Maria Böhmer und der Nationale Integrationsplan:Nur bedingt integrierbar

Die Staatsministerin im Kanzleramt, Maria Böhmer, sieht sich nicht als Anwältin der Migranten. Jetzt aber will sie die Lorbeeren für einen Prozess ernten, dem sie mehr im Weg steht, als ihn zu fördern.

Thorsten Denkler, Berlin

Bereits der erste Tag des Nationalen Integrationsplanes war ein Tag des Streites. Aus Ärger über neue Nachzugsregeln für Ehegatten von Ausländern blieben vier türkische Verbände dem zweiten Treffen des Nationalen Integrationsrates am 12. Juli vergangenen Jahres fern. Sie waren nicht dabei, als der am Tag zuvor im Bundeskabinett verabschiedete Plan auch von den Mitgliedern des Integrationsrates abgesegnet wurde.

Maria Böhmer und der Nationale Integrationsplan: Staatsministerin Maria Böhmer (CDU) fordert viel von Migranten. Ihre Förderkonzepte sind umstritten.

Staatsministerin Maria Böhmer (CDU) fordert viel von Migranten. Ihre Förderkonzepte sind umstritten.

(Foto: Foto: obs/McDonald's Deutschland)

Der Nationale Integrationsplan hat einen ziemlichen Umfang. Über 400 einzelne Aktionen und Ideen sind darin zusammengetragen. Die Verwirrung nach der Lektüre kommt nicht von ungefähr. Zwar bemühten sich die Autoren redlich, Struktur in das Durcheinander der Einzelvorschläge zu bringen. Neben einigen konkreten Formulierungen überwiegen dabei aber die vagen Vorstellungen: Stärker, besser, intensiver solle die Integration angegangen werden.

Ein Jahr danach lässt sich schwer sagen, ob der Nationale Integrationsplan substantielle Fortschritte gebracht hat. Erst im November will die zuständige Staatsministerin im Kanzleramt, Maria Böhmer (CDU), einen Zwischenbericht vorlegen. Mehr als die erneute Aufzählung aller Einzelvorschläge dürfte aber auch da nicht zu erwarten sein.

Böhmer streitet sich gerade mit den Ländern, ob die Evaluierung überhaupt zu ihren Kompetenzen gehört. Der Deutsche Gewerkschaftsbund, mit seiner stellvertretenden Bundesvorsitzenden Annelie Buntenbach im Integrationsrat vertreten, will solange nicht warten.

"Leider nicht der große neue Wurf in der Integrationspolitik"

Buntenbach stellte heute zusammen mit der stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, ihre Zwischenbilanz vor. Und die fällt nüchterner aus, als sich Böhmer das wünschen kann. Ein wichtiger Schritt sei der Integrationsplan, sagte Buntenbach. So viel zu den Gemeinsamkeiten mit der Staatsministerin. Der Plan sei aber "leider nicht der große neue Wurf in der Integrationspolitik". Schon gar nicht gemessen an dem, was sich die Bundesregierung selbst zur Aufgabe gemacht habe.

Böhmer etwa stellt den Erwerb der deutschen Sprache gern in den Mittelpunkt aller Integrationsbemühungen. Da könne man doch erwarten, sagt DGB-Frau Buntenbach, dass die Bundesregierung an dieser Stelle mehr Geld in die Hand nehme. Das Gegenteil sei der Fall: "Zwischen 2005 und 2007 wurden die Mittel für Sprachförderung im Bundeshaushalt sogar noch gekürzt", sagt Buntenbach.

Auch die Länder haben sich aus Gewerkschaftssicht bei der Umsetzung des Integrationsplans nicht mit Ruhm bekleckert. Bis heute gebe es kein gemeinsames Konzept der Kultusminister, wie die vom Integrationsrat geforderte Sprachförderung über die gesamte Schullaufbahn umgesetzt werden könne.

Durch den Integrationsplan sei "in der Zivilgesellschaft zwar viel in Bewegung gekommen", sagt die GEW-Vize Demmer. Die große Gefahr sei aber, dass die Bundesregierung zusehe, "wie das Volk sich bemüht und sich das hinterher als Erfolg auf die eigenen Fahnen schreibt".

Der Integrationsplan scheint ins Stocken geraten zu sein, bevor er überhaupt umgesetzt wurde. Dass alles etwas zäh wirkt, liegt zum einen am Sujet. Integration lässt sich kaum von oben verordnen, wie die Installation des Integrationsrates suggerieren könnte. Zum anderen aber liegt es aber wohl auch an der Person der 57-jährigen CDU-Politikerin Maria Böhmer.

Anwältin der eigenen Parteilinie

Wenige Monate nach ihrer überraschenden Ernennung zur Integrationsbeauftragten traf sich die streng katholische Erziehungswissenschaftlerin 2006 mit den Migrationsbeauftragten aus Ländern und Kommunen. Dort machte sie klar, dass sie sich eher nicht als Anwältin der Migranten versteht, wie viele das von einer Integrationsbeauftragen erwarten würden, sondern als Anwältin der eigenen Parteilinie.

Der umstrittene Einbürgerungstest: Sie findet ihn gut. Der erschwerte Nachzug von Familienangehörigen: Böhmer ist dafür. Der Ausländer-Wahlkampf ihres hessischen Parteifreundes Roland Koch: Böhmer fand erst nach der Hessen-Wahl einige kritische Worte.

Viele Vertreter der Migrantenverbände fühlen sich von Böhmer schlecht bis gar nicht vertreten. Zuletzt gipfelte der Streit darin, dass Böhmer ihren zugesagten Besuch auf dem Bundeskongress der Türkischen Gemeinde Deutschlands (TGD) absagte. Sie begründete das mit persönlichen Angriffen. TGD-Vertreter aus Berlin hatten Böhmer vorgeworfen, mit ihrem Amt offensichtlich überfordert zu sein. Sie reagierten damit auf Böhmers Unterstützung für den allgemeinen Einbürgerungstest, der von vielen Migranten als Demütigung empfunden wird.

Die Absage Böhmers werteten die TGD-Vertreter als letzten Beweis dafür, dass ihre These stimme. Böhmer kann sich nicht einmal des Rückhalts der eigenen Leute sicher sein. Mehrfach rasselte sie mit Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zusammen, der sie für die Überschreitung von Kompetenzgrenzen rüffelte. Einmal kritisierte Böhmer angebliche Kürzungen im Integrationsetat des Innenministers. Die Antwort kam per Post: Wenn Böhmer schon unbedingt etwas beitragen wolle, dann bitte mit Sachkenntnis.

Vielsagendes Augenrollen bei den CDU-Bundestagsabgeordneten

In der CDU-Bundestagsfraktion stößt man vornehmlich auf Augenrollen, wenn die Rede auf Böhmer kommt. Für die meisten ist klar: Nach der Bundestagswahl konnte Kanzlerin Merkel die Chefin der Frauen-Union nicht ohne Posten lassen. Erst sollte sie Kulturstaatsministerin werden. Das wurde dann der Bremer Bernd Neumann. Böhmer nahm dann das Angebot der Integrationsbeauftragen an. Sie stellte eine Bedingung: größtmögliche Nähe zur Kanzlerin.

Deshalb sitzt sie heute im Bundeskanzleramt. Böhmer gehört dem CDU-Präsidium an. Mit knapp über 55 Prozent hatte sie von allen Präsidiumsmitgliedern das schlechteste Ergebnis erhalten. In der Integrationsdebatte geht sie den Beteiligten zunehmend auf die Nerven. Offen sagt das keiner. Niemand will sich den Zugang zum Kanzleramt mit unbedachten Angriffen gegen Böhmer verbauen, auch wenn deren angeblich gutes Verhältnis zur Kanzlerin wohl überschätzt wird.

Als problematisch wird vor allem Böhmers eigenwillige Sicht auf die Migranten gesehen. Böhmer geht von Defiziten aus, die behoben werden müssen. Wer kein Deutsch kann, muss es eben lernen. Der Rest gibt sich dann schon. So beschreiben Mitglieder des Integrationsrates das Weltbild der Professorin für Erziehungswissenschaften.

Defizite im staatlichen Handeln sieht Böhmer eher nicht: In einem Interview sagte sie einmal: "Ich würde den Vorwurf nicht teilen, dass der Staat zu wenig gemacht hat." Wer fragt, ob der Intergrationsplan mehr trotz als wegen Böhmer zustande gekommen sei, bekommt überwiegend zustimmendes Nicken zu sehen.

Ihr distanziertes Amtsverständnis belegt auch ihr Titel. Sie, die als erste Unionsfrau diesen Posten innehat, hat ihn umgetauft in Integrationsbeauftragte. Böhmers Vorgängerin im Amt war die Grüne Marieluise Beck. Die wusste als Ausländerbeauftragte, damals noch im Innenministerium angesiedelt, wo sie im Zweifel zu stehen hat: auf Seiten der Migranten.

Der Begriff Integration aber ist als An- und Aufforderung an die Migranten zu verstehen. Böhmer will Integration durchsetzen, auch gegen Widerstände der Migranten. Ganz der Parteilinie folgend: fordern und fördern. Das mit dem Fordern klappt bei Böhmer schon ganz gut. Ob das Fördern auch funktioniert, wird sich im Herbst herausstellen, wenn Böhmer nach der dritten Konferenz des Integrationsrates ihren Zwischenbericht vorstellt.

Vielleicht berichtet sie dann ja auch von ihrem Ausflug in das Leben von Migranten, den sie kürzlich unternommen hat. Um ganz nah dran zu sein, besuchte Böhmer einen Berlin-Kreuzberger Schnellimbiss amerikanischer Prägung. Was sie dort über Migranten gelernt hat, bleibt bisher im Dunkeln. Überliefert ist lediglich, dass ihr die Chicken McNuggets geschmeckt haben sollen.

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