager krankheitsbedingt ausfiel, seine Partei zum Auftakt der heißen Phase eine Serie komplett belangloser Plakate vorstellte und die rot-grüne Mehrheit in Niedersachsen kippte. Niemand könnte es Schulz verübeln, wenn er Zeichen von Resignation erkennen ließe. Lässt er aber nicht. Je länger man ihn an diesem Tag begleitet, desto deutlicher wird: Da kämpft einer. Und wie.

Erster Termin des Tages, Schulz besucht in Halsbrücke eine Einrichtung, in der junge Leute handwerklich ausgebildet werden. Gleich zum Auftakt überreicht ihm der Leiter der Einrichtung einen Nussknacker samt Walnuss. Auch hier ist die Symbolik eigentlich fatal: "Ich gehe davon aus, dass Sie in den nächsten Wochen die eine oder andere Nuss zu knacken haben", sagt der Leiter. Aber was soll Schulz schon machen. Er drückt zu, die Nuss kracht auseinander. Schulz: "Am 24. September ist die Nuss geknackt." Danach geht er durch die Hallen, stellt sich an eine Werkbank, feilt an einem Stück Metall herum. Und sagt: "Ich feile an meiner Zukunft." Die Lacher hat er schon mal auf seiner Seite.

Den Stinkefinger wird Schulz jedenfalls nicht auspacken

Das ist die erste Erkenntnis des Tages: Schulz hat seine gute Laune nicht verloren. Natürlich hat er seine emotionalen Ausschläge. Er kann sich fürchterlich ärgern und auch mal verzweifeln, an der Situation, den Medien und der Unerschütterlichkeit, mit der die Kanzlerin bislang seine Attacken aussitzt. Aber öffentlich geht er mit der Unbekümmertheit eines Mannes zu Werk, der wider jede Wahrscheinlichkeit glaubt: Da geht noch was. Schulz spricht in seinem Wahlkampf viel von Respekt. Er ist gerade dabei, ihn sich selbst zu verdienen.

Denn eigentlich befindet er sich in der gleichen Situation wie 2009 und 2013 die Merkel-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. Beide Male war das Rennen eigentlich gelaufen, als die Bürger aus den Sommerferien wiederkamen. Steinbrück packte dann kurz vor der Wahl im SZ-Magazin den Stinkefinger aus. Das dürfte diesmal nicht passieren.

Dabei hätte Schulz allen Grund, dem einen oder anderen Parteifreund mal den Finger zu zeigen - zum Beispiel Sigmar Gabriel. Der ist zwar nicht mehr Parteichef, sondern nur noch Außenminister, gab aber in der vergangenen Woche dem Stern ein Interview, aus dem die Meldung wurde, Gabriel schließe eine große Koalition schon mal aus. Das war es dann mit Schulz' Versuch, sich bloß nicht in Koalitionsdebatten verwickeln zu lassen. Und auch am Dienstagnachmittag in Jena-Lobeda hätte Schulz allen Grund, aus der Rolle zu fallen.

Kleine Charmeoffensive. Dann muss Schulz leider weiter

Dort besucht er ein Mehrgenerationenhaus, es läuft eigentlich ganz ordentlich. Er sitzt im Hof an einer Kaffeetafel, um ihn herum Senioren, mit denen er über den Dieselskandal redet. "Es ist betrogen worden", sagt Schulz. "Im Volksmund würde man das tricksen nennen." Währenddessen kommt einen Tisch weiter Unruhe auf.

Dort sitzen ein paar ältere Damen und sind sauer, weil sie erstens auch gern mit dem Kandidaten reden würden und zweitens die Hausleitung einen seltsamen Zettel hat verteilen lassen. Auf dem steht, bei Schulz' Besuch solle es "vor allem um die Themen des Zusammenlebens der Generationen, Familie, Pflege und Alter/Rente" gehen. "Wir bitten Sie darum, ,Flüchtlinge/Migration' nicht zu thematisieren, da bei diesem Besuch die anderen genannten Themen im Fokus stehen sollen."

Als sich das auf dem Hof herumspricht, entsteht etwas Aufregung, bis der örtliche Chef der Arbeiterwohlfahrt die Sache sinngemäß so erklärt: Da für den Besuch nicht viel Zeit eingeplant gewesen sei und Schulz gern über generationenübergreifendes Wohnen reden wollte, habe man, dem Wunsch der SPD gemäß, lediglich sicherstellen wollen, dass es tatsächlich um dieses Thema gehe und das Gespräch nicht ausfasere. Doch so richtig bekommt er die Sache nicht mehr eingefangen.

Das versucht stattdessen Schulz. Er setzt sich zumindest kurz zu den Seniorinnen, von denen mindestens eine schwer beleidigt ist. "Meine Damen, es tut mir leid, ich hätte Ihnen keinen solchen Zettel gegeben", sagt er. "Ich hätte mich auch zu Ihnen gesetzt. Ich hätte sogar was von Ihrem Streuselkuchen gegessen." Kleine Charmeoffensive. Dann muss er leider weiter.

In Landsberg bei Halle singt er das Loblied des Ehrenamts

Es ist nicht so, dass Schulz keine Fehler machen würde. Als er etwa dieser Tage ankündigte, in jedem Fall wieder als Parteivorsitzender zu kandidieren, sandte er damit ungewollt das Signal aus, dass er sich schon mit dem Tag nach einer Niederlage beschäftige. Doch auf seiner Reise durch den Osten fällt auf, wie konsequent bis penetrant er es überall schafft, die Kurve zu seinen Themen zu bekommen. In Halsbrücke redet er über die "Agentur für Arbeit und Qualifizierung", die er schaffen will. In Jena referiert er sein Rentenkonzept. In Landsberg singt er das Loblied des Ehrenamts. Und immer wieder: Gerechtigkeit.

Woher er die Energie nimmt? Erfahrene Wahlkampfberater kennen das Phänomen des "Tunnels", in dem Kandidaten irgendwann trotz aussichtsloser Lage glauben, der Sieg sei machbar. Aber das ist nicht alles. Stattdessen richten sich die Hoffnungen der Genossen auf ein konkretes Datum: den 3. September. Dann treffen Schulz und die Kanzlerin im Fernsehduell aufeinander. Dann, so hört man es in der SPD, müsse sich Merkel der direkten Auseinandersetzung stellen. Drei Wochen vor der Wahl - also vielleicht ja noch früh genug, um etwas bewegen zu können. Andererseits: Wenn das Duell für Schulz schiefgeht, könnten alle Dämme brechen. Denn worauf sollte er dann noch hoffen?

Landsberg, letzter öffentlicher Termin des Tages, Schulz besucht den Kleingartenverein "Am Pfarrberg". Es gibt Bier und Gegrilltes, die Menschen sitzen an Biertischen, der Kandidat lässt kurz in seine Seele blicken: Die Kanzlerin, sagt Schulz, fliege "mit der Air Force One über die Republik" - und über sich lese er: "Der Typ tingelt über die Dörfer zum Grillfest vom Kleingartenverein." Schulz sagt: "Wenn ich die Umfragen lese, dann sag' ich auch: scheiße." Aber Umfragen seien eben keine Wahlergebnisse. Dann hebt er wieder an: "Wenn ich Bundeskanzler werde . . ."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: