Mark Rutte:"Niemand will hässliche Bilder"

Netherlands' PM Rutte arrives at the EU council headquarters for the second day of a European Union leaders summit in Brussels

Mark Rutte, geboren 1967 in Den Haag, ist Chef der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie und seit 2010 niederländischer Premier. Seine VVD koaliert mit der sozialdemokratischen Partei der Arbeit.

(Foto: Eric Vidal/Reuters)

Der EU-Ratsvorsitzende über seine Erwartungen an den Sondergipfel - und die Verantwortung Griechenlands.

Interview von Thomas Kirchner

Vor dem EU-Sondergipfel am Montag spricht Mark Rutte fast pausenlos mit allen Kollegen. So stellt es der liberale niederländische Ministerpräsident zumindest dar. Aber das ist auch sein Job als amtierender Ratsvorsitzender, der möglichst viele Interessen kennen und ausgleichen muss.

SZ: Es kommen immer noch viele Flüchtlinge über die Türkei nach Griechenland. Was muss jetzt passieren?

Mark Rutte: Wir machen Fortschritte. Die Türkei setzt einiges um, was wir vereinbart haben. Die Lage der Syrer in der Türkei hat sich enorm verbessert. Am Mittwoch hat die Türkei 300 Wirtschaftsmigranten aus Griechenland zurückgenommen - ein positives Signal. Wir müssen nun hart daran arbeiten, die drei Milliarden Euro für die Türkei in konkrete Hilfsprojekte umzusetzen. Das Wichtigste aber ist, den Strom zu begrenzen: Wir müssen einen Stand erreichen, von dem aus wir die Null zumindest sehen können. Ich sehe sie noch nicht. Es muss beträchtlich weniger werden.

In welchem Fall wäre der Gipfel am Montag ein Erfolg?

Das Mindeste wäre, dass sich die Türkei bereit erklärt, noch mehr Wirtschaftsflüchtlinge zurückzunehmen. Ich hoffe auch, dass wir eine Vereinbarung zur Umsiedlung von Flüchtlingen direkt aus der Türkei erzielen. Damit könnte die EU dann bald beginnen. Genauso wichtig sind die Hotspots und die Aufnahmeplätze in Griechenland. Und der Westbalkan. Das sind alles Filter, die wir brauchen. Darüber reden wir am Montag: Wie erreichen wir, dass Griechenland seine Verantwortung als Front-Staat im Schengen-Raum wahrnimmt? Wie können wir das Durchwinken der Flüchtlinge beenden? Wie lässt sich die Umsiedlung aus Griechenland endlich in Gang bringen? Ich verstehe, was derzeit in den Westbalkan-Ländern passiert. Aber wir müssen das europäisch koordinieren.

Was halten Sie von der Strategie, "hässliche Bilder" in Griechenland entstehen zu lassen, um den Druck zu erhöhen?

Niemand will das.

Aus Österreich hört man, solche Bilder seien in Kauf zu nehmen.

Es geht darum, das Durchwinken zu stoppen und die Schengen-Regeln wieder anzuwenden, also dort um Asyl zu bitten, wo man zuerst die EU betreten hat. Die Umsiedlung würde Griechenland und Italien helfen. Sie würde den Menschenschmuggel über das Meer eindämmen. Und es wäre wieder so, dass nicht der Flüchtling sich einen Ort aussucht, sondern dass die EU entscheidet, wo er hinkommt.

Sie sagen, Griechenland müsse seine Verantwortung wahrnehmen. Wie denn? Im Moment stauen sich einfach alle Flüchtlinge dort.

Dafür gibt es die Umverteilung.

Die funktioniert nicht.

Weil nicht registriert wird. Mein Land wollte 100 Menschen übernehmen, aber sie standen gar nicht bereit. Griechenland schafft es nicht, die Papiere auszustellen. Bisher haben sich die Menschen überwiegend selber umverteilt, indem sie weiterzogen. Wir sollen Griechenland kollektiv bei der Aufnahme unterstützen. Es kann die Last nicht allein tragen.

Sollte man den Griechen helfen, indem man ihr Schuldenpaket erleichtert?

Man darf beides nicht vermischen. Sonst funktioniert es nicht. Aber klar, Griechenland braucht auch finanzielle Hilfe.

Also noch mehr Geld für Athen?

Im Moment brauchen sie vor allem praktische logistische Hilfe. Am besten wäre es, ihnen die Aufnahmeplätze direkt hinzustellen. Ob noch mehr Geld nötig ist, weiß ich nicht. Die EU-Kommission stellt 700 Millionen Euro Nothilfe zur Verfügung, das meiste für die Griechen.

Und wenn die Regierung in Athen nun alles blockiert in der EU, aus Ärger?

Wir sollten erreichen, dass sie die Situation akzeptieren und verstehen, dass ihnen in jeglicher Hinsicht geholfen wird: logistisch, humanitär, durch die Umverteilung, den Nato-Einsatz in der Ägäis, die Zusammenarbeit mit der Türkei.

Die Türkei ist ein schwieriger Partner. Wie lässt sich ihr Vertrauen gewinnen?

Wir denken über verschiedenste Wege nach, wie wir das Umsiedlungsprogramm mit der Türkei in Gang setzen. Der logischste wäre, wenn Ankara den Schmuggel über das Meer stoppt, dann würden die Zahlen stark sinken. Die Türken machen schon einiges, aber sie könnten mehr machen.

Angela Merkel war zuletzt sehr allein in der EU. Ist das noch immer so?

Da bin ich nicht sicher. Die Kanzlerin hat die Kooperation mit der Türkei forciert, hat das im Detail stundenlang mit dem türkischen Premier besprochen. Das wird stark anerkannt; alle glauben, dass es der richtige Weg ist. Dasselbe gilt für die europäische Lösung, für die sie sich einsetzt.

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