Macron und Le Pen:Zwei Wahlpartys mit vielen Gegensätzen

Präsidentschaftswahl in Frankreich

Die Fans des Sozialliberalen Macron wedeln wild aufgeregt mit französischen und europäischen Fahnen, manche führen Freudentänze auf.

(Foto: dpa)

Während die Anhänger Macrons sich in Paris am eigenen Erfolg berauschen, verbringt Marine Le Pen den Wahlabend in der Provinz. Das ist auch eine Botschaft.

Von Leila Al-Serori, Joseph Hanimann, Leo Klimm und Christian Wernicke

Ohrenbetäubender Jubel bricht los auf der Wahlparty von Emmanuel Macron, als am Sonntag Punkt 20 Uhr die erste Prognose im Fernsehen läuft: Er hat es sicher in die Stichwahl geschafft. Seine Fans wedeln wild aufgeregt mit ihren französischen und auch europäischen Fahnen, manche führen Freudentänze auf. Mittendrin Valérie Benjamin - Eventmanagerin aus Paris, Mitte vierzig, und damit soziologisch eine ziemlich typische Macron-Anhängerin. Sie springt mit ihren Freundinnen auf und ab. Sie singen: "On va gagner! On va gagner!" Wir werden gewinnen! "Das ist ja wohl nicht übel für einen ersten Wahlkampf", sagt Benjamin mit Tränen in den Augen.

2012 stimmte sie für Nicolas Sarkozy. "Aber Macron hat mir aus dem Herzen gesprochen, weil er raus will aus dieser blöden Links-rechts-Denke, die unser Land lähmt." Und als Unternehmerin gefällt ihr natürlich das Programm des Parteilosen, das Selbständigen finanzielle Entlastungen verspricht.

Wieder branden Sprechchöre auf: "Macron Président!" Zwischendrin stimmen einige die Marseillaise an - die Nationalhymne. Man will sie nicht dem Front National (FN) und seiner Kandidatin Marine Le Pen überlassen. Das Fernsehen zeigt erste Bilder des Mannes, der nun haushoher Favorit für die Stichwahl gegen Le Pen ist: Macron winkt gelöst mit seiner Frau Brigitte vom Dach des Gebäudes im 15. Pariser Bezirk, seiner Wahlkampfzentrale. "Präsident der Patrioten angesichts der Bedrohung durch die Nationalisten", wolle er werden, sagt er später. Er wolle mit einem System brechen, "das unfähig ist, auf Problem zu reagieren". Nur einmal wird es fast still bei seiner Wahlparty in der Messehalle im Süden von Paris: Als der skandalgeschüttelte konservative Kandidat François Fillon vor den Kameras seine Niederlage erklärt. Fillon hat Tränen in den Augen. Als der Bürgerliche - nach dem erbitterten Wahlkampf fast schon überraschend - zur Wahl Macrons gegen Le Pen aufruft, zollen sie ihm Respekt und applaudieren.

Die Größe der Halle passt zu Macrons Ehrgeiz. Viele fleißige "Helpers", wie sie bei Macron neufranzösisch heißen, haben den aufgeregten Anhängern Fanartikel in Jutetüten verteilt. Darin T-Shirts mit der Aufschrift "Macron Président!". Die Macron-Anhänger waren mit Frankreich-Fähnchen ausstaffiert, nur von den EU-Fahnen mit den zwölf gelben Sternen hätten sie irgendwie zu wenige, grummelt ein Helper. Dabei war das doch das Alleinstellungsmerkmal ihres Helden: dass er sich als einziger Bewerber vorbehaltlos zu Europa bekennt.

In Momenten, in denen Macron die sonst sorgsam gebändigte Eitelkeit übermannt, geht er auf in dieser Sehnsucht seiner Anhänger nach einem, der Frankreich und Europa neu erfindet. "In der Politik sind Helden nötig", sagte er im Wahlkampf. Und nun rüttelt dieser 39-jährige Sturm-und-Drang-Politiker am Tor des Elysée-Palasts. Er oder Marine Le Pen werden als Staatsoberhaupt einziehen. Im Élysée hat er vor seiner Zeit als Minister schon zwei Jahre in einem Kabuff unterm Dach als Berater von Präsident François Hollande gedient. Jetzt könnte er als sein Nachfolger in die goldverzierten Salons treten.

Le Pen feiert in der Provinz. Das ist auch eine Botschaft

Auch Marine Le Pen feiert, allerdings in der Provinz, in der Arbeiterstadt Hénin-Beaumont im Norden. Die Botschaft ist klar: Die Elite zelebriert in Paris, sie ist draußen bei ihren Leuten. Der Jubel ihrer Anhänger ist ohrenbetäubend, als die erste Hochrechnung auf den Bildschirmen zeigt: Die FN-Chefin hat es in die Stichwahl geschafft. Hénin-Beaumont ist nicht irgendeine Stadt für den FN. Für Le Pen ist sie Beispiel für die Regierungsfähigkeit des FN, seit 2014 stellen sie hier den Bürgermeister.

Presidential Candidate Marine Le Pen Spends Election Day In Northern Strong Hold

Marine Le Pen feiert in der Arbeiterstadt Hénin-Beaumont im Norden Frankreichs.

(Foto: Getty Images)

Den Polit-Parvenu Macron belächelten noch vor sechs Monaten die meisten im Pariser Polit-Establishment. Schließlich hatte er sich vor dem Sonntag noch nie einer Wahl gestellt. Nicht einmal einer Kommunalwahl. Da wirkten die Ambitionen auf das Präsidentenamt wie jugendlicher Übermut. Und dann stahl vor allem dieser neue Star Le Pen die Schau im Wahlkampf, sie konnte diese Kampagne nicht dominieren.

In Hénin-Beaumont skandieren ihre Anhänger am Sonntagabend natürlich dennoch: "Wir werden gewinnen!" und stimmen die Marseillaise an. Marine Le Pen ruft ihnen zu: "Ich bin die Kandidatin des Volkes." Aber es gelang ihr nicht, Breschen zu schlagen in die unsichtbare Wand, die Rechtsextreme und alte Rechte trennt. Nicht einmal das Skandal-Fiasko Fillons konnte sie nutzen, um konservative Überläufer zu gewinnen. Schuld waren die FN-Affären um illegal beschäftigte Assistenten des EU-Parlaments als Partei-Kader. Und, mehr noch, Le Pens Anti-Euro-Programm: Vermögende Rechte schreckt die Idee ab, mit ihr drohe eine massenhafte Entwertung ihrer Vermögen. Unter Franzosen ist der Euro populärer als die EU.

Für die altgediente Le Pen war der Aufstieg Macrons frustrierend

Macron erkannte das und auch, dass das Parteiensystem morsch ist und das Bedürfnis der Franzosen nach politischer Erneuerung groß. Dazu hatte er das Glück, das auch ein Held braucht. Für ihn sortierte sich das politische Tableau optimal - weil die breite Mitte frei wurde: Die Bürgerlichen bestimmten mit Fillon einen Erzkonservativen, die Sozialisten wählten mit Benoît Hamon einen aussichtslosen Parteilinken, er landete weit hinter Jean-Luc Mélechon, Kandidat der Linkspartei LFI.

Für Le Pen war Macrons Erfolg vielleicht trotz ihres Einzugs in den zweiten Wahlgang auch frustrierend. Sie führt seit 2011 - nachdem sie den Kampf um den FN-Vorsitz gegen ihren Vater Jean-Marie Le Pen gewann - eine seit gut vier Jahrzehnten bestehende Partei. Den Großteil ihres Lebens verbrachte sie mit Politik. Erst hinter den Kulissen, 2007 dann verpasste sie nur knapp den Sitz in der Nationalversammlung. Seither entwarf sie ihre Strategie für den FN: Die Normalisierung der Rechtsextremen, ihre "Entteufelung" und Professionalisierung.

Macron aber trat nun an ohne Partei, nur mit seinem in einem Jahr auf 200 000 Mitglieder gewachsenen Wahlverein En Marche - und einem Programm, das die Lager-Logik von Links und Rechts missachtet. Es ist ein klassisch sozialliberales Programm, das Égalité, den Kernwert der französischen Republik, vor allem als Gleichheit der Chancen sieht. Und das vorsichtige Wirtschaftsreformen in Frankreich vorsieht, um gegenüber Deutschland an Glaubwürdigkeit zu gewinnen und eine Reform jenes Europas einfordern zu können, das die Franzosen in dieser Wahl so gespalten hat.

Macron wollte das freundlich-weltoffene Gegenangebot zu Le Pen an Frankreichs Frustrierte sein. Am Sonntagabend sieht es aus, als nähmen viele Franzosen das Angebot an.

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