Marodes Atommülllager:Krebs, der aus der Asse kommt?

Zwölf Männer und sechs Frauen sind zwischen 2002 und 2009 in der Gemeinde Asse an Leukämie erkrankt. Normal wäre ein Fall pro Jahr. Nun soll geprüft werden, ob das Atommüllager für den massiven Anstieg der Blutkrebs-Erkrankungen verantwortlich ist.

Die Nachricht schockiert - und könnte die Asse endgültig zum Symbol für das Versagen der Politik im Umgang mit radioaktivem Abfall werden lassen: Im Umfeld des maroden Atommülllagers bei Wolfenbüttel ist die Zahl der Blutkrebs-Erkrankungen massiv angestiegen.

Vorschau: Bundesamt will Empfehlung zur Schliessung der Asse bekanntgeben

Im ehemaligen Salzbergwerk Asse sind zwischen 1967 und 1978 etwa 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll eingelagert worden. Wegen Wassereinbrüchen und Einsturzgefahr soll das komplette Lager geräumt werden.

(Foto: ddp)

Zwischen 2002 und 2009 wurden in der Samtgemeinde Asse 18 Fälle von Leukämie festgestellt. Zwölf Männer und sechs Frauen erkrankten demnach innerhalb der sieben Jahre. Dies geht aus einem Vermerk des niedersächsischen Sozialministeriums hervor.

Im statistischen Mittel wären in dem Zeitraum für die Männer mit 5,2 Neuerkrankungen zu rechnen gewesen - signifikant weniger als in dem Verband der sieben Gemeinden im Landkreis Wolfenbüttel aufgetreten sind, erklärte Thomas Spieker, Sprecher des niedersächsischen Sozialministeriums in Hannover. Für Frauen sei die Zahl zwar erhöht - jedoch nicht signifikant. Dafür zeigte sich bei ihnen eine Verdreifachung der Erkrankungsrate mit Schilddrüsenkrebs.

"Eine Ursache dafür kann bisher nicht festgestellt werden", heißt es in dem Schreiben des Sozialministeriums. Im Auswertungszeitraum würden die Neuerkrankungen konstant über dem Erwartungswert liegen. "Betrachtet man die Leukämie-Neuerkrankungen in der Samtgemeinde Asse, würde man einen Fall pro Jahr erwarten."

"Transparenz ist oberstes Gebot"

"Wir wissen aufgrund des vorhandenen und bislang ausschließlich anonymisierten Datenmaterials noch nicht, welchen Einfluss zum Beispiel Lebensalter und Berufstätigkeit auf Erkrankungen haben", sagte Spieker am Donnerstagabend. Derzeit würden die Fälle noch überprüft - bis Mitte Dezember soll ein Bericht vorliegen.

Das Ministerium setze darauf, dass der für die Gesundheitsvorsorge zuständige Landkreis Wolfenbüttel und das Bundesamt für Strahlenschutz die Menschen umfassend über die jüngsten Ergebnisse informieren. "Transparenz ist dabei oberstes Gebot." Die Landesregierung werde den Landkreis in allen Bemühungen um die zügige und ergebnisoffene Ursachenabklärung unterstützen.

Wegen der Fälle wurde im Landkreis Wolfenbüttel eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe eingerichtet, der unter anderem Vertreter des Sozialministeriums, des Umweltministeriums, des Bundesamtes für Strahlenschutz, des niedersächsischen Landesgesundheitsamtes und des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen (EKN) angehören. Die Arbeitsgruppe will am nächsten Dienstag erstmals zusammenkommen.

Alle fünf Fraktionen im Landtag zeigten sich von den Ergebnissen betroffen. Sie seien ein Schock, sagte SPD-Fraktionschef Stefan Schostock. Die Diskussion um das marode Atommülllager habe damit eine neue Dimension erreicht. "Die Zahlen sind sehr besorgniserregend", betonte auch Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel. "Ich fordere eine umgehende und tabulose Aufklärung." Die Asse-Betreiber seien jetzt in der Pflicht nachzuweisen, dass die Krebsfälle nicht auf Wirkungen des Atommülls zurückzuführen sind, sagte Kurt Herzog (Die Linke).

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Rüttgers dem Asse-Untersuchungsausschuss zu berichten weiß.

Rüttgers: "Rudimentäre Erinnerungen" an Asse

Ein Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtags versucht seit mehr als einem Jahr, Versäumnisse und Schlampereien rund um das einsturzgefährdete alte Salzbergwerk aufzuklären. Am Donnerstag war der ehemalige Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers als Zeuge in Hannover geladen. Er könne sich nur rudimentär erinnern, was in seiner Amtszeit im Atommülllager Asse passiert sei, sagte der CDU-Politiker. "Die Vorgänge sind zwischen zwölf und 16 Jahren her."

In Asse sind zwischen 1967 und 1978 etwa 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll eingelagert worden. Der Betreiber, das Bundesamt für Strahlenschutz, plant wegen Wassereinbrüchen und Einsturzgefahr derzeit, das komplette Lager zu räumen.

Insgesamt sei er nur drei Mal mit Vorgängen aus der Asse befasst gewesen, sagte Rüttgers. Er konnte sich auch nicht daran erinnern, ob er bei seinem Amtsantritt 1994 über die Existenz der 126.000 Fässer in der maroden Schachtanlage informiert wurde. "Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass ich heute hier als Zeuge geladen bin und nicht als Beschuldigter", so der ehemalige NRW-Ministerpräsident.

Bereits vor der Vernehmung von Rüttgers hatten sich die Mitglieder des Asse-Ausschusses im nichtöffentlichen Teil der Sitzung einstimmig darauf geeinigt, das Bundeskanzleramt in Berlin auf die Herausgabe von Akten zur Asse zu verklagen. Das Kanzleramt verweigert die Vorlage von Akten seit einem Jahr.

Ein Sprecher des Bundeskanzleramts sagte, man habe die Akten herausgegeben, soweit das nach der Verfassung und den geltenden Regeln vorgesehen sei. "Wir gehen davon aus, dass das auch vom Gericht so bestätigt wird."

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