Machtkampf in der Palästinenser-Führung:Abbas fordert Arafat offen heraus

Regierungschef Abbas will die Vertrauensfrage stellen. Seine Forderung: Das Parlament soll Arafat entmachten und ihm die volle Regierungsgewalt übertragen. Ansonsten werde er zurücktreten. Arafat erklärte hingegen, der Friedensplan für den Nahen Osten sei tot.

Von Thorsten Schmitz

(SZ vom 04.09.2003) - "Abbas wird das Parlament um Unterstützung für seine Politik bitten oder zurücktreten", sagte der palästinensische Informationsminister Nabil Amr nach Berichten des israelischen Rundfunks. Zuvor werde der Premier seine ersten 100 Tage im Amt bilanzieren und die Forderung wiederholen, dass sein Kabinett gemäß palästinensischem Recht mit vollen Kompetenzen ausgestattet sein müsse.

Der Ministerpräsident will die Kontrolle über sämtliche Sicherheitsdienste der Autonomiebehörde übernehmen. Der einflussreiche palästinensische Abgeordnete Ziad Ziad wurde am Mittwoch jedoch mit den Worten zitiert, dass Abbas eine Vertrauensabstimmung verlieren werde: "Arafat ist zum Symbol geworden, alle werden ihn unterstützen und für ihn stimmen."

"Nahost-Friedensplan ist tot

"Der palästinensische Parlamentspräsident Achmed Kurei räumte ein, dass es ihm als Vermittler nicht gelungen sei, den Streit zwischen Abbas und Arafat zu schlichten. Dennoch forderten am Mittwoch noch einmal mehr als 200 palästinensische Persönlichkeiten aus Politik und Kultur Arafat und Abbas in Zeitungsannoncen zur Beilegung ihres Zerwürfnisses auf.

Hintergrund des Machtkampfes ist die Forderung von Premier Abbas, die Hoheit über alle zwölf palästinensischen Sicherheitsdienste zu erhalten. Diese sollen gemäß dem Friedensfahrplan des Nahost-Quartetts zu höchstens drei zusammengefasst und neu strukturiert werden. Dem Quartett gehören die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die USA und Russland an.

Arafat will weiter Sicherheitsdienste kontrollieren

Arafat wehrt sich jedoch gegen die Reform der Sicherheitsdienste, die nach amerikanischen und israelischen Angaben in Terror-Aktivitäten verstrickt sind. Nach wie vor unterstehen Arafat etwa 28 000 Mitglieder der 53 000 Mann starken Sicherheitsorgane. In der vergangenen Woche hatte er den früheren Sicherheitschef im Westjordanland, Dschibril Radschub, gegen den Willen Abbas' zum stellvertretenden Chef eines "Nationalen Sicherheitsrates" ernannt, der künftig für die Sicherheitsdienste zuständig sein soll.

Ratsvorsitzender ist Arafat selber. Dadurch wurde Abbas' Sicherheitsminister Mohammed Dachlan entmachtet. Die USA hatten mehrmals an Arafat appelliert, Abbas die Hoheit über alle Sicherheitsdienste zu übertragen.

Arafat: Friedensprozess ist tot

In einem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtensender CNN erklärte Arafat in der Nacht zu Mittwoch den Friedensfahrplan für "tot". Auf der Internetseite von CNN wurde der Palästinenserpräsident mit den Worten zitiert, der Friedensfahrplan sei wegen der "israelischen militärischen Aggressionen" tot.

Ohnehin hätten die USA angesichts der Probleme im Nachkriegs-Irak und der anstehenden Präsidentschaftswahl den Friedensfahrplan bereits aufgegeben. Palästinensische Politiker versuchten am Mittwoch, Arafats Worte zu entkräften.

Der Abgeordnete und frühere Chefunterhändler Saeb Erekat sagte, die Autonomiebehörde halte "nach wie vor" am Friedensfahrplan fest. Dieser sieht bis zum Jahr 2005 die Schaffung eines Palästinenserstaates vor. Am 4. Juni hatten Abbas und Israels Regierungschef Ariel Scharon dem Plan zugestimmt. Dessen Umsetzung wurde jedoch durch einen palästinensischen Selbstmordanschlag in Jerusalem vor drei Wochen gestoppt.

Israel begann daraufhin wieder, mutmaßliche palästinensische Terroristen zu liquidieren, nachdem die Terrorgruppen Hamas, Islamischer Dschihad und die Al-Aksa-Brigaden von Arafats Fatach-Organisation ihre Waffenruhe aufgekündigt hatten. Am Dienstag nannte es der israelische Verteidigungsminister Schaul Mofaz einen "historischen Fehler", dass Israel den in Ramallah unter Hausarrest stehenden Arafat nicht schon vor zwei Jahren ausgewiesen habe. Die Regierung werde sich dem Thema jedoch noch "vor Jahresende" widmen.

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