Machtwechsel in Kiew:Helft der Ukraine mit einem Marshall-Plan!

George Soros

George Soros (hier beim Wirtschaftsgipfel in Davos 2014) stammt ursprünglich aus Ungarn und ist in den USA als Spekulant zum Milliardär geworden. Mit seinem Geld unterstützt der 83-Jährige seit Langem Demokratiebewegungen in Osteuropa.

(Foto: Bloomberg)

Um die Ukraine in die Weltwirtschaft zu führen, sollten die EU-Staaten eine moderne Form der Entwicklungshilfe leisten. Mit Blick auf Russland müssen sie allerdings aufpassen, nicht gleichzeitig einen neuen Kalten Krieg zu provozieren.

Ein Gastbeitrag von George Soros

Die Proteste in der Ukraine haben - nach einem schrecklichen Ausbruch der Gewalt - nun doch eine überraschend positive Wendung genommen. Gegen alle rationalen Erwartungen hat eine Gruppe von Davids gegen den Goliath gesiegt. Bürger, die nicht mehr in der Hand hielten als Stöcke oder Pappschilder, haben sich gegen Polizeikräfte durchgesetzt, die mit scharfer Munition schießen durften. Dieser Volksaufstand hat viele, zu viele Opfer gefordert, dies ist furchtbar tragisch. Aber die Erhebung gehört auch zu jenen historischen Momenten, die das kollektive Gedächtnis der Ukraine für immer prägen werden.

Wie konnte es dazu kommen? Der Vergleich mag ungewöhnlich klingen, aber Werner Heisenbergs Prinzip der Unschärferelation aus der Quantenphysik kann als taugliche Metapher dienen. Heisenberg hat uns gelehrt, dass unsere Fähigkeiten, die Zukunft allein anhand wissenschaftlicher Gesetze vorauszusagen, begrenzt sind. So kann einer Materiewelle niemals gleich genau ein bestimmter Ort oder Impuls zugewiesen werden.

In ähnlicher Weise können auch Menschen frei entscheiden, ob sie als Individuen oder als Teil einer größeren und schlagkräftigeren Gruppe auftreten wollen. Daher sind historische Ereignisse so schwer vorherzusehen, weil jedes menschliche Handeln stets mit der Unsicherheit behaftet ist, in welcher Art und Weise Menschen auftreten wollen, welche Identität sie finden. Und davon hängt auch ab, in welchem Maße sie die Geschichte direkt beeinflussen können.

Als ukrainische Zivilisten vorige Woche eine Selbstmordattacke auf bewaffnete Streitkräfte lancierten, war ihr kollektiver Glaube, eine Nation und deren Werte zu repräsentieren, augenscheinlich weit größer als ihre individuelle Angst vor der eigenen Sterblichkeit. Dieser Wille führte zu einem unglaublichen Schwung: Eine zutiefst gespaltene Nation befindet sich nun auf dem Weg zu einem Gefühl nationaler Einheit, wie es die Ukraine wohl nie zuvor erlebt hat.

Ukraine erlebt Gefühl der Einheit, EU präsentiert sich gespalten

Ob dieses euphorische Gefühl anhalten wird, hängt jetzt entscheidend von der europäischen Reaktion ab. Es haben sich in den vergangenen Monaten zwar große Teile des ukrainischen Volkes eindeutig zu den Werten der Europäischen Union bekannt. Doch die EU repräsentiert diese Werte derzeit leider nicht. Sie präsentiert sich statt dessen hoffnungslos gespalten. Die Euro-Krise hat den einstigen Zusammenschluss gleichberechtigter Staaten in einen ungleich konstruierten Staatenbund verwandelt, in der sich Kreditgeber und Schuldner verbittert gegenüber stehen.

Deswegen fiel es Russland auch so leicht, die Europäer bei den Verhandlungen über ein Partnerschaftsabkommen mit der Ukraine auszubremsen. Die EU hat unter deutscher Führung der Ukraine zu wenig angeboten und zu viel von dem Land gefordert, nämlich ein uneingeschränktes Bekenntnis zu Europa. Erst als das Land kurz vor dem Bürgerkrieg stand, begann die EU gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds ein Hilfspaket zusammenzustellen, welches das Land vor dem unmittelbaren finanziellen Zusammenbruch retten könnte. Aber es bleibt fraglich, ob dies ausreichen wird, um den Geist nationaler Einheit zu bewahren.

Die Ukraine als Investitionsstandort

Ich habe in der Ukraine eine Stiftung - die "Renaissance Foundation" - gegründet, noch bevor das Land seine Unabhängigkeit errang. Die Stiftung hat sich an den jüngsten Protesten nicht direkt beteiligt, sie hat aber entschlossen die Bürgerrechte gegen die Repressalien der Regierung verteidigt. Sie ist nun bereit, beim Aufbau demokratischer Institutionen und einer fairen und fähigen Justiz mitzuhelfen. Aber die Ukraine ist auf weitere Hilfe angewiesen, die vor allem die EU leisten kann: professionelle Management-Expertise und vor allem freien Zugang zu Märkten.

Bei der erstaunlich erfolgreichen Transformation Osteuropas nach dem Ende des Kalten Krieges leisteten umfangreiche Investitionen deutscher und anderer europäischer Firmen wichtige Aufbauhilfe - weil diese Investitionen die lokalen Produzenten in ihre Wertschöpfungsketten integrierten. Die Ukraine könnte mit ihrer gut ausgebildeten Bevölkerung und mannigfaltigen Industrie ein interessanter Investitionsstandort werden. Aber dafür muss sich das Geschäftsklima dort erheblich verbessern, vor allem die fehlende Rechtssicherheit und die systematische Korruption schrecken bislang Anleger ab.

Mit viel Macht kommt viel Verantwortung

Die EU-Mitgliedsstaaten könnten diese Bedenken ausräumen, indem sie gezielt Managementwissen an lokale Unternehmen vermitteln - am besten, wenn solche Projekte an die Kreditvergabe privater Banken gekoppelt sind. Auch die Europäische Bank für Wiederaufbau dürfte dabei eine wichtige Rolle spielen.

Ein Deal könnte so aussehen: Die Ukraine öffnet seinen Heimatmarkt für europäische Firmen, die dort Ableger für die lokale Fertigung und Produktion einrichten. Im Gegenzug öffnet die EU ihren Absatzmarkt für diese ukrainische Firmen und hilft ihnen so bei der Eingliederung in die Weltwirtschaft.

Ich hoffe wirklich, dass Europa diese Aufgabe ernst nimmt - und vor allem Deutschland seiner gewachsenen Verantwortung endlich gerecht wird. Deutschland muss akzeptieren, dass es die derzeit führende Macht in Europa ist. Mit viel Macht kommt viel Verantwortung, wie sie etwa die Vereinigten Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges für Deutschland und Europa übernommen haben. Damals schuf der Marshall-Plan als wohl erfolgreichstes Entwicklungshilfeprogramm der Geschichte die Grundlagen für Europas Wiederaufstieg. Nun brauchen wir eine moderne Variante des Marshall-Plans in der Ukraine.

Einen historischen Fehler von damals darf Europa freilich nicht wiederholen: Der Marshall-Plan war gegen die Sowjetunion gerichtet und war einer der Gründe für den Kalten Krieg, der über vier Jahrzehnte andauerte. Weder die Ukraine noch Europa können sich eine Neuauflage dieses Konflikts leisten, schließlich ist die Ukraine das Verbindungstor zwischen Russland und Europa. Das Land ist auf russische Energie angewiesen und auf europäische Absatzmärkte, es muss stets in beide Richtungen blicken.

Daher sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich mit Russlands Präsident Wladimir Putin verhandeln, um sicherzustellen, dass Russland als Partner bei einer ukrainischen Renaissance helfen möchte - und sie nicht als Gegner blockieren will.

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