Machtkampf in der Türkei:Verzweifelter Schachzug

Um seine Macht zu erhalten, sucht Erdoğan nach Bündnispartnern. Unterstützung erhofft er sich nun aus den Reihen der Generäle - seinen einst mächtigsten Gegnern. Eine Verzweiflungstat.

Ein Kommentar von Christiane Schlötzer, Istanbul

Türkischer Premier Recep Tayyip Erdoğan

Der türkischer Premier Erdoğan sucht nach neuen Unterstützern.

(Foto: dpa)

Die Türkei gleitet in politische Wirrnis ab. Premier Tayyip Erdoğan ortet überall Verschwörer, und in diesem Wahn demontiert er Polizei und Justiz. Auf der Suche nach Bündnispartnern bei dieser Spiegelfechterei hat der konservativ-islamische Politiker nun ausgerechnet die Generäle entdeckt, seine einst mächtigsten Gegner. Deren politischen Einfluss er einst mit Verve beschnitten hat. Wie verzweifelt muss Erdoğan sein, wenn er nun nach Unterstützern in den Reihen der Uniformträger sucht?

Wenn der Premier nun vorschlägt, Hunderte als Putschisten zu langer Haft verurteilte Ex-Generäle erneut vor Gericht zu stellen, hat er die Perspektive des Freispruchs schon im Kopf. Es gab berechtigte Kritik an der massenhaften Verurteilung der Offiziere, da sitzen gewiss auch einige hinter Gittern, die da nicht hingehören. Aber Erdoğans Motiv ist nicht Gerechtigkeit, sondern Machterhalt.

Der Regierungschef möchte mit dem Manöver die kemalistische Opposition, die stets auf Seiten der Generäle stand, bezirzen. Sie soll ihn nicht länger wegen der massiven Korruptionsvorwürfe gegen seine Partei quälen. Erdoğan strebt immer noch den Präsidentenposten an. Für eine Verfassungsänderung, die aus der Türkischen Republik ein Präsidialsystem machen würde, braucht er auch die Opposition. Ob Erdoğans Spiel aufgeht, ist ungewiss. Gewiss aber ist, dass die Türkei vor einem Jahr des politischen Tumults steht.

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