Machtverhältnisse in Israel:Eine Wahl ist noch keine Wende

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Israels Botschafter in Bonn und Berlin zwischen 1993 und 1999: Avi Primor. Diese Aufnahme entstand in Tel Aviv. (Foto: dpa)

Die Knesset-Wahl hat Israels rechtem Lager den Wind aus den Segeln genommen. Doch eine Friedensinitiative wird es nur unter einer Bedingung geben: Wenn sich die USA engagieren.

Ein Gastbeitrag von Avi Primor, Tel Aviv

Der Diplomat und Publizist Avi Primor, 77, war von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland. Er ist Präsident der israelischen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Die Wahlergebnisse in Israel am 22. dieses Monats haben weltweit Hoffnungen für den Nahen Osten geweckt. Für viele Israelis war der Wahlausgang eine gute Nachricht. In der Tat wurde der Aufschwung des extrem rechten Lagers der vergangenen Jahre gestoppt. Ging man vor ein paar Wochen davon aus, dass Benjamin Netanjahu und seine Verbündeten eine ganz bequeme absolute Mehrheit erzielen würden, stellt sich nun heraus, dass dem nicht so ist. Zwar ist die Netanjahu-Lieberman-Partei die größte im Parlament geblieben, sie hat aber dennoch 25 Prozent ihrer Wähler verloren.

Die anderen rechten Parteien und besonders die neuen Hoffnungsträger der Siedler und deren Verbündete, Habeit Hajehudi ( Das jüdische Haus), konnten zwar auf Kosten ähnlicher Parteien wachsen, insgesamt aber nicht mehr Stimmen bekommen als die gesamten Siedlerparteien zuvor.

Es stimmt zwar, dass die Likud-Partei erheblich extremistischer geworden ist (in dieser Partei wurden die relativ Gemäßigten hinausgedrängt und nun haben die Ultraextremisten das Sagen), dennoch steht eine Tatsache fest: Das gesamte rechte Lager, einschließlich aller religiösen Parteien, kann nicht mehr alleine regieren. Es braucht die Unterstützung des sogenannten Zentrums. Und zwar Unterstützung, die keineswegs ein Feigenblatt sein wird, sondern ganz im Gegenteil sehr viel Gewicht in der Regierung haben wird.

Was bedeutet das genau für die Schwerpunkte der israelischen Innen- und Außenpolitik? Was bedeutet das vor allem für einen Friedensprozess?

Ein neuer, erfrischender Wind des Liberalismus

In der Innenpolitik werden sich bestimmt manche Dinge ändern. Die teils erfolgreiche Kampagne des extrem rechten Lagers, eine Gesetzgebung im israelischen Parlament durchzusetzen, um diverse demokratische Grundrechte zu begrenzen, ist nun gestoppt. Konkret ging es da um die Bemühungen, die Rechte der israelischen Bürger arabischer Abstammung einzuschränken, sich in die Pressefreiheit einzumischen, die Befugnisse der Justiz und vor allem des Obersten Gerichts zu mindern und die Tätigkeit der Stiftungen, die sich um die Menschenrechte im Land bemühen, unter strenge Kontrolle zu stellen. Des Weiteren ging es um den harten Umgang mit Migranten. All dies wird nun wesentlich gedämpft.

Auch die Privilegien, hauptsächlich die Zahlungen an die Ultraorthodoxen, werden nicht mehr so selbstverständlich sein wie bisher. Schließlich muss man sie nicht mehr bestechen, damit sie eine Netanjahu-Koalition sichern. Der Hauptpartner Netanjahus, der nun das Bestehen der Koalition sichern wird, ist die neue große Zentrum-Partei Jesh Atid (Es gibt Zukunft), möglicherweise gemeinsam mit weiteren, kleineren Parteien des Zentrums. Also weht ein neuer, erfrischender Wind des Liberalismus und der Demokratie.

Dennoch bedeutet all dies weder eine Wende im Nahen Osten noch neue Friedensinitiativen. Merkwürdigerweise haben nur zwei kleine Parteien in diesem Wahlkampf das Thema Frieden und Verhandlungen in den Vordergrund ihres Programms gestellt: die Partei der ehemaligen Außenministerin Tzipi Livni und die Meretz-Partei. Gemeinsam haben die beiden zehn Prozent der Stimmen bekommen.

Alle anderen sogenannten moderaten Parteien haben das Thema Palästinenser insgesamt und Siedlungen insbesondere sorgfältig gemieden. Sie haben auf wirtschaftliche und soziale Fragen gesetzt, ganz so, als gäbe es keinen Konflikt, als hingen der Kriegszustand, die steigenden Kosten der Streitkräfte, die steigenden Kosten des Siedlungsbaus und was dazu gehört nicht mit der Wirtschafts- und Sozialfrage zusammen.

Der Grund dafür kann im fehlenden Interesse der Zentrumspolitiker an diesen heiklen Hauptproblemen gefunden werden, aber auch in deren Annahme, dass sich das allgemeine Publikum dafür nicht interessiert. Sie haben richtig begriffen, dass viele Leute von der hohlen Netanjahu-Propaganda und seiner Angstmacherei nicht mehr beeindruckt sind. Sie haben begriffen, dass die Menschen eine Wende haben wollen, nicht aber unbedingt in Sachen Friedensprozess.

Die meisten Israelis, die sich nicht nur einen echten Friedensprozess wünschen, sondern auch eine Trennung von den palästinensischen Gebieten, halten diese jedoch für fromme Wünsche, die nicht realisierbar sind, und glauben, dass sie deshalb keine Rolle im echten Leben spielen können. Insofern werden sich die Zentrumspolitiker, auch als Teil der Koalition, in diesen Themen nicht sonderlich bemühen. Sie werden natürlich Verhandlungen mit den Palästinensern verlangen, über die Ehrlichkeit solcher Verhandlungen aber nicht mit Netanjahu und seinen Verbündeten streiten.

Hingegen werden diese auf ihrer Hardliner-Politik beharren. Das bedeutet zum Beispiel, Siedlungen im Westjordanland weiterzubauen, um die Realität des Gebiets so zu ändern, dass die Entstehung eines Palästinenserstaats unmöglich wird. Auch das werden die Zentrumspolitiker der Koalition nicht verhindern.

Wie kann es also weitergehen? Für die palästinensische Regierung läuft die Zeit ab. Eine Weile werden sie bestimmt noch warten, um zu sehen, was für eine Koalition in Israel entsteht und welche Politik sie betreiben wird. Eine Weile werden sie auch noch auf die neue amerikanische Regierung warten.

Ein Friedens-Engagement der USA schwächt die Hardliner

Da sie sich aber keine großen Hoffnungen machen, werden sie auch nicht sehr viel Geduld haben, zumal die Bevölkerung ihre Geduld zunehmend verliert. Wenn es keine neue und glaubwürdige Friedensinitiative geben wird, dann könnte eine neue Intifada ausbrechen. So ein Aufstand wird die Massen der arabischen Welt, die sich in einem Prozess der Wende befindet, zumindest emotional tief treffen. Und wo das hinführen würde, das kann kein Mensch prophezeien.

Bislang waren die beiden Regierungen, die israelische und die palästinensische, einem echten Friedensprozess nicht gewachsen. Das hat sich mit den Wahlen in Israel nicht wesentlich geändert. Anderes schon: Die rechten Nationalisten in Israel sind schwächer geworden und können infolgedessen weniger Druck aushalten.

Sollte sich der Westen unter amerikanischer Führung nun doch für eine neue, wirksame Friedensinitiative für den Nahen Osten entscheiden, so würde er bessere Chancen haben als zuvor. Denn ein Großteil der israelischen Regierung, der für einen Friedensprozess auf die Teilnahme in der Koalition nicht verzichten wird, würde letztlich doch jede Friedensinitiative unterstützen.

Das isoliert dann die Hardliner gegenüber einer internationalen Initiative und lässt ihnen weniger Möglichkeiten, den Prozess zu torpedieren.

© SZ vom 25.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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