Machtkampf in Kairo:Warum Europa Ägyptens große Chance ist

-

Europäische Union und Ägypten: Ein Unterstützer von Mohammed Mursi in Paris

(Foto: AFP)

Beim Umbruch in Ägypten muss sich Europa einmal mehr eingestehen, wie ohnmächtig es ist. Weder als Einzelstaaten noch als Gemeinschaft können die Europäer Druck entfalten. Trotzdem - so utopisch das heute klingen mag - kann nur Europa Ägypten auf dem Weg in die politische Moderne helfen.

Ein Kommentar von Daniel Brössler, Berlin

Vom Besuch der Lady Ashton bei Mohammed Mursi, dem Gefangenen der ägyptischen Generäle, sind keine Film- oder Fotoaufnahmen bekannt. Dennoch schuf die Außenbeauftragte der Europäischen Union mit ihrem verzweifelten Vermittlungsversuch ein starkes Bild. Für die Chance, Mursi zu sehen und auf ihn einzuwirken, hatte die Repräsentantin von 507 Millionen Europäern vor drei Wochen einen Helikopter mit unbekanntem Ziel bestiegen und sich auf die Bedingungen des neuen Regimes eingelassen.

Nun, da die Katastrophe von Kairo nicht verhindert werden konnte, entfaltet dieses Bild seine ganze Wirkung. Es kündet von einer zwar gutwilligen, aber doch schwachen Vermittlerin. Wenn die Außenminister der EU an diesem Mittwoch in Brüssel zu einer Sondersitzung zusammenkommen, müssen sie nicht nur eine Antwort finden auf die Gewalt in Ägypten, sondern auch auf dieses Bild der eigenen Ohnmacht.

Europa erlebt mal wieder seine Ohnmacht

Wie schon seit Jahren in Syrien, erleben die Europäer nun auch in Ägypten, dass sie den Lauf der Dinge nicht entscheidend beeinflussen können. Das gilt für die Union insgesamt, aber auch für einzelne Mitglieder. Weder als Solisten noch in der Gemeinschaft waren die Europäer bislang in der Lage, Druck zu entfalten, der die Militärmachthaber zumindest kurzfristig von ihrem Plan abbringen würde, die Muslimbrüder als politischen Faktor auszuschalten. Obwohl die EU-Außenminister daran vorerst nichts werden ändern können, ist ihr Treffen dennoch richtig. Zum einen, weil nichts erbärmlicher wäre, als sich der Ohnmacht angesichts der vielen Toten zu ergeben. Zum anderen, weil in Europa - so utopisch das heute klingen mag - immer noch Ägyptens große, vermutlich einzige Chance liegt. Als Geldgeber mag die EU (etwa durch die Saudis) ersetzbar sein. Auf dem Weg in die politische Moderne ist sie es nicht.

Verunsichert durch die Krise des Euro und schockiert angesichts eines Nahen Ostens in Flammen, haben die Europäer sich daran gewöhnt, die Dinge aus einer Perspektive zu betrachten, welche die eigenen Schwächen betont. Als da wären: eine Außenbeauftragte, die leisetreterisch daherkommt und verquast. Ein neuer Auswärtiger Dienst, der die Erwartungen enttäuscht. Nationale Regierungen, die eigene Interessen verfolgen - zuweilen rücksichtslos wie Briten und Franzosen, manchmal übereifrig und vorschnell wie Deutschland in der Gestalt seines Außenministers. Auch auf der Liste steht: die nicht existente militärische Schlagkraft.

EU hat hat keine militärische Macht, nur Glaubwürdigkeit

Das alles stimmt und relativiert sich in der größeren Perspektive doch. Mit militärischer Macht ist, wie das Beispiel der USA zeigt, in den großen Krisen der arabischen Welt derzeit wenig auszurichten. Auch Außenpolitik aus vermeintlich einem Guss feit nicht vor Orientierungslosigkeit - wie sie US-Außenminister John Kerry an den Tag legte, als er versehentlich den ägyptischen Putsch mit dem Volkswillen rechtfertigte. Wirklich entschlossen konnten dieser Tage ohnehin nur jene auftreten, die mit Gewalt kein Problem haben, solange sie die Kräfteverhältnisse in der Region in ihrem Sinne verschiebt (wiederum die Saudis).

Machtkampf in Kairo: Demonstrationen von Mursi-Anhängern in Kairo

Demonstrationen von Mursi-Anhängern in Kairo

(Foto: AP)

Was die EU, wenn sie es richtig anstellt, wirkungsmächtig einsetzen kann, ist ihre Glaubwürdigkeit. Sie ergibt sich schon daraus, dass die Union kein "nationales" Interesse verfolgt. Das europäische Interesse ist vielmehr Verhandlungssache. Im Falle Ägyptens muss die berechtigte Empörung über die Machtergreifung des Militärs und die blutige Niederschlagung des Protests austariert werden mit dem - ebenfalls berechtigten - Wunsch, die Zustände in Ägypten nicht noch chaotischer werden zu lassen. Ein Wunsch, der vor allem die europäischen Mittelmeerländer umtreibt. Im schlimmsten Fall führen die unterschiedlichen Sichtweisen zur Blockade, im besten Falle erzwingen sie eine vernünftige und eben auch glaubwürdige Position.

Pragmatismus ist keine Lösung

Als vernünftig erscheint zunächst einmal, keine Partei zu ergreifen. Angesichts der Schuld, die fast alle Beteiligten in Kairo auf sich geladen haben, wüsste man auch gar nicht für wen. Das darf aber nicht bedeuten, die Gewaltherrschaft, die sich in Ägypten mit Billigung zumindest eines Teils der Bevölkerung etabliert hat, zu akzeptieren. Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle sind hier zu Recht vorgeprescht. Absurd wäre es, das neue Regime mit Geld zu päppeln, das für den Aufbau der Demokratie gedacht war. Für Waffenlieferungen gilt das erst recht.

Angesichts des Schocks über die nicht verhinderte Katastrophe darf sich die EU nun nicht in puren Pragmatismus flüchten. Glaubwürdigkeit ist in der Außenpolitik ein seltener, weil unglaublich langsam nachwachsender Rohstoff. Ohne ihn wird die Union in Ägypten nichts ausrichten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: