Entscheidungen im Bundesrat:Emotionales Kampfprogramm

Die letzte Sitzung des Bundesrats vor der Sommerpause hat es in sich: Roland Koch spricht über seine Gefühle und mehr als 80 Tagesordnungspunkte müssen bewältigt werden. Die wichtigsten Entscheidungen im Überblick.

Vor seiner Sommerpause muss der Bundesrat an diesem Freitag ein Mammutprogramm bewältigen. Auf der Tagesordnung der Länderkammer stehen allein 27 Gesetzesbeschlüsse.

Bundesrat

Die 873. Sitzung des Bundesrates hat es in sich: Über 80 Tagesordnungspunkte sind zu bewältigen.

(Foto: dpa)

Zum vorläufig letzten Mal wird Schwarz-Gelb in der Länderkammer eine Mehrheit von 37 der insgesamt 69 Stimmen haben. Denn die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und die Konstitution der rot-grünen Minderheitsregierung werden sich erst bei der nächsten Sitzung am 24. September auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat auswirken. Dann verfügen CDU, CSU und FDP nur noch über 31 Stimmen.

Die scheidenden CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch und Jürgen Rüttgers haben am Freitag vor ihrer letzten Bundesratssitzung Abschied von der politischen Bühne in Berlin genommen.

NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der derzeit nur noch kommissarisch im Amt ist, gab sich bei seinem wahrscheinlich letzten Auftritt im Bundesrat abgeklärt: "Ich habe mich damit innerlich auseinandergesetzt", sagte er vor der Sitzung. "Ich habe mich nicht vom Acker gemacht, sondern versuche, einen geordneten Übergang hinzubekommen." Er wolle der CDU weiterhin hilfreich zur Seite stehen. "Ich werde auf jeden Fall nicht dauernd vom Spielfeldrand irgendwelche Ratschläge geben." Am 9. Mai war die schwarz-gelbe Koalition in NRW abgewählt worden.

Rüttgers' hessischer Kollege Koch zeigte sich etwas emotionaler. "Ich fühle mich eigentlich ganz wohl bei der Entscheidung, die ich getroffen habe", sagte Koch, der sich aus der Politik zurückzieht und in die Wirtschaft geht. "Aber trotzdem bleibt ein bisschen Emotion, gerade hier im Bundesrat, in dem ich viel erlebt und auch vieles, denke ich, gestaltet habe." Koch regierte Hessen seit 1999.

Die Entscheidungen im Überblick:

Arzneimittel

Zur Eindämmung der ständig steigenden Ausgaben für Arzneimittel hat der Bundesrat einen deutlich erhöhten Zwangsrabatt und ein Preismoratorium beschlossen. Dadurch sollen die gesetzlichen Krankenkassen bis Ende 2013 jährlich um gut eine Milliarde Euro entlastet werden. In diesem Jahr sollen so bereits rund 500 Millionen Euro gespart werden. Mit der Neuregelung steigt der gesetzlich festgelegte Herstellerabschlag von 6 auf 16 Prozent. Er gilt für verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne Preisobergrenze (Festbetrag). Außerdem werden die Arzneimittelpreise bis Ende 2013 eingefroren. Dies soll verhindern, dass der Preisstopp noch durch nachträgliche Aufschläge unterlaufen werden kann. Für Hersteller, die wegen des Zwangsrabatts nachweislich unter Druck geraten, soll es eine Ausnahmeregelung geben. Stärkere Preisverhandlungen zwischen Kassen und Herstellern sind in einem zweiten Arznei-Sparpaket geplant.

Bafög und Stipendien

Union und FDP haben mit ihrer Mehrheit im Bundesrat ein nationales Stipendienprogramm durchgesetzt. Damit sollen künftig bis zu 160.000 der leistungsstärksten Studenten mit monatlich 300 Euro unterstützt werden - unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern. Bei der allgemeinen Bafög-Erhöhung für Studenten und Schüler riefen die Länder dagegen nahezu geschlossen den Vermittlungsausschuss an. Das Bafög wird abhängig vom Elterneinkommen gezahlt. Die Fördersätze sollen um zwei Prozent, die Elternfreibeträge um drei Prozent steigen. Die Verabschiedung des heftig umstrittenen Stipendiengesetzes wurde möglich, weil die Bundesregierung quasi in letzter Minute den Ländern die völlige Kostenübernahme zusicherte.

Bonuszahlungen

Übertriebene Bonuszahlungen an Manager von Banken und Versicherungen können künftig eingedämmt werden. Der Bundesrat billigte schärfere Regeln für Manager-Boni. Damit erhält die oberste Finanzaufsicht Bafin mehr Eingriffsrechte. Sie kann Bonuszahlungen beschränken oder komplett untersagen, wenn bestimmte Anforderungen nicht erfüllt sind. Generell sollen Bonuszahlungen stärker an den längerfristigen Erfolg eines Unternehmens gekoppelt werden. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition setzt damit auch entsprechende Vorgaben der führenden Wirtschaftsnationen (G 20) um. Auch werden bisherige, teils freiwillige Maßnahmen auf eine gesetzliche Basis gestellt. Die Aufsicht kann die Auszahlung variabler Vergütungsbestandteile untersagen oder auf einen bestimmten Anteil des Jahresergebnisses beschränken.

Börsenwetten

Spekulanten haben bei riskanten Börsenwetten in Deutschland künftig weniger Spielraum. Der Bundesrat billigte das Gesetz der schwarz-gelben Koalition, mit dem alle "ungedeckten Leerverkäufe" verboten werden. Bereits seit Mitte Mai sind bestimmte Leerverkäufe untersagt. Mit dem jetzt beschlossenen Gesetz wird dieses Verbot ausgeweitet. Finanzakteure dürfen nur noch mit Aktien, Staatsanleihen und Kreditversicherungen spekulieren, die sie selbst besitzen oder sich geliehen haben. Neu eingeführt werden auch Meldepflichten, damit die Aufsichtsbehörden einen besseren Überblick haben. Experten und die Opposition halten den nationalen Alleingang der schwarz-gelben Koalition angesichts weltweiter Geldströme für wirkungslos. Die EU-Kommission will erst im Herbst Vorschläge für ein europäisches Verbot vorlegen.

Datenschutz

Der Datenschutz bei Diensten wie Google Street View muss nach Ansicht des Bundesrates gestärkt werden. Die Länderkammer beschloss, einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen. Demnach sollen Gesichter und Kfz-Kennzeichen unkenntlich gemacht werden, bevor Daten ins Netz kommen. Abgebildete Menschen sollen ein uneingeschränktes Widerspruchsrecht erhalten. Gleiches soll für Hausbesitzer und deren Mieter gelten, die gegen die Abbildung ihrer Wohnhäuser im Netz sind. Der Entwurf zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes geht auf eine Initiative des Stadtstaates Hamburg zurück - dort hat Google seine Deutschlandzentrale. Der Suchmaschinen-Gigant filmt seit Monaten für seinen Internetdienst Google Street View bundesweit Häuser und Straßen ab.

Jobcenter

Das jahrelange Tauziehen um den Erhalt der Jobcenter zur Betreuung von Millionen Langzeitarbeitslosen aus einer Hand ist endgültig beendet. Der Bundesrat billigte am Freitag mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit die bereits vom Bundestag beschlossene Änderung des Grundgesetzes. Damit bleibt die vom Bundesverfassungsgericht beanstandete gemeinsame Betreuung der mehr als 6,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger und ihrer Familien durch Kommunen und Arbeitsagenturen gesichert. Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Mischverwaltung im Dezember 2007 für unzulässig erklärt. Mit der Grundgesetzänderung können die Jobcenter von Kommunen und Arbeitsagenturen nun über das Jahresende hinaus auf rechtlich einwandfreier Basis weiterarbeiten.

Solarförderung

Die staatliche Solarförderung wird deutlich gekürzt. Nach dem Bundestag billigte nun auch der Bundesrat den zuvor im Vermittlungsausschuss gefundenen Kompromiss. Es bleibt unter dem Strich bei der beschlossenen Senkung um 11 bis 16 Prozent, die jedoch in vollem Umfang erst drei Monate später kommt. Die Länder wollten die Absenkung auf 10 Prozent begrenzen. Laut Regierung führt kein Weg an einer Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) mit niedrigeren Zuschüssen vorbei. Der Preis für Solaranlagen war zuletzt um rund 30 Prozent gesunken. Da die Förderung viel schwächer zurückging, war der Sonnenstrom über viele Jahre ein lohnendes Geschäft. Mehrere Bundesländer fürchten jetzt um Arbeitsplätze bei ihren Solarfirmen.

Wehrpflicht und Zivildienst

Der Bundesrat hat keinen Einspruch gegen die Verkürzung der Wehrpflicht von neun auf sechs Monate erhoben. Die Länderkammer ließ das Gesetz passieren, das auch einen entsprechend gekürzten Zivildienst zur Folge hat. Die Regelung gilt erstmals für junge Männer, die ihren Wehr- oder Ersatzdienst zum 1. Juli angetreten haben. Der Zivildienst kann aber freiwillig um drei bis höchstens sechs Monate verlängert werden. Die Länder verabschiedeten auch eine Entschließung. Darin appellieren sie an die Bundesregierung, die Länder an weiteren Strukturüberlegungen zu beteiligen. Dazu gehörten insbesondere die Schließung von Bundeswehr-Standorten.

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