Machtkampf in Warschau:Polens Justiz kämpft um ihre Unabhängigkeit

Machtkampf in Warschau: "Wir sind hungrig darauf, endlich wieder unseren Job zu erfüllen", sagt der Präsident des polnischen Verfassungsgerichts Andrzej Rzeplinski.

"Wir sind hungrig darauf, endlich wieder unseren Job zu erfüllen", sagt der Präsident des polnischen Verfassungsgerichts Andrzej Rzeplinski.

(Foto: AFP)

Die Regierung will das Verfassungsgericht entmachten. Der oberste Richter Andrzej Rzepliński ist zum Symbol für den Widerstand avanciert - er denkt nicht ans Aufgeben.

Von Florian Hassel, Warschau

Steuerfragen oder die Entscheidung, wann es verfassungsgemäß ist, Autofahrern den Führerschein abzunehmen. Mehr Spitzelrechte für Polizei und Geheimdienste: Es ist ein weites Spektrum von Klagen, über die Polens oberste Richter urteilen müssen. "Wir Verfassungsrichter sind hungrig darauf, endlich wieder unseren Job zu erfüllen", sagt Andrzej Rzepliński, der Präsident des polnischen Verfassungsgerichts. "Schließlich waren wir fast ein halbes Jahr lang gelähmt."

Die Lähmung begann, als die Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) unter Jarosław Kaczyński nach der Regierungsübernahme im vergangenen November umgehend gegen die Verfassungsrichter vorging. Der ebenfalls von der Pis gestellte Präsident weigerte sich, drei noch unter der alten Regierung gewählte Verfassungsrichter zu vereidigen, und das neue Parlament wählte Pis-treue Richter und beschnitt Ende 2015 per Eilgesetz Vollmacht und Unabhängigkeit des Gerichts.

Das Verfassungsgericht, das Trybunał Konstytucyjny, aber erklärte dieses Eilgesetz am 9. März für ungültig. "Das Gesetz war nicht nur verfassungswidrig - es sollte das Tribunal zerstören", sagt Präsident Rzepliński der SZ. Auch die Venedig-Kommission des Europarates stellte Verfassungsbrüche fest und forderte Polens Regierung auf umzusteuern. Doch die Regierung veröffentlicht das gegen sie ausgefallene Urteil vom 9. März bisher nicht.

Vom Gerichtssaal kann er ins Büro der Regierungschefin blicken

Rzepliński, 66 Jahre alt, ein Mann mit welligem, weißem Haarkranz, bereitet sich jetzt auf den 6. April vor, da hat er den Vorsitz bei einer Klage in Wahlrechtsfragen. Dabei ist die Verfassungskrise in Polen nicht beendet.

Aus dem Gerichtssaal blickt Rzepliński auf das Büro von Ministerpräsidentin Beata Szydło. Auch der Sitz des Präsidenten ist nur ein paar Minuten zu Fuß entfernt. Das Verfassungsgericht residiert in einem dreistöckigen Bau, der schon als Kasino und Bordell zaristischer Offiziere diente, Quartier deutscher oder sowjetischer Geheimdienstler war und schließlich Bücherei des polnischen Militärs.

Ministerpräsidentin und Präsident halten sich an die Linie von Pis-Chef Kaczyński: Die legal gewählten Richter werden nicht vereidigt und dienen als Vorwand gegen ein angeblich nicht beschlussfähiges Gericht. Am 18. März bekräftigte Kaczyński sogar, dass er effektive Gewaltenteilung und Kontrolle durch unabhängige Richter ablehnt: Es gehe nicht, dass Gesetze und "das Recht einer parlamentarischen Mehrheit zur Realisierung ihres Projektes" von Verfassungsrichtern einkassiert werden könnten. Zudem hätten die Verfassungsrichter kein Recht gehabt, das Gesetz zur Beschneidung ihrer Kompetenzen aufzuheben.

Genau das sahen die Experten der Venedig-Kommission anders. Und Verfassungsgerichtspräsident Rzepliński beharrt: "Unsere Aufgabe ist, wie jedes Verfassungsgerichts, jedes Gesetz, jeden normativen Akt der Regierung und des Parlaments zu prüfen, wenn wir dazu aufgefordert werden. Andernfalls wären wir nur der private Hofrat des obersten Herrschers von Polen."

Rzepliński und Jarosław Kaczyński kennen sich seit Jahrzehnten. "1968 dienten wir in einem Panzerregiment, das zur Zeit des sowjetischen Einmarsches in die Tschechoslowakei bereitstand, dorthin verlegt zu werden", erzählt Rzepliński. Später studierten sie Jura in Warschau. "Wir sind auf Du, aber uns nie nahegekommen. Die Chemie zwischen uns stimmte nicht."

Anfang der Neunzigerjahre traf er weider auf den Namen Kaczyński. Da sichtete Verfassungsexperte Rzepliński für Polens damaligen Präsidenten Lech Wałęsa Vorschläge für eine neue Verfassung. "Der Entwurf der damaligen Kaczyński-Partei war der einzige, in dem ein Verfassungsgerichtgar nicht vorkam", sagt Rzepliński. 2007 legte Kaczyński als damaliger Regierungschef einen Gesetzentwurf zur Beschneidung der Kompetenzen des Verfassungsgerichts vor. Weil die Regierung zerbrach, blieb es Entwurf.

Doch Kaczyński bekräftigte in Denkschriften und Verfassungsentwürfen die Idee. Rzepliński wusste, was auf ihn zukam: "Ich war mir schon vor einem Jahr sicher: Wenn Kaczyński an die Macht zurückkehrte, würde er als Erstes gegen das Verfassungsgericht vorgehen." Am 18. März unterstrich Kaczyński, die von seiner Regierung selbst bestellte Expertise der Venedig-Kommission sei für Polen nicht verbindlich. "Ausländischer Druck auf die polnische Regierung in der Frage des Tribunals beschädigt unsere Souveränität sehr ernsthaft", sagte Kaczyński.

Sie glauben an die "verrückte Idee einer nicht liberalen Demokratie"

Rzepliński sieht das anders: Eine Einschränkung der Souveränität sei ein Preis, den Polen wie andere EU-Länder akzeptiert habe: "Polen wäre nicht in der EU, wären die anderen Länder nicht überzeugt gewesen , dass Polen fähig und entschlossen ist, alle europäischen Regeln und Werte zu achten und zu befolgen." EU-Recht gehört für Polens Verfassungsrichter zum Alltag. Wie geht es im Konflikt zwischen Verfassungsgericht und Pis-Regierung weiter?

"Ich erwarte immer noch, dass ihnen klar wird, dass sie einige Regeln der konstitutionellen Demokratie akzeptieren müssen und der Präsident die drei legal gewählten Verfassungsrichter vereidigt", sagt Andrzej Rzepliński. Optimistisch klingt er dabei aber nicht. Schließlich glaubten Jarosław Kaczyński und seine Getreuen wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán an die "verrückte" Idee einer "nicht liberalen Demokratie. Sie wollen uns von Europa entfernen, weil sie nicht in der Lage sind, es zu verstehen."

Einige Richter, etwa des Berufungsgerichts von Kattowitz, haben die Regierung aufgerufen, das Urteil des Verfassungsgerichts vom 9. März endlich zu veröffentlichen - und Hunderte Richterkollegen im Gerichtsbezirk Kattowitz forderten sie auf, sich auch an alle künftigen Urteile des Verfassungsgerichtes zu halten.

Pis-Chef Kaczyński indes bekräftigte, er sehe alle Urteile des Verfassungsgerichtes in seiner heutigen Form als "nicht existierend" an. Vielleicht sei auch ein neues Spezialgesetz nötig, äußerte er, das allen mit Strafe drohe, die Urteile des "nicht auf Basis des Rechts" handelnden Verfassungsgerichts befolgten.

"...dass wir nicht wieder allein sind."

Andrzej Rzepliński hat in seinem Büro Hunderte Bücher gesammelt. Die in rotem Leder strahlende Prachtausgabe von Urteilen des Verfassungsgerichts von Taiwan hat einen Ehrenplatz wie eine Justitia, die ihm Juristen aus Sankt Petersburg geschenkt haben.

Ende Mai wären vermutlich Geschenke dazugekommen. Da wollte Rzepliński Kollegen aus aller Welt zu einem Fest polnischer Rechtsstaatlichkeit nach Warschau bitten. Am 28. Mai sind es 30 Jahre, dass Polens Verfassungsgericht gegen Ende des kommunistischen Regimes gegründet wurde - und im ersten Urteil gegen die Machthaber entschied.

Den Jahrestag wollten der Verfassungsrichter mit einer internationalen Konferenz "Verfassungsgerichte - zwischen Sicherheit und Freiheitsschutz" begehen, samt Festbanketts im Königspalast. Doch die Feier juristischer Unabhängigkeit passt Kaczyńskis und Getreuen nicht.

Sie kürzten sie dem Verfassungsgericht drastisch das Geld. Anfang März musste Rzepliński Konferenz und Feier absagen. Jetzt hofft er, dass der Präsident des Europäischen Gerichtshofs trotzdem kommt, polnische Richter trifft. "Damit sie sehen, dass wir nicht wieder allein sind, sondern ein westliches Land in Osteuropa."

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