Machtverteilung in der EU:Fraktionsübergreifender Frauenaufstand

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Beim Streit um die Spitzenposten der EU kommt nun neben dem Geschacher um Parteibücher eine weitere Konfliktlinie ins Spiel: Das Geschlecht.

Cerstin Gammelin

Zwei Tage vor dem Gipfel, auf dem über die Besetzung der neuen EU-Spitzenjobs entschieden werden soll, drohen die europäischen Parlamentarierinnen mit einem fraktionsübergreifenden Aufstand. Sie fürchten, dass die Gremien zur fast frauenfreien Zone verkommen. "Wenn die EU-Spitzenrepräsentanten und die neuen Kommissare so benannt werden, wie es jetzt aussieht, bekommen wir in Europa saudi-arabische Verhältnisse", sagte Rebecca Harms, Vize-Chefin der Europäischen Grünen.

Nur Männer: Als Kandidaten für die EU-Präsidentschaft wurden bislang nur Männer gehandelt. (v.l.: Jean-Claude Juncker, Herman Van Rompuy, Tony Blair, Jan Peter Balkenende) (Foto: Foto: AFP)

Für die 25 Mitglieder der EU-Kommission und die beiden neuen EU-Spitzenposten, den Präsidenten des Europäischen Rates und den hohen Außenbeauftragten, seien nur drei Frauen nominiert. "Das ist völlig inakzeptabel", sagte die Vizechefin der Europäischen Volksparteien, Rodi Kratsa-Tsagaropoulou.

53 Prozent der Europäer seien weiblich, das müsse sich in der Führungsriege widerspiegeln. Mindestens ein Drittel der neuen Kommissionsposten und einer der beiden EU-Spitzenjobs müssten weiblich besetzt werden. Sonst würden die Parlamentarierinnen "zu ihrer stärksten Waffe greifen und gegen die neue Kommission stimmen".

Der fraktionsübergreifende Frauenaufstand könnte die Wahl der neuen Kommission gefährden. Zwar sind nur 258 der 736 Abgeordneten weiblich, und das neue Gremium wird lediglich mit einfacher Mehrheit gewählt. Aber die Damen können auf männliche Unterstützung bauen.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bittet die EU-Regierungschefs seit Wochen, Frauen nach Brüssel zu schicken - ohne bisher erfolgreich zu sein. Auch die Fraktionschefs im EU-Parlament stehen, zumindest verbal, hinter seiner Forderung. Und EU-Parlamentspräsident Jerzy Buzek erklärte bereits auf dem EU-Gipfel im Oktober, "eine Frau als erste Präsidentin des Europäischen Rates wäre sehr bedeutsam".

Die Frauen haben sich auf eigene Kandidatinnen geeinigt. Die frühere lettische Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga soll erste EU-Ratspräsidentin werden. Die parteilose Freiberga führt auch in einer Umfrage der in Brüssel und Paris ansässigen Robert Schuman Stiftung.

Auf deren Internetportal können alle Europäer über ihre Wunschkandidaten abstimmen. Die Lettin liegt deutlich vor dem Premier Luxemburgs, Jean-Claude Juncker. Als Hohe Außenbeauftragte ist die frühere österreichische Außenministerin Ursula Plassnik vorgesehen.

"Wir wollen je einen weiblichen und männlichen Kandidaten für jedes Land", sagte Harms. Auch Deutschland solle die Entsendung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger "überdenken". Harms kritisierte, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe eine Bewerbung von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) für Brüssel aus machtpolitischen Gründen abgelehnt. Auf dem Gipfel am Donnerstag sollen die beiden Spitzenposten besetzt werden. Die Kommissare werden bis Anfang Dezember benannt.

© SZ vom 18.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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